Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden auf dem Armenfriedhof von Timișoara zweimal nicht identifizierte Leichen gefunden, zunächst Ende Dezember. Diese waren anscheinend vor den Kämpfen eines natürlichen Todes gestorben. Diese Leichen, darunter eine Frau mit einem Kind auf dem Bauch, wurden von einem jugoslawischen Journalisten fotografiert und galten irrtümlich als Beweis für die Verbrechen der Securitate. Anfang Januar fand man erneut 13 Leichen mit deutlich erkennbaren Schusswunden, die am 27. Dezember in einem Massengrab beigesetzt worden waren. Nach Auskunft des Gerichtsmediziners Timișoaras, Dr. Dressler, gab es am 21. Dezember im Leichenschauhaus des Kreiskrankenhauses 25 Leichen mit erkennbaren Schusswunden. 15 waren den Angehörigen übergeben worden, 10 konnten nicht identifiziert werden. Ein Mensch war durch einen Schuss in die Mundhöhle gestorben, zwei Personen waren eines natürlichen Todes gestorben und hatten keine Angehörigen, diese 13 Toten waren am 27. Dezember auf dem Armenfriedhof Timișoaras begraben worden.[56] Durch die irrtümliche Verbreitung der Bilder des ersten Leichenfundes entstand später die Vermutung, es habe in Timișoara überhaupt keine Toten gegeben. Am 15. Januar 1990 gab der Kreisrat von Timișoara bekannt, dass 71 bei den Kämpfen getötete Personen namentlich identifiziert waren, die Zahl der Vermissten wurde mit 33 angegeben.[57] Insgesamt wird von 153 Toten in Timișoara ausgegangen.[58] Die Altersstruktur der Opfer bietet einen Einblick in die Teilnehmerstruktur, da es vorwiegend junge Leute waren, die während der Revolution verletzt wurden oder ihr Leben verloren. In diesem Zusammenhang etablierte sich der Begriff „Revolution der Jungen“, ein Schlagwort, das später nicht nur von Ion Iliescu verwendet und instrumentalisiert wurde.[59]
Bis zum heutigen Tag kontrovers diskutiert wird die Frage nach den Hintergründen, insbesondere ob es der Sieg eines spontan ausgebrochenen Volksaufstandes oder der Staatsstreich einer Verschwörergruppe war oder ob es mehrere Handlungsstränge gab.
Auch die Rolle des rumänischen Staatsfernsehens wurde kritisch hinterfragt. Verschwörungstheoretische Stimmen führten an, dass das rumänische Fernsehen die Revolution zwar nicht gemacht habe, aber eine Fraktion der Nomenklatura hätte sich des Fernsehens bedient, um eine Palastrevolte zu initiieren. Die „spontanen“ Volkserhebungen seien vom Fernsehen gelenkt und gesteuert worden. Das Fernsehen habe gleichsam „live“ das gefilmt, was es selbst inszenierte und vorbereitete. Kennzeichen dieser „Tele-Revolution“ (rumänisch Telerevolutia) sei die Aufhebung der Trennung von Real und Realität: Das Inszenierte sei als real und das Manipulierte als spontan maskiert worden.[60]
Die Diskussion wurde intensiviert, weil die nachrevolutionären Machthaber Rumäniens an der Klärung vieler Fragen kein Interesse hatten. Als gesichert kann gelten, dass es im kommunistischen Establishment eine oder auch mehrere Konspirationen gegen die Ceaușescu-Herrschaft gab.[61] Die Verschwörer hatten Kontakte zur Sowjetunion und zu rumänischen Nichtkommunisten. Für die These, die Unruhen in Timișoara seien im Rahmen einer Staatsstreichplanung sorgfältig vorbereitet worden,[62] gibt es jedoch keine Belege. Die Provokateure, die nach vielen Augenzeugenberichten in den ersten Tagen der Unruhen in Timișoara unterwegs waren, können auch Bestandteil von Ceaușescus eigenem „Drehbuch“ zum Umgang mit Revolten gewesen sein. Die rumänischen Sicherheitskräfte gingen bei den Unruhen 1977 im Schiltal und 1987 in Brașov ähnlich vor: Sie tolerierten die Unruhen oder stifteten sie sogar an, um sie dann niederzuschlagen und gegen die Beteiligten vorzugehen.[63] Es ist auch möglich, dass sie Unruhen inszenieren wollten, um von der Deportation des populären Pfarrers Tőkés abzulenken. Das Ceaușescu-System war in höherem Maß als andere Diktaturen auf die Person des Herrschers ausgerichtet. Mit dessen Flucht brach die Loyalität zum System zusammen: Im darauffolgenden Chaos konnten die Konspirateure um Iliescu leicht die Macht an sich reißen.
Bislang nicht zufriedenstellend beantwortet sind unter anderem folgende Fragen:
Wer gab den Schießbefehl in Timișoara? Der Hubschrauber mit den beiden Abgesandten des Innenministeriums in Timișoara, den Generälen Nuță und Mihalea, wurde während der Revolution auf dem Rückweg nach Bukarest abgeschossen. Die beiden Generäle Chițac und Stănculescu übten im postrevolutionären Rumänien hohe Funktionen aus. Sie wurden erst 1999 wegen ihrer Beteiligung an der Repression in Timișoara zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Wann und warum wechselten Militär und Securitate die Fronten? Gab es Machtkämpfe unter den bewaffneten Organen? Eine im Jahr 2005 vorgenommene Autopsie der Leiche von Verteidigungsminister Milea ergab, dass dieser Selbstmord begangen hatte. Warum?
Wer waren die „Terroristen“, die nach der Flucht Ceaușescus auf Volk und Militär schossen? Niemand von ihnen wurde je gefasst und verurteilt. Die Securitate besaß mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtregistrierte Waffen und Munition. Gegen die neuen Machthaber wurde der Vorwurf erhoben, die Schießereien selbst inszeniert zu haben oder doch zumindest geduldet zu haben, um ihre eigene Unentbehrlichkeit als Ordnungsmacht unter Beweis zu stellen und eine revolutionäre Legitimation zu gewinnen. Am 24. Dezember wurde die Bevölkerung durch eine Schlagzeile in der Zeitung Scînteia poporului: „Alle, die eine Waffe bedienen können – zu den Waffen!“ gerufen.[41] Möglich ist auch, dass aus Waisenhäusern rekrutierte Securitate-Einheiten, die eine besonders hohe persönliche Loyalität zu den Ceaușescus hatten, die Schüsse abgaben. Viele Schusswechsel beruhten auch auf Missverständnissen (man wusste nicht, wer für oder gegen Ceaușescu war) und unsachgemäßem Umgang mit Waffen.
Am 22. April 1990 übertrug der französische Sender Télévision française 1 (TF1) geheime neue Videoaufnahmen des Ceaușescu-Prozesses. Die Bänder enthielten Szenen mit den Richtern, wie das verurteilte Ehepaar zur Hinrichtung weggeführt wurde, wie Elena Ceaușescu sich weigerte, ihre Hände fesseln zu lassen, und wie das Paar erschossen und dann weggetragen wurde. Hierbei handelte es sich um Szenen, die in den Übertragungen zum Zeitpunkt der Revolution ausgelassen worden waren. Der hier gezeigte Vorsitzende Richter, Gică Popa, nahm sich am 1. März 1990 das Leben.[41] Der Präsident des Freien Rumänischen Fernsehen erhob bald danach Anspruch auf Schadenersatz, weil das Video, das TF 1 für 50.000 Franc von einem „unbekannten Verkäufer“ erworben hatte, eine Schwarzkopie war, und drohte auf internationaler Ebene rechtliche Schritte einzuleiten. Ballistikexperten eines unabhängigen französischen Gerichtslabors wurden beauftragt die Aufnahmen zu analysieren. Aus der schriftlichen Erklärung des Labordirektors ergab sich, dass ausgehend vom offensichtlichen Gerinnungsgrad des Blutes die Körper des hingerichteten Paares schon einige Stunden vor der im Video gezeigten Hinrichtung tot gewesen sein mussten; daher gebe es Grund zur Annahme einer Manipulation der Aufnahmen – aber zu welchem Zweck und auf wessen Anweisung?