Zeit Zu Reden (Medienpräsenz)

A critical discussion on Germany's lessons from the Holocaust.

After the Hamas attacks on October 7th, 2023, the German government emerged as one of Israel’s staunchest supporters. It supplied weapons for Israel’s ongoing offensive in Gaza, defended the country against South Africa’s accusation of genocide, and stifled domestic critical debate on Israel and Palestine.

Germany’s double standards regarding breaches of international law—condemning them when committed by Russia in Ukraine, yet turning a blind eye to Israeli actions—have led to notable exasperation in countries across the Global South.

What emerged after October 7th was, once again, a sharp divide within the global memory landscape. While for many, memories of Western imperialism and colonialism dominate, in the West it is the memory of WWII and the Holocaust that prevails. For Germany in particular, the memory of its own barbarism continues to shape its political morality today. Yet, Germany has faced especially pointed criticism for its stance on Gaza.

But isn't unconditional support for Israel in the face of a what Amnesty International has called a “genocide” itself a betrayal of the lessons of the Holocaust? Especially at a time when a far-right Israeli government is allying itself with radical nationalist parties in Europe?

As the Indian author Pankaj Mishra wrote in the London Review of Books in early 2024: 
“As völkisch-authoritarian racism surges at home, the German authorities risk failing in their responsibility to the rest of the world: never again to become complicit in murderous ethnonationalism.”

In this first “Zeit zu reden Special”, the English edition with prominent voices from abroad, presenter Kristin Helberg discusses the historical and current connection between the German culture of remembrance, a “Staatsräson” that amounts to unrestricted solidarity with Israel and the rise of violent ethno-nationalism.

Our guests are the Indian writer and renowned global intellectual ​​​​​​​Pankaj Mishra (The World After Gaza) and the German academic and author Daniel Marwecki (Germany and Israel: Whitewashing and State Building).
https://www.youtube.com/watch?v=tyUol-l8xao

Eine kritische Diskussion über formelles Gedenken und multiperspektivisches Erkennen
Wie kaum ein anderes Land ist Deutschland von seiner Erinnerungskultur geprägt. Die Lehren aus Nationalsozialismus und Holocaust haben die Entwicklung zu einer liberalen und demokratischen Gesellschaft entscheidend beeinflusst. In den Worten der Historikerin Elke Gryglewski wurde aus dem „Weltmeister im Genozid“ scheinbar ein „Weltmeister des Erinnerns“ – ein Land voller Gedenkstätten, Museen und Mahnmalen, mit Gedenktagen und Gedenkstunden im Bundestag. Und doch wissen die meisten Deutschen wenig über jüdisches Leben. Juden haben Angst, in der Öffentlichkeit Kippa zu tragen. Sinti und Roma werden rassistisch angefeindet. Und Politiker:innen begründen Gesetze oder Maßnahmen mit ausgrenzenden Parolen, die Ressentiments gegen Ausländer:innen, Muslim:innen, Geflüchtete, Palästinenser:innen und andere marginalisierte Gruppen schüren.
Was also läuft falsch am deutschen Erinnern? Was sind die Lehren aus dem Holocaust 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Welche Erinnerungskultur braucht Deutschland in Zeiten, in denen rechtsextremes und nationalistisches Denken erstarkt? Und was bedeutet der Satz "Nie wieder ist jetzt"? Uneingeschränkte Solidarität mit jüdischen Individuen, mit dem Staat Israel oder mit allen Menschen, die von Vernichtung bedroht ist – inklusive der Palästinenser:innen in Gaza?
Da die meisten Menschen in Deutschland keine persönliche Erinnerung an den Nationalsozialismus haben, muss aus dem Gedenken ein Lernen werden – nicht staatlich verordnet, sondern selbst erarbeitet. 
Auf dem Panel diskutieren Expert:innen darüber, wie eine pluralistische, zukunftsorientierte Erinnerungskultur aussehen könnte. Sie verfolgen dabei einen multiperspektivischen Ansatz, der den Holocaust nicht nur aus deutscher Sicht und auf der Grundlage deutscher Abstammung betrachtet, sondern auch andere Erfahrungen mit Vertreibung, Verfolgung und Rassismus miteinbezieht, die zum historischen Bewusstsein beitragen können. Statt Syrer, Ukrainer, Vietnamesen, Türken und Palästinenser aufzufordern, dem Staat Israel die Treue zu schwören, hilft dieser Ansatz, sich wieder auf den Holocaust als singuläres Menschheitsverbrechen zu konzentrieren.
Was bedeutet das für Politik, Bildung und Zivilgesellschaft? Wie sieht eine Erinnerungskultur aus, die der spezifisch deutschen Verantwortung gerecht wird und dabei den allgemeingültigen Lehren aus dem Holocaust verpflichtet bleibt?
Teilnehmer*innen:  Wolfgang Benz, Asal Dardan, Sarah El Bulbeisi und Gerhard Hanloser
Moderation: Kristin Helberg

Eine Diskussion über die Auswirkungen der deutschen Staatsräson auf die Gesellschaft, den Staat und seine Politik.

Deutschlands Umgang mit Israel, Palästina und dem Krieg in Gaza wird oft mit der nicht genauer definierten „deutschen Staatsräson“ erklärt und begründet. Dabei nutzen Politiker*innen, Journalist*innen und Expert*innen den Begriff, um eigene Vorstellungen und Interessen damit zu untermauern - die Staatsräson ist dadurch zur Projektionsfläche geworden.

Für in Deutschland lebende Palästinenser*innen und Israelis sowie muslimische und jüdische Menschen hat die Staatsräson-Debatte allerdings schwerwiegende Auswirkungen. Wir wollen verstehen, wie ihr Leben, ihre Beziehungen untereinander und ihr Verhältnis zum Staat davon betroffen sind. Und wir wollen darüber sprechen, welche Rolle die Staatsräson in der deutschen Debatte über Antisemitismus, Rassismus und Migrationsfeindlichkeit spielt.

Was können Minderheiten und kritische Teile der Gesellschaft tun, um offene und sichere Diskursräume zu schaffen und inhaltlich zu füllen? Wie können sie sich gegen ungewollte Vereinnahmung wehren und verhindern, als vermeintlich homogene Gruppen gegeneinander ausgespielt zu werden? Wie können sie dazu beitragen, das Problem des zunehmenden Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland zu erkennen und gemeinsam zu bekämpfen?

Wir wollen an dem Abend einen ersten Schritt gehen - raus aus der Sackgasse, in der die Nahost-Debatte in Deutschland seit Monaten feststeckt, hinein in eine respektvolle und wertschätzende Diskussion, die verschiedene Meinungen und Wahrnehmungen aushält, während sie zugleich die Rechte aller in den Mittelpunkt stellt.

Diskussionsteilnehmer*innen:
Dr. Nahed Samour, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Radboud University, Nijmegen, hat Rechtswissenschaften und Islamwissenschaften an den Universitäten Bonn, Birzeit/Ramallah, London (SOAS), Berlin (HU), Harvard und Damaskus studiert. Sie war Promotionsstipendiatin am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main. Sie war Referendarin am Kammergericht Berlin, Postdoktorandin am Eric Castrén Institute of International Law and Human Rights, Universität Helsinki, Finnland, und Early Career Fellow am Lichtenberg-Kolleg, Göttinger Institut für Höhere Studien. Von 2014-2018 lehrte sie als Junior Faculty am Harvard Law School Institute for Global Law and Policy. Von 2019-2022 war sie Core Emerging Investigator am Integrativen Forschungsinstitut Recht & Gesellschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

Deborah Feldman ist eine deutsch-amerikanische Autorin, sie wurde 1986 in New York geboren und wuchs bei ihren Großeltern, Holocaust-Überlebenden aus Ungarn, in der chassidischen, streng religiösen Satmarer-Gemeinde in Williamsburg auf. Ihre Muttersprache ist Jiddisch. Sie studierte heimlich Literatur und brach schließlich aus der Gemeinde aus; später zog sie mit ihrem Sohn nach Berlin. Ihre autobiografische Erzählung »Unorthodox« wurde schlagartig zum New-York-Times-Bestseller, erreichte eine Millionenauflage und wurde in 30 Sprachen übersetzt, sowie in der internationalen Verfilmung mit einem Emmy ausgezeichnet.

Prof. Dr. Uffa Jensen ist Historiker und seit 2017 Professor für Antisemitismusforschung sowie stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkten umfassen die Geschichte des Antisemitismus, der deutschen Juden, der Psychoanalyse, der Emotionsgeschichte und der historischen Bildforschung. Zu seinen neuesten Publikationen zählen: „Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“ und „Zornpolitik“ (Berlin 2017).

Stephan Detjen ist Chefkorrespondent des Deutschlandradios. Er arbeitete beim Bayerischen Rundfunk sowie als rechtspolitischer Korrespondent des Deutschlandfunks in Karlsruhe. Seit 1999 war er Parlamentskorrespondent des Deutschlandfunks in Berlin. Seit 2012 leitet er als Chefkorrespondent der drei Deutschlandradio Programme das  Hauptstadtstudio des Senders in Berlin sowie das Studio Brüssel. Stephan Detjen hat Bücher und Aufsätze zu juristischen und zeitgeschichtlichen Themen veröffentlicht, zuletzt gemeinsam mit Max Steinbeis „Die Zauberlehrlinge. Der Streit um die Flüchtlingspolitik und der Mythos vom Rechtsbruch“.

Moderation
Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Kristin Helberg berichtete sieben Jahre lang von Damaskus aus über den Nahen und Mittleren Osten für deutsche, österreichische und Schweizer Hörfunkprogramme sowie verschiedene Print- und Onlinemedien. Heute arbeitet sie als Autorin, Nahostexpertin und Moderatorin in Berlin. Im Herder Verlag erschienen von ihr „Verzerrte Sichtweisen – Syrer bei uns. Von Ängsten, Missverständnissen und einem veränderten Land“ (2016) und „Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts“ (2018). Als Stipendiatin der Stiftung Mercator untersuchte sie die syrische Diaspora in Deutschland.

Eine Diskussion über linke Positionen im Nahostkonflikt und was diese mit dem Zustand der deutschen Linken zu tun haben

Die deutsche politische Linke ist so schwach wie nie – gespalten und ohne Einfluss, mit sich beschäftigt und bedeutungslos. Der Grundgedanke der Solidarität mit den sozial Schwachen, den politisch Unterdrückten und den gesellschaftlich Marginalisierten ist in den Hintergrund getreten, stattdessen dominieren populistische Forderungen und ideologische Denkschablonen. Davon profitieren vor allem rechte und nationalistische Kräfte.

Besonders deutlich wird die Zerrissenheit der Linken in außenpolitischen Fragen, auch im Nahen Osten. Statt Grundlagen des Völkerrechts und menschenrechtsbasierte Positionen gegenüber allen Akteur*innen hochzuhalten, haben sich Linke beim Thema Israel und Palästina in feindseligen Lagern eingerichtet. Die einen betonen Israels Recht auf Selbstverteidigung, die anderen das Recht der Palästinenser*innen auf Widerstand, gegenseitig beschimpft man sich als „Israel-Hasser“ und „Genozid-Komplizen“.

Wie kann es sein, dass die Verteidigung von Menschenrechten, die Teil der DNA jeder linken Bewegung ist, zu so unterschiedlichen Positionen führt? Was hat diese Entwicklung mit der deutschen Vergangenheit, dem Holocaust und der Staatsräson zu tun? Welche Rolle spielen andere Themen – sozioökonomische Fragen, Klimawandel, Pazifismus, Migration und Integration? Gibt es einen Minimalkonsens linker Überzeugungen, der den öffentlichen Diskurs zurück in die Mitte holen und auf demokratische, rechtsstaatliche Grundlagen stellen könnte? Und lässt sich ein Konzept für modernes linkes Denken finden, das bei den Herausforderungen unserer Zeit Orientierung bietet?

Teilnehmer*innen: Kristin Helberg (Moderatorin), Dr. Emilia Roig, Nadim, Professor Dr. Dr. h.c. malt. Gesine Schwan, Robert Misik

Die Veranstaltung ist Teil der Zeit zu redenVeranstaltungsreihe.

Eine kritische Diskussion über Anspruch und Wirklichkeit, Funktionen und Strategien in Zeiten des Krieges.

Israels militärisches Vorgehen in Gaza nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 ist zum Prüfstein für das Humanitäre Völkerrecht geworden. Dieses entstand nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel, Regeln für den Krieg zu entwickeln, die Zivilisten schützen und Leid minimieren sollten. Dokumente wie die Genozidkonvention und die Genfer Abkommen haben inzwischen fast universelle Gültigkeit. Dennoch sind Kriegsverbrechen in vielen Konflikten der vergangenen Jahrzehnte nicht verfolgt worden – meist, weil die Mitglieder des Weltsicherheitsrates eine Aufarbeitung der eigenen Taten oder der Verbrechen verbündeter Staaten verhinderten.

Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung palästinensischer Existenz in Gaza und im Westjordanland erweist sich das Humanitäre Völkerrecht nun endgültig als abstraktes Versprechen, das westliche Mächte vor allem im eigenen Interesse einsetzen. Obwohl die beiden wichtigsten völkerrechtlichen Institutionen Verfahren gegen Israel bzw. israelische Politiker eingeleitet haben – der Internationale Gerichtshof untersucht den Vorwurf des Genozids, der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen – führen selbst eindeutige Stellungnahmen und verbindliche Anweisungen zu nichts.  

Jetzt spielt US-Präsident Donald Trump offen mit dem Gedanken einer ethnischen Säuberung des Gazastreifens. Und der zukünftige  deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz kündigt an, den Haftbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu nicht respektieren zu wollen. Eine solche Missachtung strafrechtlicher Maßnahmen – ausgerechnet von einem Staat wie Deutschland, das sich aufgrund seiner historischen Verantwortung stets für die Weiterentwicklung und Durchsetzung des Völkerstrafrechts eingesetzt hat – lässt grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Effektivität internationaler juristischer Mechanismen aufkommen.  

Ist es an der Zeit, ein neues Völkerrechtskonzept aus der Perspektive der Opfer zu entwickeln? Oder kann das bestehende Recht so reformiert werden, dass sich Verbrechen wie in Gaza nicht wiederholen? Wie lässt sich verhindern, dass politische Machtverhältnisse über die Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen entscheiden? Und wie müsste eine multilaterale Weltordnung ausgestaltet sein, die Verbrechen unabhängig vom Aggressor ahndet? Wo bleibt der Anspruch – 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – jeden Menschen vor Kriegsverbrechen zu schützen?  

Teilnehmer*innen: Martin Kobler, Khaled El Mahmoud, Dr. Julia Duchrow, Prof. Dr. Matthias Goldmann 
Moderation: Kristin Helberg