Hrsg. Reinhard Opitz

Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 - 1945

190 Dokumente zur Hegemonialpolitik der deutschen Eliten sind in diesem Quellenwerk mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat veröffentlicht. Eine unverzichtbare Grundlage, wenn es um die Beruteilung der aktuellen Strategien des neuen Großdeutschland geht. 

Rezension: Imperialistische Großraumwirtschaft  

Reinhard Opitz’ Dokumentenband über die »Europastrategien des deutschen Kapitals von 1900–1945« von Jürgen Lloyd Junge Welt 03.12.2019

Im Juni 1976 hält der marxistische Publizist und Sozialwissenschaftler Reinhard Opitz am Westberliner Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung einen Vortrag über »Das Verhältnis von Ökonomie und Politik 1933–1945 im Lichte von Wirtschaftsdokumenten«.¹ Die Frage nach diesem Verhältnis ist dabei, so stellt Opitz klar, »die in allen faschismustheoretischen Auseinandersetzungen letztendlich umstrittene Frage«.

ISBN 978-3-7609-0225-8 Pahl-Rugenstein Verlag Köln 1977 vergriffen Mehr Infos (Buch) → d-nb.info

Faschismustheorien

All jenen Theorien, die den Faschismus aus der »charismatischen Persönlichkeit« seiner Führer, aus den Verselbständigungstendenzen von Bürokratien, den orientierungslos gewordenen Massen, oder aus der Propagandawirkung faschistischer Bewegungen erklären wollen, Theorien also, die den Faschismus alleine aus der Sphäre der Politik deuten, käme kein wissenschaftlich relevanter Einfluss mehr zu, urteilte er – für die damalige Zeit wohl zutreffend. Wenn selbst in dieser Hinsicht seither manche theoretischen Rückschritte zu beklagen sind, so dürfte doch auch heute noch seine Einschätzung zutreffen, dass zumindest innerhalb der politischen Linken übereinstimmend von einer irgendwie gearteten Bedeutung der Ökonomie für das Entstehen von Faschismus ausgegangen wird. Zur letztlich umstrittenen Frage wird hier also der Grad der Autonomie, die politischen Entscheidungen gegenüber der ökonomischen Basis zukommt. Es geht somit um das Verständnis der historisch-konkreten Form, in der »die Ökonomie« ihre Geltung in »der Politik« besitzt. Mit der populär gewordenen Wiederholung des Horkheimer-Zitats »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen« ist es demnach noch nicht getan. Das ist die Problemstellung, die Opitz in dem oben erwähnten Vortrag (und nicht nur dort) bearbeitet und als Frage nach dem Primat von Politik oder Ökonomie bezeichnet hat.

Opitz differenziert hierbei zwischen denjenigen Theorien, die den Faschismus ausschließlich aus dem Bereich der Politik deuten (also laut Horkheimer besser auch vom Faschismus schweigen sollten) und solchen, die sehr wohl von Kapitalismus reden, dabei aber nicht – wie die marxistische Faschismustheorie – in der von Lenin als Imperialismus analysierten Herrschaft des Monopolkapitals die kausale Ursache für den Faschismus erfassen, sondern in der Ökonomie des Kapitalismus eine Bedingung für andere – letztlich dann doch »politische« – Ursachen des Faschismus sehen. Solche Ansätze wären z. B. solche, die psychologisierend darstellen, wie der Kapitalismus für die Ausprägung des autoritären Charakters verantwortlich ist, dem dann wesentliche Bedeutung für die Etablierung des Faschismus zugeschrieben wird. Verbreiteter noch sind Ansätze, die soziologisierend kapitalistische Wirtschaftskrisen als Hintergrund für das Erstarken einer faschistischen Massenbewegung erkennen und dann meinen, mit der faschistischen Bewegung – hier schlägt dann wieder die Annahme eines Politikprimats durch – die Ursache des Faschismus identifiziert zu haben.

Ebenso fallen hierunter vulgärmarxistische Ansätze, deren Verfechter geltend machen, von »der Ökonomie« auszugehen, unter Ökonomie aber nur die unmittelbare Profithascherei verstehen.  Weiter unter: Jürgen Lloyd Junge Welt 03.12.2019

 

 

Aus dem Vorwort

Das zunehmende Bedürfnis nach einer Aufarbeitung der Expansionsstrategien des deutschen Kapitals, zunächst besonders seiner Europastrategien, entspringt evidenterweise weniger einem rückwärtsgewandten Interesse als weit mehr dem Motiv, das politische Geschehen der unmittelbar jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart in all seinen wirklichen Zusammenhängen  zu begreifen

Tatsächlich kommt keine Diskussion, die heute auch nur irgendwie diesem Bemühen zuzurechnen ist, ohne die Kenntnis der kapitalistischen Expansionskonzeptionen, ihrer wichtigsten periodenspezifischen Ausprägungen und jeweiligen ideologischen Vortragsformen aus.

Das gilt nicht nur - wenn auch freilich zuallererst - für die zeitgeschichtlichen Diskussionen über die Geschichte und Vorgeschichte des zweiten und des ersten Weltkrieges und die in diesem Zusammenhang jeweils geführte Kriegsursachen-, Kriegsziel- und Kriegsschulddebatte. Es gilt auch nicht nur - so wenig dies allerdings unseren Historikern, da wir schon in allergische Nähe zur Gegenwart geraten, überhaupt im Blickfeld zu liegen scheint - für jede Beschäftigung mit der Außenpolitik      der Regierungen der Weimarer Republik wie für die Interpretation übrigens auch eines gut Teils ihrer Innenpolitik und zahlreicher einzelner Erscheinungen und Vorgänge der Weimarer Zeit. Es gilt genauso für die Mehrzahl der in den letzten Jahren geführten gesellschaftstheoretischen Diskussionen über das Verhältnis von Ökonomie und Politik, Es gilt insbesondere für die Imperialismusdebatte und die Faschismusdebatte, es gilt für alle Diskussionen über die Staatsfunktion im Monopolkapitalismus und den "staatsmonopolistischen Kapitalismus", es gilt für die Ideologiedebatte, die Demokratiedebatte usw. Und es gilt natürlich auch und erst recht für alle Erörterungen der unmittelbar aktuellen Außenpolitik, darunter wiederum gerade auch ihrer europabezogenen Seiten, nicht nur der unter die gleichsam offiziellen Stichworte "Europapolitik" und "Europadiskussion" im EG-Sprachgebrauch fallenden, sondern auch alle übrigen, unter welchen Bezeichnungen immer - ob Ostpolitik, Mittelmeerpolitik, Balkanpolitik, Nordeuropapolitik usw. - sie firmieren.

Es gilt, wie spätestens an letzterem bemerkbar, damit dann aber natürlich und nicht zuletzt auch für jeden Versuch einer Aufarbeitung und Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik, deren Anfänge und staatskonstituierenden Ausgangskonzeptionen sich ebensowenig wie ihr weiterer Weg abgetrennt vom Kontext der klassischen deutschen Kapitalstrategien verstehen lassen.

Der Grund für diese komplexe Relevanz des Themas "Expansionsstrategien" ist leicht anzugeben. Da Expansion kein dem monopolistischen Kapital äußerliches, sondern dessen wesentliches, innerstes Bewegungs- und Lebensgesetz zum Ausdruck bringendes Bedürfnis und Merkmal ist, kann der monopolistische Expansionismus sich zwar in seine Zielsetzungen und in der Wahl seiner Mittel veränderten ökonomischen und politischen Bedingungen anpassen, nicht aber als solcher, solange ein System des monopolistischen Kapitalismus besteht, verschwinden. Es gibt mithin in allen derartigen Ländern notwendig eine Kontinuität des Expansionismus, in welchen Formen, d.h. mit welchen zeitbedingt abgewandten Zielprogrammen und in welchen entsprechenden politischen Strategien und ideologischen Zielprogrammen und in welchen entsprechenden politischen Strategien und ideologischen Konzeptionen er auch jeweils in Erscheinung treten mag... [Seite 22/23]

 

Eurokrise, Krieg und die Europastratgien des Deutschen Kapitals: Und wo sie eine Wüste hinterlassen, nennen sie das Frieden. (Tacitus, Agricola) Allzuoft nämlich schlägt dem, der die Dinge beim Namen nennt, entgegen: „Das ist aber ein erschreckendes Bild“, Oder „Aber sei bitte nicht wieder so düster!“ Und dann hebt eine unselige Debatte an, die meistens eingeleitet wird mit: „Du hast ja recht, aber wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind.“ von Stefan Eggerdinger. Freidenker 16.10.2012

 

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Erstellt: 19.03.2025 - 10:08  |  Geändert: 27.04.2025 - 09:05