Johannes Agnoli
oder: Subversion als Wissenschaft

Im Anfang war die Subversion. Im Deutschen hat der Begriff einen negativen Beigeschmack, für Johannes Agnoli (1925-2003) war er hingegen der Inbegriff von Befreiung - und dieser verschrieb er sich als Professor für Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut in Berlin. Am 22. Februar 1925, vor 100 Jahren, wurde Johannes Agnoli geboren.
Sein bekanntestes Buch erschien 1967: »Transformation der Demokratie«, eine der bedeutendsten parlamentarismuskritischen Schriften der Nachkriegszeit, ein »theoretischer Meilenstein« (Joachim Hirsch). »Keine Freiheit für den, der von ihr Gebrauch macht«, fasste der Publizist Sebastian Haffner 1967 Agnolis Analyse der Herrschaftstechniken gegenüber »Subversiven« in einer Rezension zusammen - die Antiautoritären von 1968 sollten es am eigenen Leib spüren.
Die Verfassung der Bundesrepublik interpretierte Agnoli als Klassenkompromiss, aber einen, der nicht offen für ein sozialistisches Projekt war, wie etwa sein Kollege Wolfgang Abendroth glaubte, sondern einen, der hauptsächlich dazu gedacht war, die Massen von der Macht fernzuhalten. Gerade diese kritische Perspektive machen seine Arbeiten zu parlamentarischer Demokratie in Zeiten von Krise, Autoritarismus und faschistischer Gefahr so aktuell. Dabei folgte seine geduldige und ironische Art, auf Emanzipation und Subversion zu setzen, dem Prinzip Hoffnung.
Die biografische Miniatur gibt Einblick in Agnolis Leben und bietet einen guten Einstieg in sein Denken - auch dank einiger Originaltexte, die nun erstmals in gedruckter Form vorliegen.
Wahlzettel statt Gewehrkugeln: »Transformation der Demokratie« ist eigentlich immer. Vor 100 Jahren wurde Johannes Agnoli geboren: Angesichts des gottlob zu Ende gegangenen Wahlkampfelends und zwecks Beförderung von Wahlfrust hier, frei Haus geliefert, nicht im geringsten gealterte Powersätze: »Die politische Partei des Verfassungsstaates (…) wirkt in letzter Instanz als Klassenorgan der Konservation, weil sie keine Klassen mehr zu erkennen vorgibt, sondern nur noch ›Menschen‹, keine gesellschaftlich bezogene Idee, sondern nur ›Sachen‹.« »Die Leerformelhaftigkeit der konkurrierenden Parteien erinnert (…) an den Schein der Konkurrenz im Konsumsektor (…).« Den Wählern wird »lediglich die Illusion eines offenen Wettbewerbs (…) geboten. In Wirklichkeit wird das politische wie das konsumierende Publikum mit scheinunterschiedlichen Gütern beliefert«. Die Parteien »bilden die plurale Fassung einer Einheitspartei – plural in der Methode des Herrschens, einheitlich als Träger der staatlichen Herrschaft gegenüber der Bevölkerung«. Von Daniel Bratanovic junge Welt 22.02.2025
Auf der Suche nach der Revolution: Eine Publikation im Dietz Verlag würdigt Johannes Agnoli zum 100. Geburtstag: Sie waren die »Kinder der Nazis«: So lautet eine gängige Beschreibung der »68er«-Generation, gern auch von rechts. Was biografisch in vielen Fällen stimmt, taugt deshalb noch lange nicht zur Bestimmung der globalen Politisierungswelle, die im Laufe der 1960er Jahre auch Europa und die Bundesrepublik erfasste. Tatsächlich war die Neue Linke, wie der akademische Teil der Außerparlamentarischen Opposition (APO) bald genannt wurde, altersmäßig divers. Grob kann hier unterschieden werden zwischen denjenigen »68ern«, die während oder sogar vor dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden sowie den Jüngeren, deren Geburtsjahr nach 1948 liegt. Hier wird etwas sehr Wichtiges deutlich: Die politische Stellung zu den Verhältnissen ist nicht hauptsächlich formal-determiniert, sondern inhaltlich-willensbestimmt; eine Positionierung eben. Ein hervorragender Beleg für diese Tatsache sind Leben und Werk von Johannes Agnoli, marxistischer Politikwissenschaftler und öffentlicher Intellektueller, Deutsch-Italiener, Jahrgang 1925. Von Tanja Röckemann Neues Deutschland 21.02.2025
Der Autor
Johannes Agnoli (* 22. Februar 1925 in Valle di Cadore, Italien; † 4. Mai 2003 in San Quirico di Moriano bei Lucca, Italien) war ein deutscher Politikwissenschaftler italienischer Herkunft, der bis 1990 am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin eine Professur für Politikwissenschaft innehatte. Besonders bekannt wurde er durch seinen bestimmenden Einfluss auf die Studentenbewegung und die Außerparlamentarische Bewegung, vor allem durch seinen Essay Die Transformation der Demokratie (1967).
Johannes-Agnoli-Bibliothek Rosa Luxemburg Stiftung
Der Herausgeber
Michael Hewener ist beteiligt an Kribi – Kollektiv für politische Bildung Berlin und reflect! Assoziation für politische Bildung und Gesellschaftsforschung e. V.
Erstellt: 24.02.2025 - 06:59 | Geändert: 24.02.2025 - 07:27