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Ein Krieg wie kein anderer
Analyse der Thesen aus der Diskussion um Jochen Hellbecks Buch
Zusammenfassung
Dieses Briefing-Dokument fasst die zentralen Argumente und Erkenntnisse aus einer Diskussion über Jochen Hellbecks Buch „Ein Krieg wie kein anderer“ zusammen. Die Kernaussage des Buches, wie sie in der Diskussion dargelegt wird, ist eine Revision der gängigen Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkriegs. Es wird postuliert, dass der primäre Antrieb des NS-Regimes nicht der Antisemitismus, sondern ein tief verwurzelter Antibolschewismus war. Der Antisemitismus fungierte dabei als ideologisches Vehikel, um den Kampf gegen den Kommunismus für breite Bevölkerungsschichten, insbesondere die Arbeiterschaft, zu legitimieren und das Narrativ des „jüdischen Bolschewismus“ zu schaffen, der mit der Sowjetunion seinen „ersten Staat“ erobert habe.
Der Feldzug gegen die Sowjetunion wird von Beginn an als ein geplanter Vernichtungskrieg charakterisiert, der sich fundamental von anderen militärischen Operationen unterschied. Dies manifestierte sich in Befehlen wie dem Kommissarbefehl, der systematischen Tötung von Zivilisten und Kriegsgefangenen sowie dem Einsatz von Hunger als Waffe. Das Buch schöpft seine immense Detailtiefe und Authentizität aus der akribischen Auswertung sowjetischer Quellen, darunter Kriegstagebücher und die Berichte des Journalisten Ilja Ehrenburg, die sowohl die Grausamkeit der Wehrmacht und SS als auch die Würde und den unerbittlichen Widerstand der Partisanen und der Zivilbevölkerung dokumentieren.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die scharfe Kritik an der westlichen Erinnerungskultur, die das Opfer und die entscheidende Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung vom Faschismus systematisch unterschlagen habe. Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus unter dem ideologisch geprägten Begriff des Totalitarismus wird als eine Verfälschung der historischen Realität kritisiert. Schließlich ziehen die Diskussionsteilnehmer direkte Parallelen zur aktuellen geopolitischen Lage und warnen vor einer Wiederholung historischer Muster im gegenwärtigen Konflikt mit Russland, wobei sie die Gefahr eines wiederauflebenden Faschismus in Europa thematisieren, der sich als Demokratie tarne.
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1. Die zentrale These: Eine Revision der Geschichtsschreibung
Die Diskussion hebt hervor, dass Hellbecks Buch eine fundamentale Neubewertung der Motive des NS-Regimes fordert. Es stellt die gängige Annahme in Frage, dass der Antisemitismus der alleinige ideologische Kern des Nationalsozialismus war.
Der Primat des Antibolschewismus
Die zentrale These lautet, dass der Hass auf den Bolschewismus und den Kommunismus die treibende Kraft hinter der NS-Ideologie und insbesondere hinter dem Angriff auf die Sowjetunion war. Zitate von Hitler, Goebbels und anderen NS-Größen aus der Aufstiegsphase des Regimes belegen laut der Analyse, dass der Kampf gegen den Marxismus von Anfang an oberste Priorität hatte. Der Faschismus wird als direkte Gegenreaktion der kapitalistischen Klasse auf die Bedrohung durch eine starke sozialistische Bewegung in Europa positioniert.
- Hitlers Motivation: Hitler sah in der Sowjetunion den ersten von jüdisch-marxistischen Intellektuellen „geschnappten“ Staat, der die „deutsche Kultur“ durch Universalismus, Aufklärung und Humanismus zersetzen wolle.
- Unterstützung aus dem Westen: Der Antikommunismus der Nazis fand in der Aufstiegsphase breite Zustimmung in der westlichen Welt. Die New York Times und andere angelsächsische Medien begrüßten das Vorgehen gegen die Kommunisten in Deutschland. Mussolini und Hitler galten als Vorbilder im Kampf gegen die radikale Linke.
Antisemitismus als ideologisches Vehikel
Der Antisemitismus war nach dieser Lesart kein Selbstzweck, sondern ein strategisch eingesetztes Instrument.
- Der "Köder" für die Arbeiter: Reiner Antikommunismus hätte bei der links wählenden deutschen Arbeiterschaft nicht verfangen. Durch die Verknüpfung von Marxismus und Judentum zum Feindbild des „jüdischen Bolschewismus“ konnten die Nationalsozialisten einen Keil zwischen die Arbeiterbewegung treiben.
- Nutzung vorhandener Narrative: Der Antisemitismus war als Narrativ in der Gesellschaft bereits verankert und konnte leicht aktiviert und mit dem neuen Feindbild des Kommunismus verknüpft werden. Die Tatsache, dass viele Juden im zaristischen Russland diskriminiert wurden und in der bolschewistischen Revolution Aufstiegschancen sahen, wurde propagandistisch zur Behauptung verdreht, das „Weltjudentum“ steuere den Kommunismus.
- Symbolische Aneignung: Die Nationalsozialisten kopierten bewusst Symbole der Arbeiterbewegung, wie die rote Fahne, und integrierten den Begriff „Sozialismus“ in ihren Parteinamen, um Wähler der Linken zu ködern. Ein Plakat wird zitiert: „Der Marxismus sterbe damit der Sozialismus lebe“.
2. Charakter des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion
Der Krieg gegen die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa) wird als ein von Beginn an geplanter Vernichtungsfeldzug beschrieben, dessen Ziel die vollständige Auslöschung des sowjetischen Staates und die drastische Reduzierung seiner Bevölkerung war.
Geplante Brutalität und Straffreiheit
Im Gegensatz zu den Feldzügen im Westen wurde den deutschen Soldaten an der Ostfront explizit Straffreiheit für Verbrechen an der Zivilbevölkerung gewährt.
- Kommissarbefehl: Der Befehl zur sofortigen Exekution aller politischen Kommissare der Roten Armee war ein zentrales Element. Die Nazis glaubten fälschlicherweise, dass die Armee ohne ihre politische Führung zusammenbrechen würde.
- Rassenideologie: Der Krieg wurde als Kampf zwischen dem „deutschen Herrenmenschen“ und dem slawischen „Untermenschen“ inszeniert. Die gesamte russische Bevölkerung wurde als vom Bolschewismus „infiziert“ betrachtet und somit zum legitimen Ziel erklärt.
Methoden der Vernichtung
Das Buch dokumentiert eine Vielzahl systematischer und grausamer Tötungsmethoden.
| Methode | Beschreibung |
| Hunger als Waffe | Systematische Aushungerung von Städten (z.B. Leningrader Blockade mit über einer Million Toten) und Kriegsgefangenenlagern. |
| Massenexekutionen | Erschießungen ganzer Dorfgemeinschaften, Einrichtung von Ghettos, Genickschussanlagen. |
| Zerstörung von Lebensgrundlagen | Beim Rückzug der Wehrmacht wurden systematisch Viehbestände getötet und Dörfer niedergebrannt, um den nachrückenden Truppen und der Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen. |
| Sklavenarbeit | Sowjetische „Ostarbeiter“ wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Deutschland verschleppt und wie Sklaven behandelt und sogar „verkauft“. |
| Psychologischer Terror | Gehängte Partisanen wurden tagelang als Abschreckung zur Schau gestellt, oft mit Schildern wie: „Das machen wir mit jedem der sich uns in den Weg stellt“. |
| Gaswagen & Knochenmühlen | Einsatz mobiler Gaskammern und später „Knochenmühlen“ in der Ukraine, um die Spuren des Massenmordes durch Verbrennen und Zermahlen der Leichen zu verwischen. |
Zeugnisse der Täter
Das Buch zitiert aus Tagebüchern deutscher Soldaten, die ein erschütterndes Bild der Täterpsychologie zeichnen. Ein Wehrmachtssoldat namens Friedrich Schmidt schreibt über die Folterung junger Gefangener:
„Das Mädchen vergoss nicht eine Träne. Sie biss nur die Zähne fest zusammen. Mein Arm verweigerte mir beinahe den Dienst. Ich nahm zwei Flaschen Cognak im Besitz...“
An anderer Stelle zeigt sich seine Verwirrung über die Standhaftigkeit der Opfer und seine eigene Abstumpfung:
„Der Graben ist fast mit Leichen gefüllt und wie heroisch diese jungen Bolschewisten in den Tod gehen. Wie kommt es wohl, dass sie so sind? Ist es die Liebe zum Vaterland oder ist es der Kommunismus der ihnen so ins Blut gegangen ist... Besonders die Mädchen vergießen nicht eine einzige Träne wenn sie geschlagen werden und sie zucken nicht wenn sie zur Exekution geführt werden.“
3. Die sowjetische Perspektive: Dokumentation und Widerstand
Ein besonderer Wert des Buches liegt in der Aufarbeitung sowjetischer Quellen, die oft vernachlässigt wurden.
Akribische Aufzeichnung des Schreckens
Die Sowjetarmee betrieb eine systematische Dokumentation der Kriegsverbrechen, oft unmittelbar nach den Ereignissen.
- Ilja Ehrenburg: Als wichtigster Journalist der Sowjetunion sammelte und publizierte Ehrenburg Tagebücher und Briefe gefallener Wehrmachtssoldaten. Hellbeck verifiziert, dass Ehrenburg korrekt und authentisch aus diesen Quellen zitierte, entgegen späterer deutscher Propaganda.
- Empirische Begleitung: Es wurden speziell geschulte Teams ausgeschickt, um in befreiten Dörfern sofort Zeugen zu befragen und Beweise zu sichern. Diese akribische Arbeit ermöglicht die detaillierte Rekonstruktion der Verbrechen.
Die Rolle des Partisanenkampfes
Der Widerstand, insbesondere der von Frauen, wird als zentrales Element der sowjetischen Verteidigung gewürdigt.
- Würde im Angesicht des Todes: Das Buch schildert zahlreiche Beispiele von Partisaninnen, die selbst bei ihrer Hinrichtung ungebrochenen Widerstandswillen zeigten. Ein zitiertes Beispiel ist eine junge Frau am Galgen, die gerufen haben soll: „Ihr werdet mich jetzt hängen aber ich bin nicht allein. Es gibt 200 Millionen von uns. Ihr werdet uns nicht alle hängen können. Andere werden mich rächen.“
- Eskalation der Gewalt: Der Partisanenkampf führte zu einer weiteren Radikalisierung der deutschen Besatzer. Für jeden getöteten deutschen Soldaten wurden bis zu 100 Sowjetbürger als Repressalie ermordet, was zur Entstehung ganzer „Todeszonen“, besonders in Weißrussland, führte, wo jedes menschliche Leben vernichtet werden sollte. Ein Viertel der Bevölkerung Weißrusslands kam im Krieg ums Leben.
4. Kritik an der westlichen Erinnerungskultur und der Totalitarismus-Debatte
Hellbecks Werk wird als Angriff auf die vorherrschende westliche Geschichtsdeutung verstanden, die den sowjetischen Beitrag und das sowjetische Opfer marginalisiert.
Das "penetrante Übersehen" des sowjetischen Opfers
Es wird kritisiert, dass die westliche, insbesondere die amerikanische Holocaust-Forschung, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion systematisch ausblendet.
- Beispiel Holocaust Museum: Im Holocaust Museum in New York werde die Befreiung der Konzentrationslager durch die Rote Armee unterschlagen. Die Darstellung fokussiere sich auf ethnische Opfergruppen und ignoriere den universalistischen, antifaschistischen Befreiungskampf der multiethnischen Sowjetarmee.
- 27 Millionen Tote: Die immense Zahl von 27 Millionen sowjetischen Opfern, davon ein Großteil Zivilisten, finde in der kollektiven Erinnerung des Westens kaum statt.
Die ideologische Funktion des Totalitarismus-Begriffs
Das Buch stellt die Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus unter dem Begriff „Totalitarismus“, wie er etwa von Hannah Arendt geprägt wurde, fundamental in Frage.
- Produkt des Kalten Krieges: Der Totalitarismus-Begriff sei eine ideologische Konstruktion, die darauf abzielte, Sozialismus und Faschismus als wesensgleich darzustellen.
- Verwischung der Gegensätze: Diese Gleichsetzung ignoriere den fundamentalen Unterschied zwischen der partikularistischen, rassistischen „Herrenmenschen“-Ideologie des Nationalsozialismus und dem universalistischen Anspruch des Sozialismus auf Humanismus und Aufklärung.
- Politische Konsequenzen: Seit der EU-Osterweiterung 2004 wird diese Gleichsetzung politisch instrumentalisiert, um die stalinistischen Verbrechen mit dem Holocaust auf eine Stufe zu stellen und eine Geschichtserzählung von „zwei Totalitarismen“ zu etablieren, die im Europäischen Parlament propagiert wird.
5. Gegenwartsbezug und politische Implikationen
Die Diskussionsteilnehmer sehen in Hellbecks Buch eine dringende Warnung für die Gegenwart und ziehen direkte Parallelen zwischen dem historischen Vernichtungskrieg und der aktuellen Politik des Westens gegenüber Russland.
Wiederholung historischer Muster
Es wird argumentiert, dass sich die grundlegenden Muster des Konflikts wiederholen.
- Unterstützung von Faschisten: Die heutige Unterstützung von nationalistischen und teils faschistischen Kräften in der Westukraine wird in eine direkte historische Linie mit der Kollaboration dieser Gruppen mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg gestellt.
- Ziel der Zerstörung Russlands: Aussagen westlicher Politiker über die Notwendigkeit, die russische Wirtschaft zu „ruinieren“ (von der Leyen) oder das Land aufzuteilen, werden als Fortsetzung des historischen Ziels der Zerstörung der russischen Staatlichkeit interpretiert.
Das Castro-Zitat als Schlüssel
Ein Zitat von Fidel Castro aus den 1970er Jahren wird als prophetisch für die heutige Lage angeführt:
„Der nächste Krieg wird zwischen Europa und Russland sein und der wird zwischen Faschismus und Sozialismus gehen, nur dass die Europäer ihren Faschismus als Demokratie bezeichnen werden.“
Dies wird als Beschreibung eines Zustands interpretiert, in dem eine westlich-liberale Gesellschaft in eine „primitive Art des Faschismus“ zurückfällt und unter dem Deckmantel der Demokratie einen ähnlichen Feldzug gegen Russland führt.
Die Systemkonkurrenz als fortwährender Konflikt
Die Analyse schließt mit der These, dass der fundamentale Gegensatz zwischen Kapitalismus und einem auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Gesellschaftsmodell auch nach dem Ende der Sowjetunion fortbesteht. Russland, obwohl nicht mehr sozialistisch, fungiere für den Westen immer noch als „Spiegel“ und Gegenmodell, dessen Existenz nicht geduldet werde. Die Aufgabe der Systemkonkurrenz durch Gorbatschow, basierend auf dem Vertrauen in die Vernunft des Westens, wird im Rückblick als Fehler bewertet. Das Buch wird daher als unverzichtbares „Geschenk an die Zeit“ bezeichnet, das das Potenzial habe, die aktuelle politische Debatte zu verändern und den laufenden Krieg zu „abräumen“, wenn seine Erkenntnisse von einer breiten Öffentlichkeit verstanden würden.
Ein Krieg wie kein anderer
Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Eine Revision
Erstellt: 26.12.2025 - 00:19 | Geändert: 26.12.2025 - 00:59

