Gewerkschaften in der Zeitenwende
Was tun gegen Umverteilung nach oben, massive Angriffe auf den Sozialstaat, die Militarisierung des Alltags und den Rüstungswahnsinn?
In zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen tangiert die »Zeitenwende«, die nun von einer schwarz-roten Regierungskoalition fortgeführt wird, die Arbeits- und Lebenssituation der Lohnabhängigen und damit auch der Gewerkschaften.
Der vorliegende Sammelband ist in einer Zeit wachsender Kriegsgefahren ein Beitrag zur gewerkschaftlichen Strategiebildung. Denn er fragt nach der Betroffenheit und den Auswirkungen der aktuellen Kriegsvorbereitungspolitik auf die Welt der Arbeit. Die Autorinnen und Autoren analysieren die »Zeitenwende« und machen deutlich, was dagegen getan werden kann.
- Die Verteilungskämpfe spitzen sich zu. In der Folge einer Umverteilungspolitik vom Sozialen zum Militärischen sind Angriffe auf den Sozialstaat zu erwarten.
- Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit verschiebt sich zu Ungunsten der Gewerkschaften. Ein gesellschaftliches Klima aus Inflation, Deindustrialisierungserfahrungen und Sozialabbau stärkt nicht die Forderungen der Gewerkschaften, sondern die der Unternehmer und Konzerne.
- Der militärische Umbau der Daseinsvorsorge führt zu Beeinträchtigungen bei der Versorgung der breiten Bevölkerung, Beispiele: Bildung, Öffentlicher Personennahverkehr und Gesundheit.
- Der Kurs von Aufrüstung und Krieg wird die Erderwärmung vorantreiben und macht den Klimakollaps wahrscheinlicher.
- Meinungskorridore verengen sich, Grundrechte werden eingeschränkt, die Notstandsgesetzgebung wird so geändert, dass sie erleichtert angewendet werden kann.
- Die steigende Eskalationsgefahr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird für Lohnabhängige zu einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko. Die Einführung der Wehrpflicht auch für Frauen in Dänemark und Schweden zwingt uns zudem eine Gleichberechtigungsdebatte auf, die sich als Gleichberechtigungsfalle entpuppen wird.
Hinzu kommt: Das Fiskalpaket der neuen Bundesregierung, das sowohl unbegrenzte Aufrüstung als auch Investitionen in die Infrastruktur verspricht, stellt die Gewerkschaften vor große Herausforderungen: Für die Industriegewerkschaften wiegt das Arbeitsplatzargument in Rüstungsbetrieben schwer. Für die Dienstleistungsgewerkschaften ist es das Infrastrukturversprechen der neuen Koalition. Über die SPD als Teil der Regierung laufen die Gewerkschaften Gefahr, in den Aufrüstungs- und Kriegskurs eingebunden zu werden.
Die Gewerkschaften stehen also nicht nur vor der Herausforderung, die Frage zu diskutieren, was für eine Industriepolitik sie wollen und wie sie zur Militarisierung der Daseinsvorsorge stehen, sondern auch das politische Mandat der Gewerkschaften in der Vielfalt auszubuchstabieren, wie sich vor ihnen die Vielfachkrise auffächert.
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe des Verlags
Zusammenfassung
In einer fünfteiligen Serie beleuchten Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter die Auswirkungen der Zeitenwende auf die abhängig Beschäftigten und werben dafür, dies in den Gewerkschaften stärker zu diskutieren: Seit drei Jahren dient der völkerrechtswidrige Einmarsch Russlands in die Ukraine als Begründung für eine spezifische Interpretation einer geänderten Weltlage: Die Bedrohung Europas durch Russland. Für die Scholz-Regierung gab es unter dem Stichwort Zeitenwende nur eine Antwort: Mehr Rüstung bringt mehr Sicherheit. Damit wurde die Zeitenwende als "Primat der Sicherheitspolitik" zu einer Durchsetzungsstrategie, die in zwei Richtungen wies: Eine "innere Zeitenwende", die im Zusammenhang mit einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft stand und die mediale Diskurshoheit ebenso einschloss wie den Abbau des Sozialstaates. Aber eben auch die "Zeitenwende nach außen". Sie sollte die Weichen für die neue globale Führungsrolle Deutschlands in den aktuellen geopolitischen Zuspitzungen stellen. Gleichzeitig ging die politische Klasse dazu über, zum Bruch der eigenen Regeln aufzurufen. Von Ulrike Eifler und Jan Richter Die Linke, Betrieb & Gewerkschaft 12.04.2025
Rezension
(...) Der Sammelband ist dezidiert aus gewerkschaftlicher Perspektive konzipiert, bildet damit aber keinen partikularen Standpunkt ab, sondern bringt das zentrale Problem des gesellschaftlichen Zusammenhalts – das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit – angesichts des aktuellen Militarisierungsschubs in Deutschland und Europa auf den Punkt. Alles in allem, ein ausgezeichneter Einblick in die analytischen und strategischen Fragen der gegenwärtigen Problemlage „Zeitenwende“. Von Johannes Schillo socialnet.de 20.11.2025
Autoreninfos
Erstellt: 20.11.2025 - 06:29 | Geändert: 20.11.2025 - 06:51
