Sozialistische Gruppe (SG) (Medienpräsenz)

Längst haben die westlichen Großmächte und Russland den Bürgerkrieg in der Ukraine zu ihrer Sache gemacht: Russland – davon handeln die westlichen Medien täglich – unterstützt die Separatisten im Osten mit Waffen und Freiwilligen und den nötigen Ressourcen, damit sie sich gegen die Zentralregierung behaupten können. Dass die westlichen Mächte dem Kiewer Staat die Mittel verschaffen, mit denen er seinen Krieg gegen die prorussischen Landesteile führt, bringen die Zeitungen an nicht ganz so prominenter Stelle, sie verheimlichen es aber auch nicht: Die EU und der IWF spendieren die Milliarden, die Kiew für Waffen und den Krieg und den Staatsapparat braucht. Polen, Briten und Amerikaner trainieren ukrainische Truppen, steuern militärische Aufklärung und, wie sie betonen, ausgerechnet „nicht-tödliche“ Waffen bei. Kongress und Administration in Washington erwägen öffentlich, demnächst auch weniger nutzlose Waffen zu liefern, also hochoffiziell als Partei in diesem Stellvertreterkrieg aufzutreten.

Was die ukrainischen Bürgerkriegsparteien gegeneinander vermögen, hängt somit davon ab, was ihre auswärtigen Ausstatter ihnen an Kriegsmacht in die Hand geben. Das heißt dann aber auch, dass es um das, was diese lokalen Parteien gegeneinander erreichen wollen, gar nicht mehr geht. Die fanatischen westlich orientierten Nationalisten und die nicht weniger fanatischen Verteidiger einer russischen Identität sind nützliche Idioten im Kampf fremder, weiterreichender Zwecke ihrer Sponsoren. Von diesen Zwecken erfährt das deutsche Publikum nichts.

Wenigstens nichts von den politischen Zielen der eigenen Seite. Die russische Seite hat schon Interessen – böse und ungerechtfertigte nämlich: Putin will die überkommene russische Einflusszone erhalten, verfolgt imperiale Ambitionen, mischt sich in innere Angelegenheiten des Nachbarstaates ein, stiehlt ihm per Volksabstimmung einen Teil von seinem Territorium, kurz: er verletzt immerfort das Völkerrecht. Die westlichen Mächte dagegen haben nur Pflichten: Sie verhelfen der Ukraine zur legitimen Freiheit ihrer Bündniswahl, zur Integrität ihres Territoriums und verteidigen mit ihrer Einmischung in den Bürgerkrieg nichts als das Völkerrecht. Dem Publikum liefert man nicht die Gründe für das eigene Eingreifen in den Krieg, sondern lauter gute Gründe dafür: Mit Erwägungen über den gerechten Krieg und das Unrecht der anderen Seite wird es für das westliche Schüren des Blutvergießens eingenommen: Dürfen die Russen, was sie tun; müssen „Wir“ ihnen nicht Einhalt gebieten – mit solchen Gesichtspunkten soll sich der Zeitgenosse den Krieg verständlich machen. Dabei ist eines ganz klar: Russland unterstützt seine Kriegspartei nicht deshalb, weil es das darf oder nicht darf; und die Westmächte stärken die Kiewer Regierung nicht deshalb, weil das Völkerrecht das von ihnen verlangt. Was sich die Sponsoren von einem Erfolg in diesem Stellvertreterkrieg versprechen und warum sie diesen Erfolg brauchen – das ist mit den Rechtfertigungen ihres Eingreifens, die beide Seiten gleich gut beherrschen, noch nicht einmal angesprochen.

Die deutsche Kanzlerin präsentiert sich in diesem Krieg als letzte Vertreterin von Vernunft und Friedenswillen, die ihre liebe Mühe hat, zwischen Putin, der einen Sieg auf dem Schlachtfeld will, und den Amerikanern, die kein Problem mit der Eskalation des Krieges haben, zu vermitteln. Sie fordert von allen Seiten die Einsicht in ihre Linie, derzufolge „dieser Konflikt keine militärische Lösung finden kann“. Zusammen mit dem französischen Präsidenten handelt sie den Parteien den Minsker Waffenstillstand ab und ernennt sich selbst gleich zur der höheren Instanz, die seine Einhaltung überwacht. Was an dieser Friedensliebe der Chefin, die immerhin ein gewichtiges NATO und EU-Land vertritt, verlogen und was daran politisches Kalkül und deutsches Interesse ist, will noch ermittelt sein.
 

Ganz egal, ob man zu den Putin-Verstehern gehört, die irgendwie mitfühlen, dass sich die Macht im Osten nicht aus einer Region verdrängen lassen will, die bis vor 25 Jahren zum Kernland der Sowjetunion gehörte und teilweise von einem Volk besiedelt ist, das sich russisch sieht. Egal auch, ob man sich zu den Obama- und Merkel-Verstehern rechnet, die Russland das Recht auf Einfluss auf sein „nahes Ausland“ absprechen, ihm einen Bruch des Völkerrechts und die Missachtung der Souveränität der Kiewer Umsturzregierung vorwerfen. Jenseits der – parteilichen, also verlogenen – Rechtfertigungen beider Seiten ist eines nicht zu übersehen: Es findet ein Krieg statt um die Frage, wem bzw. zu wem die Ukraine gehört. Deutschland, die EU, die NATO bestehen darauf, dass die Ukraine zum Westen gehört, und Russland dort nichts mehr mitzureden hat; die Moskauer Regierung kämpft um die Wahrung ihres Einflusses auf ihr Nachbarland, wenigstens um einen neutralen Pufferstaat zum Machtbereich der NATO. Den Bürgerkrieg im Donbass schüren beide Seiten mit Waffen, militärischem Personal, Luftaufklärung und politischer Rückendeckung. 
Abgesehen davon, abgesehen auch von der Aufrüstung der baltischen Staaten und Polens, abgesehen schließlich von der Drohkulisse, die die NATO durch verstärkte Präsenz an den russischen Grenzen aufbaut, wollen USA und EU Russlands Macht vorerst nicht mit der Anwendung eigener Militärgewalt brechen, sondern mit Sanktionen: Sie setzen die Wirtschaft als eine Waffe ein und führen einen Wirtschaftskrieg, dem sie die Aufgabe zuweisen und die Leistung zutrauen, den Feind so zu schädigen, dass er sich sein außenpolitisches Auftreten nicht mehr leisten kann und seine Ansprüche aufgibt. Mit wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen wollen sie die zweitgrößte Atommacht des Globus in die Knie zwingen und, wie Obama sich ausdrückt, den Nachfolgestaat der Sowjetunion, der sich über zwei Kontinente erstreckt und in allen internationalen Aufsichtsgremien als Mit-Garant der Weltordnung agiert, auf Rang und Gewicht einer „Regionalmacht“ zurückwerfen.

Das gilt als besonnen: „Besser sie kappen Wirtschaftsbeziehungen, als dass sie schießen!“ Man hält sich an die Differenz zum blutigen Töten und Sterben im Staatsdienst und billigt damit den Zweck des Wirtschaftskriegs: Die Sanktionen sollen das Gleiche leisten wie sonst Bomben und Granaten; und sie stehen unter der Bedingung, dass sie das auch tun. 
Kein bisschen wundert sich die öffentliche Meinung darüber, dass die Wirtschaftsbeziehungen – sonst der Inhalt, für manche auch die geschätzte Garantie des friedlichen Verkehrs zwischen den Staaten – nun als zerstörerische Macht- und Kampfinstrumente zum Einsatz kommen. 
Dabei könnte die Verwendung der Wirtschaft als Waffe schon Fragen aufwerfen: Was ist das für eine Ökonomie, die als Machtmittel taugt? Was ist das für eine internationale wirtschaftliche Kooperation, deren Entzug nicht nur den Ausfall eines Nutzens, sondern den halben oder ganzen Ruin sogar großer Staaten bewirkt?
Und kann der Wirtschaftskrieg das wirklich? Was ist dran an den Stimmen, die ihn für problematisch halten und daraus den Schluss ziehen, dass Wirtschaftskrieg nicht reicht?

Ein Vortrag mit Redakteuren der Zeitschrift GegenStandpunkt.

Es gehört zu den Gemeinplätzen der historischen Bildung, dass die Zeiten großer Krisen des Kapitalismus kriegsträchtig sind; dass Krise zu Krieg „führt". 2014, das siebte Jahr der globalen Finanzkrise scheint die Regel zu bestätigen:

Die Finanzmärkte sind halbwegs stabilisiert. Die Schulden der Banken und Staatshaushalte sind nicht geringer geworden.Jede Andeutung der FED oder EZB, zu normalen Usancen der Geldpolitik zurückkehren zu wollen, lässt Investitionen und Wachstum wieder abstürzen.

Auf dem Feld der Wirtschaftsdiplomatie ringen die großen Akteure darum, den selbst-tragenden Aufschwung, der einfach nicht kommt, mit politischen Mitteln zu erzwingen.

Auf dem Feld der militärischen Gewalt häufen sich Konfrontationen der großen Mächte. In Asien ermuntern und befähigen die USA Japan, Südkorea und andere Staaten durch militärische Rückendeckung dazu, den territorialen und Macht-Ansprüchen Chinas drohend eigene Ansprüche entgegen zusetzen. In Deutschland erklären Bundespräsident, Außen- und Verteidigungsminister uni sono, dass sich das „Kraftzentrum der EU" in internationalen Gewaltfragen nicht länger zurückhalten darf. Prompt radikalisieren sie den Kampf um den Anschluss der Ukraine an die EU und ihre Herauslösung aus dem russischen Einflussbereich. Zugleich wirft die Eskalation Machtfragen zwischen Deutschland/EU und den USA auf: Muss die EU, weil sie in ihrem Ringen um den Anschluss der Ukraine auf die Abschreckungsmacht der Nato angewiesen ist, sich für das amerikanische Ziel hergeben, die zweitgrößte Atomwaffenmacht Russland zu isolieren, zu ruinieren und zu einer nur noch regionalen Größe zu degradieren. Oder kann Deutschland das amerikanische Kriegspotential für seinen anti-amerikanischen Aufbau eines expandierenden EU-Herrschaftsraumes instrumentalisieren, der Russland zwar immer weiter zurückdrängt, über Geschäfte und diplomatischen Verkehr aber zugleich Einfluss auf es behält.

Mit der wieder bestätigten Regel, dass Krisen zu Krieg führen, ist nichts begriffen. Der Zusammenhang versteht sich gar nicht von selbst. Es sind ja nicht die Wirtschaftskrisen und auch nicht die Konzerne, die nationale Feindschaften anordnen: Das tun schon die diversen Vaterländer. Und warum geraten die in Macht- und Unterordnungsfragen aneinander, wenn daheim der Geschäftsgang stockt? Warum ist die Krisenbewältigung kein Gemeinschaftswerk, sondern ein wüstes Gegeneinander dieser Staaten? Und was hilft eine Auseinandersetzung um die Senkaku-Inseln oder um die Krim für den Aufschwung, der auf sich warten lässt?

Diese Fragen muss beantworten können, wer mehr behaupten will als die Erfahrungstatsache, dass schon manchmal nach einer Krise ein Krieg „ausgebrochen" ist.

Es funktioniert auf Ansage: In ihren feierlichen Reden zum Jahreswechsel haben Kanzlerin und Bundespräsident festgestellt, Deutschland sei einfach zu groß, um bei internationalen Krisen eine untergeordnete Rolle zu spielen, und sie haben „mehr deutsche Verantwortung" und aktiveres Eingreifen angekündigt. Wenige Monate später haben sie in der Ukraine die -- nach eigener Auskunft -- schlimmste Krise in Europa seit dem Mauerfall vom Zaun gebrochen; so schlimm, dass manche von einem neuen kalten oder gar heißen Krieg warnen.
Schuld daran ist, wie stets, die andere Seite: Erst der ukrainische Präsident Janukowitsch, der seine Unterschrift unter das Assoziationsabkommen mit der EU verweigert hat, dann die russischsprachigen Landesteile im Süden und Osten der Ukraine, schließlich und vor allem Putins Russland.

Was Merkel und ihre EU-Kollegen treiben, entdecken und verurteilen sie am russischen Präsidenten:
— Ihm sagen sie Großmacht-Allüren und imperiale Absichten nach. Er wolle den Raum der ehemaligen  Sowjetunion als russische Einflusssphäre bewahren, obwohl „die Zeit der Einflusszonen endgültig vorbei ist!" Das sagt ihm allen voran die deutsche Kanzlerin Merkel, die die Ukraine jetzt „umso schneller in die EU einbinden wird."
— Merkel wirft Putin vor, er destabilisiere die Ukraine, weil er Anträge aus der Krim und vielleicht auch aus der Ostukraine, das Gebiet in die russische Föderation aufzunehmen, ermutigt. Der Vorwurf kommt von einer deutschen Kanzlerin, die nichts unversucht gelassen hat, den Staat des kaputten, zwischen seinen östlichen und westlichen Abhängigkeiten hin- und hergerissenen Landes zu destabilisieren, solange ein nicht willfähriger Präsident dort an der Macht war. Deutsche Politprominenz hat den Umsturz in Kiew ermutigt, zum Durchhalten aufgerufen und ihm die Unterstützung ganz Westeuropas zugesichert -- und damit das Land endgültig zerrissen.
— Der pro-westliche Umsturz mit all seinen glühenden Nationalisten und teilweise bewaffneten Demonstranten, mit seiner Lahmlegung des nationalen Lebens, den Besetzungen und Verwüstungen von Ministerien -- ein Aufruhr wie ihn sich keine westliche Demokratie gefallen lässt --: dieser Umsturz ist für die EU friedlich, demokratisch, authentischer Ausdruck des ukrainischen Volkswillens, der gilt selbstverständlich verbindlich für das ganze Volk einschließlich der dagegen aufbegehrenden  Ostukrainer und muss unbedingt gegen russische Bedrohung und Übergriffe geschützt, also unter die schützende westliche Vormundschaft von USA, EU und Nato gestellt werden. Die im Vergleich dazu gesittete Volksabstimmung auf der Krim über den Beitritt zu Russland dagegen ist für sie illegal, undemokratisch, eine Farce, die nichts gilt, und Russlands Berufung auf bedrohte russische Bürger eine leicht zu durchschauende Bemäntelung der rücksichtslosen Machtübergriffe des neuen Moskauer Zaren auf ein unabhängiges  Land. Die europäischen Schutzherren des Selbstbestimmungsrechts der Völker sind eben so freundlich, auch gleich die Kollektive, zu definieren, die sie als Völker gelten lassen, denen Selbstbestimmung und deren Anführern das Staatswesen zusteht, und welche Ausrichtung des Staatswillens ihren machtvollen Schutz verdient; und die, für die das Gegenteil gilt.  

Dabei ist die Quelle dieser Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht kein Rätsel: Legitim sind nach dem Richterspruch des Westens in der Ukraine die politischen Kräfte, die sich als Statthalter der EU und ihr Land als deren Hinterland anbieten; illegitim sind diejenigen, die sich dem europäischen Anschluss entgegenstellen. Russland liest diese Gleichung von Recht und Interesse entgegengesetzt. Beide fordern voneinander, sich aus der Ukraine herauszuhalten Die westlichen Mächte meinen und betreiben dabei von Anfang an den Anschluss an und die Unterstellung der Ukraine unter die EU und Nato und damit die Erledigung russischen Einflusses. Russland ist entschlossen, den zu verteidigen. So steht Recht gegen Recht - und der friedliche Verkehr der beiden großen „Nachbarn" nimmt folgerichtig den Charakter einer Mobilisierung von Macht und Gewaltmitteln zur Durchsetzung des jeweils beanspruchten Rechts an. Dabei versichert Merkel ihren Bürgern: „Zum Krieg wird es nicht kommen" -- und gibt damit zu Protokoll, was sie alles ins Kalkül zieht.