Seit dem Aufkommen des modernen Proletariats als soziale und politische Kraft zittert die herrschende Kapitalistenklasse vor der latenten Macht, die ihr innewohnt – der Macht, nicht nur die Arbeitskraft zurückzuhalten und die Produktion zum Erliegen zu bringen, sondern das überholte System der ungeplanten Produktion für Profit insgesamt zu stürzen.
Die Oktoberrevolution von 1917 in Russland läutete den Beginn einer neuen sozialistischen Ära ein, in der die Arbeiter die Kapitalisten als Herren der Gesellschaft ablösen werden. In ihrem Bestreben, den Tag des Untergangs hinauszuzögern und an ihrer senilen Herrschaft festzuhalten, haben die Herren des Finanzkapitals unermessliche Ressourcen in alle möglichen Bemühungen gesteckt, um die Masse der besitzlosen Lohnarbeiter zu bestechen, zu zwingen, zu verwirren, abzulenken und zu spalten, in der Hoffnung, sie davon abzuhalten, ihre historische Mission zu verstehen und zu erfüllen
Die langsame, aber stetige Übernahme der westlichen Linken durch den Liberalismus und die spaltende und reaktionäre Identitätspolitik fand in Jahrzehnten statt, in denen der revolutionäre Marxismus schwere Niederlagen erlitten hatte und eine Phase der Verwirrung und Zerrüttung durchlief.
Um diese Phase der Niederlagen und des Rückzugs zu beenden und die Kräfte für den Sozialismus neu zu gruppieren, muss die Arbeiterbewegung von der Fülle anti-marxistischer Ideen befreit werden, die sich so weit verbreitet haben, damit unser Kampf wieder auf eine solide Grundlage gestellt und der Weg für einen neuen und entscheidenden Vorstoß bereitet werden kann.
Angesichts der schlimmsten globalen Krise der kapitalistischen Überproduktion, die außer Kontrolle gerät und Krieg und Armut in unvorstellbarem Ausmaß hervorbringt, ist diese Aufgabe dringender denn je.
Diese kurze Broschüre von Joti Brar soll einen marxistischen Überblick über Identitätspolitik geben – was sie ist, woher sie kommt und wie sie unsere Bewegung beeinflusst. Sie skizziert die wichtigsten Zweige (bürgerlicher Feminismus, schwarzer Nationalismus, LGBT+-Befreiung) und stellt sie in einen historischen und philosophischen Kontext, der Sozialisten helfen soll, die lauernden Untiefen zu umschiffen, die unsere Bewegung zum Scheitern bringen und uns hilflos vor den Angriffen der monopolkapitalistischen Krise und des Krieges zurücklassen könnten.
Die Broschüre enthält auch einen Artikel unserer Parteivorsitzenden Ella Rule über das Wesen der kommunistischen Partei und darüber, warum die am besten organisierte und fortschrittlichste Abteilung der Arbeiterklasse nichts mit dem spaltenden Sektierertum der Identitätspolitik zu tun haben kann.
Contents
Note to readers
IDENTITY POLITICS OR CLASS POLITICS?
— by Joti Brar
Foreword
I. LIBERALISM OR SOCIALISM?
1. Liberalism: the ideology of the bourgeoisie
2. The liberal myth of rights and freedoms for all
3. Left liberalism: a (petty) bourgeois conscience
4. How did we get here?
II. BOURGEOIS FEMINISM v
WOMEN’S EMANCIPATION
1. ‘Battle of the sexes’ leaves the class system intact
2. Understanding the problem reveals the solution
3. Men and women workers: allies in the struggle for
socialism
4. Gender stereotypes sharpening for women workers
as welfare provision disappears
5. The dead end of ‘equal rights’ under capitalism
6. Individual v collective solutions
III. BOURGEOIS NATIONALISM v
PROLETARIAN INTERNATIONALISM
1. Black v white leaves the class system intact
2. The Irish in Britain: a case study in colonial ‘divide
and rule’
3. Rolling out the formula to Asia and Africa: the myth of
‘civilising the unfit races’
4. Stoking fake ‘national’ divisions destroys class unity
5. The dead end of ‘equal rights’ under capitalism
IV. LGBT+ IDEOLOGY: A DANGEROUS DIVERSION
1. Gay ‘liberation’: a deliberate confusion
2. Equal rights and the hierarchy of pain
3. Hating the haters: the self-identifying ‘left’ in the
service of imperialism
4. Transgenderism: identity politics squared
V. IDPOL: THE ENEMY OF CLASS UNITY
1. Political correctness gone mad: how to kill a
conversation
2. The ultimate end: an army of one
3. The communist answer: build a movement based on
scientific socialism
AGAINST IDENTITY POLITICS
— by Ella Rule
1. What is a communisty party for?
2. The battle of ideas
3. Reform and revolution
4. Marxism misunderstood
5. The value of experience
Appendix: Identity politics resolution
Notes
Autoreninfos
Briefing-Dokument: Identitätspolitik versus Klassenpolitik
Zusammenfassung
Dieses Dokument fasst die zentrale Argumentation der Schrift „Identity Politics or Class Politics?“ der Kommunistischen Partei Großbritanniens (Marxistisch-Leninistisch) zusammen. Die Autoren, Joti Brar und Ella Rule, stellen die Identitätspolitik als eine bürgerliche Ideologie dar, die den Interessen der herrschenden Klasse dient, indem sie die Arbeiterklasse entlang von Linien wie Geschlecht, Rasse und sexueller Orientierung spaltet. Diese Spaltung lenkt von dem fundamentalen Klassenkampf ab, der darauf abzielt, das kapitalistische System zu überwinden.
Als Gegenentwurf zur Identitätspolitik wird die Klassenpolitik vorgestellt, die auf dem wissenschaftlichen Sozialismus basiert. Ihr Ziel ist es, das Proletariat über alle Identitätsgrenzen hinweg zu vereinen, um die kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen. Die Schrift kritisiert spezifische Ausprägungen der Identitätspolitik – darunter bürgerlichen Feminismus, bürgerlichen Nationalismus und die LGBT+-Ideologie – als strategische Ablenkungsmanöver, die den Status quo aufrechterhalten. Die Autoren argumentieren, dass wahre Emanzipation für alle unterdrückten Gruppen nur durch eine sozialistische Revolution und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft erreicht werden kann, in der die materiellen Grundlagen für Unterdrückung beseitigt sind. Die kommunistische Partei wird als die notwendige Führungskraft dargestellt, die diese revolutionäre Einheit schmieden muss.
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1. Philosophische Grundlagen: Liberalismus versus Sozialismus
Die Schrift legt dar, dass der gegenwärtige ideologische Konflikt zwischen zwei grundlegend entgegengesetzten Weltanschauungen stattfindet: dem bürgerlichen Liberalismus, der dem Kapitalismus dient, und dem Sozialismus, der Ideologie des Proletariats.
1.1 Liberalismus als bürgerliche Ideologie
Der Liberalismus, ursprünglich eine revolutionäre Kraft im Kampf der Bourgeoisie gegen den Feudalismus unter dem Banner von „Freiheit und Gleichheit“, wird als heute reaktionär und heuchlerisch beschrieben. Nach der Machtergreifung der Bourgeoisie wurden die Ideale des Liberalismus so modifiziert, dass sie die neue Klassenherrschaft rechtfertigen. Die versprochenen Rechte und Freiheiten wurden den besitzlosen Massen, Frauen und kolonisierten Völkern vorenthalten. In der heutigen Phase des Imperialismus dient der Liberalismus ausschließlich dazu, die Verbrechen der herrschenden Klasse mit Phrasen über Menschenrechte und Demokratie zu verschleiern, während er in Wahrheit das Recht der Ausbeuter, auszubeuten, schützt.
„Der Angelpunkt des modernen gesellschaftlichen Lebens ist der Klassenkampf. Im Verlauf dieses Kampfes wird jede Klasse von ihrer eigenen Ideologie geleitet. Die Bourgeoisie hat ihre eigene Ideologie – den sogenannten Liberalismus. Das Proletariat hat ebenfalls seine eigene Ideologie – diese ist, wie bekannt, der Sozialismus.“ – Josef Stalin, zitiert in der Schrift.
1.2 Linksliberalismus und Identitätspolitik
Die Autoren identifizieren den „Linksliberalismus“ als einen spezifischen Trend innerhalb der Bourgeoisie, insbesondere des Kleinbürgertums und der Arbeiteraristokratie. Diese Strömung versucht, die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus zu reformieren, um das System zu erhalten, ohne jedoch dessen Grundlagen anzutasten. Linksliberalismus basiert auf Emotion, Individualismus und idealistischer Philosophie, im Gegensatz zum wissenschaftlichen Materialismus des Marxismus.
Die Identitätspolitik wird als das primäre Instrument des Linksliberalismus angesehen. Sie kanalisiert die Energien der Arbeiter in harmlose „Ein-Punkt-Programme“ (z. B. bürgerlicher Feminismus, schwarzer Separatismus), die die Arbeiterklasse spalten, anstatt sie im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen.
2. Kritik an spezifischen Formen der Identitätspolitik
Die Schrift analysiert die wichtigsten Strömungen der Identitätspolitik und argumentiert, dass sie alle den Klassenwiderspruch durch andere, weniger fundamentale Konflikte ersetzen und somit dem Kapitalismus dienen.
2.1 Bürgerlicher Feminismus versus Frauenemanzipation
- Ersetzung des Klassenkonflikts: Der bürgerliche Feminismus wird dafür kritisiert, den Klassengegensatz durch einen „Kampf der Geschlechter“ zu ersetzen. Er stellt Männer im Allgemeinen als den Feind dar und lenkt Frauen davon ab, an der Seite von Männern der Arbeiterklasse für eine Veränderung der Gesellschaft zu kämpfen.
- Marxistische Analyse der Unterdrückung: Gestützt auf Friedrich Engels' Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats wird argumentiert, dass die Unterdrückung der Frau historisch mit dem Aufkommen des Privateigentums und der Klassengesellschaft entstand.
- Die sozialistische Lösung: Wahre Emanzipation der Frau ist untrennbar mit der Emanzipation der gesamten Arbeiterklasse verbunden. Nur eine sozialistische Gesellschaft kann die materielle Basis für Gleichheit schaffen, indem sie Hausarbeit (Kinderbetreuung, Kochen, Reinigung) vergesellschaftet und Frauen ermöglicht, vollständig am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen. Die Forderung nach „gleichen Rechten“ im Kapitalismus kommt nur einer privilegierten Minderheit von Frauen zugute.
2.2 Bürgerlicher Nationalismus versus Proletarischer Internationalismus
- Ersetzung des Klassenkonflikts durch Rassenkonflikt: Ähnlich wie der bürgerliche Feminismus ersetzt der bürgerliche Nationalismus (z. B. die „Schwarz gegen Weiß“-Dichotomie) den Klassenkampf durch einen Rassenkonflikt und lässt das kapitalistische System unangetastet.
- Koloniale „Teile-und-Herrsche“-Taktiken: Am Beispiel der irischen Arbeiter in Großbritannien wird gezeigt, wie die herrschende Klasse Rassismus und Nationalismus gezielt einsetzt, um die Arbeiterklasse zu spalten. Indem sie einheimische Arbeiter gegen eingewanderte Arbeiter aufhetzt, verhindert sie die Einheit gegen den gemeinsamen Ausbeuter und rechtfertigt gleichzeitig die imperialistische Unterdrückung im Ausland.
- Falsche Lösungen: Programme wie „schwarzer Kapitalismus“ oder die Forderung nach proportionaler Vertretung in den Chefetagen ändern nichts an der Ausbeutung der breiten Masse der Arbeiter, unabhängig von ihrer Hautfarbe.
2.3 LGBT+-Ideologie: Eine gefährliche Ablenkung
- Ablenkung vom Klassenkampf: Die Fokussierung auf die sexuelle Orientierung als zentrales Identitätsmerkmal wird als eine vom Klassenkampf ablenkende und für die Revolution irrelevante Debatte dargestellt. Die Autoren betonen, dass die sexuelle Präferenz eines Menschen eine Privatangelegenheit ist und keine Grundlage für politische Programme sein sollte.
- Instrumentalisierung durch die Bourgeoisie: Die Bourgeoisie fördert diese Debatten gezielt, um die Arbeiterbewegung weiter zu spalten und die Kämpfe gegen Rassismus und Sexismus in eine harmlose, auf Rechten basierende Agenda umzulenken, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht bedroht.
- Transgenderismus als Apotheose der Identitätspolitik: Der Transgenderismus wird als die absurdeste und extremste Form der Identitätspolitik bezeichnet. Er wird als eine Leugnung der materiellen, biologischen Realität kritisiert und als eine von kommerziellen Interessen (dem medizinisch-industriellen Komplex) geförderte Ideologie dargestellt. Die Autoren unterscheiden klar zwischen dem biologischen Geschlecht (sex), das als unveränderlich betrachtet wird, und Geschlechterrollen (gender roles), die als soziale Konstrukte anerkannt werden.
3. Strategische Folgen der Identitätspolitik für die Arbeiterbewegung
Die Autoren warnen eindringlich vor den schädlichen Auswirkungen der Identitätspolitik auf die Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich zu organisieren und für ihre Interessen zu kämpfen.
- Zerstörung der Klasseneinheit: Die Identitätspolitik treibt einen Keil zwischen verschiedene Teile der Arbeiterklasse und schafft eine Kultur der politischen Korrektheit, die insbesondere weniger gebildete Arbeiter zum Schweigen bringt und entfremdet.
- Förderung des Individualismus: Die Fixierung auf individuelle Erfahrungen und „Privilegien“ führt zu einer Kultur der persönlichen Reinheit, des „Calling Out“ und des „Deplatforming“. Dies untergräbt die organisatorische Einheit, die voraussetzt, dass Menschen trotz Meinungsverschiedenheiten für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten können. Das Ergebnis ist eine machtlose „Armee von Einzelkämpfern“.
- Stärkung der Rechten: Indem sich die selbsternannte „Linke“ die Identitätspolitik zu eigen macht, stößt sie die breite Masse der Arbeiter ab, die sich von den Debatten über Pronomen und Privilegien nicht angesprochen fühlt. Dies treibt sie in die Arme von rechten Populisten, die ihre Sorgen scheinbar ernster nehmen.
4. Die kommunistische Antwort
Als Alternative zur spaltenden Identitätspolitik schlägt die Schrift die Rückkehr zu den Grundprinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus und des proletarischen Internationalismus vor.
Prinzip | Beschreibung |
Wissenschaftlicher Sozialismus | Die einzige Waffe der Arbeiterklasse ist die marxistische Wissenschaft. Sie bietet eine materialistische Analyse der Gesellschaft, die die Klassenverhältnisse als die Wurzel von Unterdrückung identifiziert. |
Klasseneinheit | Das oberste Ziel ist die Vereinigung der gesamten Arbeiterklasse, unabhängig von Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung, im Kampf gegen den gemeinsamen Feind: die kapitalistische Klasse. |
Rolle der Partei | Eine kommunistische Partei, die auf dem Prinzip des demokratischen Zentralismus aufgebaut ist, ist notwendig, um der Arbeiterklasse eine Führung zu geben und sie vor der Unterwanderung durch bürgerliche Ideologien wie der Identitätspolitik zu schützen. |
Revolutionäre Lösung | Reformen innerhalb des Kapitalismus sind unzureichend. Wahre Freiheit und Gleichheit für alle können nur durch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft erreicht werden. |
Die Schrift schließt mit einem Verweis auf eine Resolution des 8. Parteitags der CPGB-ML, die die Verbreitung von Identitätspolitik als unvereinbar mit der Parteimitgliedschaft erklärt und damit die unnachgiebige Haltung der Organisation in dieser Frage unterstreicht.
Erstellt: 17.10.2025 - 19:35 | Geändert: 19.10.2025 - 17:44