Der Aufsteiger
Eine Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute
Seit der Wiedervereinigung von 1990 hat sich die Bundesrepublik enorm verändert. Das Land ist territorial größer und bevölkerungsreicher geworden, und gleichsam über Nacht ist dieses neue Deutschland, die Berliner Republik, in die Rolle einer kontinentalen Großmacht mit weltpolitischem Gewicht geschlüpft. Auch die äußere Wahrnehmung des Landes wandelte sich in den letzten 30 Jahren: Zum einen machten sich in Europa Ängste breit, wie dieser bis dahin relativ "gütige Hegemon" künftig agieren werde. Gleichzeitig wiesen weltweite Umfragen darauf hin, dass Deutschland zum "beliebtesten" Land der Welt geworden sei - eine Entwicklung, die 1945 völlig unvorstellbar gewesen war.
Parallel belasteten die Probleme mit der "inneren Einheit" die Bundesrepublik: Deutschland war ein zwischen Ost und West gespaltenes Land und es breitete sich ein Pessimismus in der Mitte der Gesellschaft aus, der die Republik zu beschädigen drohte. Zaudernder Riese nach außen, verunsicherte Demokratie im Innern? Ist Deutschland noch immer eine "geglückte Demokratie"? Eine Pflichtlektüre für alle, die die neuen Herausforderungen verstehen wollen, vor denen Deutschland in der komplizierten, ja aus den Fugen geratenen Welt von heute steht.
Die erste historische Gesamtdarstellung der Berliner Republik
Pointiert und anschaulich erzählt - die Geschichte der deutschen Demokratie von 1990 bis heute. Eindringlich werden Herausforderungen, neue Probleme und Erfolge in Innenpolitik, Sozialkultur und Außenpolitik benannt. Die erste moderne und konzise Gesamtdarstellung der Ereignisse, Strukturen und Akteure, die aus den letzten 30 Jahren schließlich eine Geschichte des Aufstiegs gemacht haben.
Geschichte einer großen Suchbewegung. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung zieht Historiker Edgar Wolfrum eine Zwischenbilanz: In „Der Aufsteiger“ erzählt er die politische Geschichte Deutschlands der Jahre 1990 bis heute nach – nüchtern, verlässlich, aber an einigen Stellen zu knapp. Eine Rezension von Dietmar Süß → Deutschlandfunk Kultur 17.07.2020
Der Autor:
Warum sprechen Sie von Deutschland als Aufsteiger?
»Der Aufsteiger« hat natürlich seine Grenzen, doch in diesem Bild kommen viele Facetten und Wandlungen gut zum Ausdruck. Deutschland stieg nach 1990 in die erste Liga der Staatengemeinschaft auf – wo es zuvor nur auf wirtschaftlichem Gebiet zu finden war, Wirtschaftswunderland war es seit Mitte der 1950er Jahre gewesen. Nun trat zur Wirtschaftsmacht auch der politische Aufstieg hinzu, eine Karriere sondergleichen, die das Land erst akzeptieren oder verkraften musste. Die Erwartungen von außen waren enorm. Für die einen wurde Deutschland zum Sehnsuchtsort, andere sahen ängstlich oder mit Furcht auf die neue Macht in der Mitte Europas. All diese Zuschreibungen und Wechselwirkungen schimmern durch, wenn die Assoziation des Aufsteigers geweckt wird. Woran machen Sie diese Erfolgsgeschichte im Einzelnen fest? Da ist zuallererst das Glück der deutschen Einheit zu nennen. Die Deutschen erhielten eine zweite Chance, das kommt nicht oft im Leben vor. Unter ungewöhnlich günstigen Bedingungen ist etwas Großes geglückt. In der Mitte des geeinten Europa liegt heute eine beeindruckend stabile, wohlhabende Demokratie. Dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution existieren beileibe nicht mehr die großen Gräben zwischen Ost und West. Insgesamt ist es den Deutschen noch nie zuvor so gut gegangen wie gegenwärtig. Eine 15-jährige wirtschaftliche Boomphase liegt hinter uns; nie zuvor seit der Wiedervereinigung gab es so wenige Arbeitslose, nie zuvor waren mehr Menschen beschäftigt. Deutschland hat am meisten von der Globalisierung profitiert und ist ein international gefragter Partner. Unser Land verfügt über stabile demokratische Institutionen, über höchste Sozialstandards, über eine sehr gute Infrastruktur und ein hohes Bildungsniveau. Betrachtet man das Land von außen und vergleicht es mit ähnlich großen Nationen, so muss man ins Schwärmen kommen. Jedenfalls können viele ausländische Beobachter das Miesepeterische der Deutschen nicht verstehen. In einem der wohlhabendsten Länder der Erde herrscht permanent Krisenstimmung, die keinerlei Grundlage hat.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass sich trotz dieser Erfolge in Deutschland eine pessimistische Grundstimmung ausbreitet?
Vorsicht! Im Jahr 2018 beurteilten drei Viertel der Deutschen ihre Lage als sehr gut oder gut, nur 20 bis 25 Prozent sagten, dass sie unzufrieden sind. Niemals zuvor gab es solche guten Werte. Aber man kann den Eindruck gewinnen, dass die Stimmung schlecht ist. Natürlich gibt es Probleme, die Welt scheint irgendwie aus den Fugen, alte Gewissheiten zerbröseln, die Parteiendemokratie kriselt, eine Politikverdrossenheit breitet sich aus. Doch vieles wird erzeugt, alles wird skandalisiert. Die Erregung über tatsächliche oder angebliche Missstände im Land ist hoch. So entstehen Echokammern. Viele erleben ihren gestiegenen Wohlstand im Zwiespalt – man könnte das einen Wohlstand des Unbehagens nennen. »Wut«-Bürger hat es in verschiedenen Dimensionen immer schon gegeben. Neu ist, dass sie nun Brandstifter sind. Seit der Flüchtlingskrise kamen antimuslimische Ressentiments dazu. Es entstand ein simples Weltbild, einer identitären Politik wurde gehuldigt, so als könne man sich von der Welt abschotten. Der Rechtspopulismus zieht die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso in den Schmutz wie die friedliche Revolution von 1989, in der Ostdeutsche Freiheit und Pluralismus erkämpften. Wir müssen uns darauf besinnen, dass Deutschland – das ist die Lehre aus der Zerstörung der Weimarer Republik – eine wehrhafte Demokratie ist. Historisch gescheitert sind bisher immer die Feinde der Demokratie und der Freiheit. Demokratie und Freiheit müssen auch in Zukunft verteidigt werden.
Erstellt: 29.02.2020 - 07:55 | Geändert: 12.11.2024 - 17:23