Frantz Fanon
Ein Porträt
Frantz Fanon hat in seinem kurzen Leben (1925-1961) als Psychiater, Schriftsteller und Journalist, als Freiheitskämpfer und als Vordenker der Dekolonialisierung nahezu Unermessliches geleistet. Er starb, als die meisten afrikanischen Länder gerade erst ihre Unabhängigkeit erreicht hatten; seine Warnungen an kolonisierte Länder auf dem Weg zur Unabhängigkeit haben sich als prophetisch erwiesen. Fanons Analysen werfen noch immer ein erhellendes Licht auf die postkolonialen Konflikte von heute.
Geboren auf den Antillen, kam Frantz Fanon, wie sein Zeitgenosse Che Guevara, als Arzt zu seiner revolutionären Laufbahn in einem fremden Land. Er kämpfte bei den Forces Françaises Libres gegen Nazideutschland, gründete Afrikas erste sozialtherapeutische Psychiatrie im algerischen Blida und reiste als Sprecher der algerischen Befreiungsbewegung durch Afrika. Sein Buch »Die Verdammten dieser Erde« wurde »Das kommunistische Manifest der antikolonialen Revolution« genannt. Fanons Schriften sind heute Klassiker des Postkolonialismus.
Zum 100. Geburtstag Frantz Fanons im Juli 2025 erscheint jetzt die Neuausgabe der großen Biografie seiner Weggefährtin Alice Cherki. Alice Cherki hat Frantz Fanon gut gekannt: Sie arbeitete in Algerien und Tunesien als Psychiaterin an seiner Seite und war wie er während des Algerienkrieges in der Befreiungsbewegung aktiv. Sie beleuchtet Entstehungsgeschichte und -kontext von Fanons Texten und Ideen und zeigt, dass Fanon die individuellen und sozialen Auswirkungen der rassistischen Unterdrückung ebenso im Blick hatte wie Möglichkeiten, die Entfremdung zu überwinden.
»Selten wurde ein Schwarzer Theoretiker so zugänglich, so menschlich, so verletzlich beschrieben. Und noch seltener erfahren wir im deutschsprachigen Raum so viel detailliertes Wissen über die psychologischen Auswirkungen des Rassismus und seine Verwobenheit mit Kolonialismus.« Natasha A. Kelly (Verfasserin des Vorwortes im Buch)
→ Inhaltsverzeichnis und Leseprobe
„Ich bin nicht der Sklave der Versklavung, die meine Väter entmenschlicht hat. Für viele farbige Intellektuelle hat die europäische Kultur einen äußerlichen Charakter. Außerdem kann sich der Schwarze in den menschlichen Beziehungen der westlichen Welt fremd fühlen. Wird er, da er die Rolle des armen Verwandten, des Adoptivsohns, des Bastards nicht spielen will, fieberhaft versuchen, eine Neger-Zivilisation zu entdecken? Man verstehe uns recht! Wir sind überzeugt, dass es von großem Nutzen wäre, mit einer Neger-Literatur oder einer Neger-Architektur aus dem 3. Jahrhundert vor Christus in Berührung zu kommen. Wir wären überglücklich, wenn wir erfahren würden, dass es zwischen diesem oder jenem Neger-Philosophen und Platon eine Entsprechung gegeben hat. Aber wir können uns absolut nicht vorstellen, dass diese Tatsache irgend etwas an der Lage der achtjährigen Kinder ändern könnte, die heute auf den Zuckerrohr-Plantagen von Martinique oder Guadaloupe arbeiten. Man darf den Menschen nicht festnageln wollen, denn es ist seine Bestimmung, losgelassen zu werden. Die Dichte der Geschichte bestimmt keine einzige meiner Handlungen. Ich bin meine eigene Grundlage.Und nun, indem ich die historische, instrumentale Gegebenheit überschreite, eröffne ich den Zyklus meiner Freiheit. Das Unglück des Farbigen besteht darin, dass er Sklave gewesen ist. Das Unglück und die Unmenschlichkeit des Weißen bestehen darin, dass er irgendwo den Menschen getötet hat.“ Diese Sätze schrieb Frantz Fanon 1952 in seinem ersten Buch ‘Schwarze Haut, weiße Masken’. Es gab der Revolte der Kolonisierten gegen ihre europäischen Unterdrücker eine Stimme, die man in den sog. Mutterländern mit einigem Befremden, wenn nicht Erschrecken zur Kenntnis nahm. Von Lothar Baier Deutschlandfunk 22.01.2001
Pressenotizen → Perlentaucher
Weitere Pressestimmen:
»Wir haben Alice Cherki dafür zu danken, dass sie diesem hervorragenden Intellektuellen, seiner Person wie seinen Büchern, den Platz gegeben hat, den sie verdienen – nicht nur in unserer Geschichte, sondern auch in unserer Gegenwart.« Didier Eribon, Nouvel Observateur
»Alice Cherki schreibt ein einfühlsames intellektuelles Porträt eines bescheidenen Mannes, sie analysiert kritisch Ziele und Irrtümer der Zeit.« Konrad Watrin, Neue Zürcher Zeitung
Die Autorin:
Alice Cherki wurde 1936 in Algier als Tochter einer jüdischen Familie geboren und beteiligte sich aktiv am Unabhängigkeitskampf. Als Psychiaterin und Psychoanalytikerin ist sie Mitautorin zweier Bücher: »Retour à Lacan?« (Fayard, 1981) und »Les Juifs d’Algérie« (Éditions du Scribe, 1987).
Der Übersetzer:
Andreas Löhrer, 1956 in Mannheim geboren, studierte Romanistik in Hamburg und Perugia. Er übersetzt seit 1996 aus dem Italienischen, Spanischen und Französischen. Zu den italienischen Autoren, die er ins Deutsche übersetzte, gehören Sergio Atzeni, Nanni Balestrini und Maurizio Maggiani. Seit 2006 leitet er zusammen mit Marina Pugliano die Italienisch-Deutsche Übersetzerwerkstatt im Übersetzerhaus Looren.
Die Verdammten dieser Erde. Mit der DVD der Fernsehdokumentation: Revolte gegen die Autorität. Von Frantz Fanon → Neuer Weg 2019
Die Verdammten dieser Erde. Von Frantz Fanon. Vorwort von Jean-Paul Sartre → Neuer Weg 2021
Erstellt: 16.10.2024 - 09:13 | Geändert: 16.10.2024 - 09:34