Ein Staat für zwei Völker?
Die Idee des Binationalismus in der zionistischen Bewegung und die Zukunft Israels in Palästina
Der renommierte israelische Historiker Shlomo Sand gibt einen komprimierten Überblick über die Idee des Binationalismus in der zionistischen Bewegung seit dem späten 19. Jahrhundert. Die frühen binationalen Zionisten traten für ein jüdisches kulturelles und geistiges Zentrum in Abstimmung mit den palästinensischen Araber:innen ein und warnten vor dem Ziel des politischen Zionismus eines Theodor Herzl, einen ausschließlich jüdischen ethnischen Nationalstaat schaffen zu wollen. Obwohl der Binationalismus nie eine politische Kraft von großem Gewicht war, ist er dennoch eine Option, die immer mehr Menschen anspricht, die für Gleichheit und Menschenrechte in Israel/Palästina kämpfen.
Weiterhin untersucht Shlomo Sand, inwieweit die Idee des Binationalismus im Denken einiger arabisch-palästinensischer Intellektueller verfängt und findet dort diskutierenswerte Ansätze. Er ist sich dabei völlig im Klaren, dass er eine Minderheitenposition sowohl in Bezug auf den jüdischen als auch den arabischen Mainstream vertritt. Nichtsdestotrotz argumentiert er angesichts der Alternativen von Vertreibung oder Apartheid ähnlichen Besatzungsverhältnissen dafür, Israel neu zu denken, denn die sog. 'Zweistaatenlösung' hält er für ein vollkommen unrealistisches Feigenblatt der internationalen Politik.
Neben den diskutierten Möglichkeiten eines binationalen Bundesstaates oder eines einheitlichen säkularen demokratischen Staates streitet Sand schließlich für die Idee einer Konföderation von zwei oder mehr kulturellen Einheiten, die eine gemeinsame Souveränität und Staatsbürgerschaft haben, aber kulturelle und sprachliche Besonderheiten, autonome Regierungsorgane, gewählte Versammlungen usw. Als Beispiele und Ideengeber dienen ihm dafür Länder wie Belgien, Kanada, die Schweiz, Großbritannien, Spanien, Indien, Bosnien-Herzegowina und andere.
Sands Plädoyer für einen binationalen Staat hat zwar angesichts des neozionistischen Siegeszugs wenig Aussicht auf Erfolg; in Anbetracht der seit Jahren anhaltenden Regierungskrise wirken seine Reflexionen über die ur-zionistische Palästina-Frage jedoch relevanter denn je. Von Tamar Amar-Dahl Sehepunkte 15.07.2023
Erstellt: 28.04.2025 - 08:39 | Geändert: 28.04.2025 - 08:53