Die neuen Biedermenschen. Von der 68er-Rebellion zum linksliberalen Establishment. Von Karl Kollmann

Ein halbes Jahrhundert nach dem Aufbruch, der im Jahre 1968 weite Teile der Jugend Europas erfasst hatte, sind aus den Versatzstücken einer Kultur des Aufbegehrens Eckpfeiler einer hegemonialen Biedermeierlichkeit geworden. Die Rebellion gegen den verstockten Nachkriegskonservativismus ist zu einem neuen Establishment erstarrt.

ISBN 978-3-85371-469-0     19,90 €  Portofrei     Bestellen

Der Soziologe Karl Kollmann zeichnet nach, wie es dazu kommen konnte, dass aus dem Wunsch nach Befreiung in nur zwei Generationen wiederum ein gesellschaftliches Korsett geschnürt wurde, das enge Lebensmuster vorgibt. Diese folgen nun nicht mehr rechtskonservativen, sondern linksliberalen Verhaltensregeln, die allerdings ebenso peinlich eingehalten werden (müssen) wie einst jene der Elterngeneration.

Die kollektive Kampfkraft der 68er-Generation gegen Krieg und Militarisierung und für Gleichberechtigung ist weitgehend verpufft. An ihre Stelle ist eine Individualisierung getreten, die Gesellschaft oft als Dienstleistung für den Einzelnen/die Einzelne betrachtet. Als Treibmittel für diesen Übergang zum neuen Biedermenschen ortet der Autor Konsumismus und Kommerzialisierung so gut wie aller Lebensbereiche. Diese Kapitalkraft sei von den 68ern schlicht übersehen oder zumindest unterschätzt worden.

Dem neuen linksliberalen Establishment ist es gelungen, kulturelle Hegemonie und mediale Meinungsführerschaft zu erlangen. Gepaart mit entsprechendem Arbeitsethos lässt es sich in den oft engen städtischen Zirkeln als Mittelschicht gut leben.

Die soziale Frage spielt folgerichtig eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wird das Hohelied auf Diversität und Multikulturalität gesungen, wobei man die eigenen Kinder doch lieber in den privaten Kindergarten und die bessere Schule fernab von den sozialen Brennpunkten der Ausländerviertel schickt, die so nicht genannt werden. Die verordnete sprachliche Korrektheit hilft dabei mit, die gesellschaftliche Realität zu verdecken.

Karl Kollmanns gesellschaftlicher Befund rüttelt auf. Er demaskiert eine sich selbst als postmateriell darstellende neue Mittelschicht, die ihr 68er-Erbe dazu verwendet, sich wohlig in städtischen Gesellschaftsblasen einzurichten.

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Die neue Spießigkeit. Um es gleich vorweg zu sagen: Das Buch von Karl Kollmann ist sperrig zu lesen. Und das liegt nicht an seiner Sprache. Sein Buch ist leicht verständlich geschrieben, bisweilen sogar etwas zu alltagssprachlich. Was es sperrig macht, ist, dass hier jemand geschrieben hat, der echt sauer war. Die Folge: Bisweilen ist es doch etwas ressentimentgeladen. Rezension von Udo Brandes → Nachdenkseiten 28.08.2020

Der Autor:

Karl Kollmann, geboren 1952 in Heidenreichstein, Niederösterreich, war promovierter Soziologe und habilitierter Ökonom. Als Autor erschienen seine Beiträge zuletzt unter anderem in Die Presse, telepolis und Streifzüge. Karl Kollmann starb im September 2019 in Baden bei Wien.

 

Erstellt: 12.04.2020 - 07:50  |  Geändert: 01.09.2022 - 07:24

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