Die Intellektuellen und die Macht
Ein hellrotes Bändchen aus den 1990er Jahren
Für den am 23. Januar 2002 verstorbenen fränzösischen Soziologen ist die Kommunikation die größte Hürde für eine Verständigung zwischen den Intellektuellen und den Arbeiter. Auf der Suche nach der Rolle von Intellektuellen kommen wir nicht an Pierre Bourdieus Analysen vorbei. Seine Forderungen nach Reflexion der eigenen sozialen Situation und Sprache sind heute relevant wie nie.
Für Bourdieu ist die Kommunikation die größte Hürde für eine Verständigung zwischen den Intellektuellen und den Arbeiter*innen, wohl insgesamt zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Diese zu überwinden funktioniere nur, wenn Intellektuelle »Ihr eigenes Denken, Ihre Aussagen, Ihre soziale Situation, Ihre Praxis« – und auch ihre Privilegien – zu hinterfragen in der Lage sind. Denn gerade sie seien besonders schlecht im Kommunizieren, sie »sind Profis in der Kunst des Maskierens, des Verschleierns«.
In »Die Intellektuellen und die Macht« geht der Theoretiker dieser Problematik auf den Grund, in zwei Gesprächen (mit Jeanne Pachnicke sowie Loïc J. D. Waquant) sowie drei Vorträgen, die er 1989 vor dem französischen Kulturzentrum, an der Humboldt-Universität in Berlin sowie der damaligen Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED hielt.
Seinem Anspruch versucht der französische Theoretiker in der Rede »Der Korporativismus des Universellen« selbst gerecht zu werden: Zu lernen zu dienen, ohne sich in den Dienst nehmen zu lassen. Seine Ausführungen, die in diesem hellroten Bändchen versammelt sind, sind auch oder gerade heute hilfreich und von großer Bedeutung für alle, denen politische Wirksamkeit und Verständigung ernsthafte Anliegen sind.
Aus dem Vorwort
Bourdieus Besuch fiel in die kurze Zeitspanne, in der die Menschen in der ehemaligen DDR »die Verhältnisse zum Tanzen« brachten. Er sprach in seinen Vorträgen unter verschiedenen Aspekten über ein Thema: Die Rolle der Intellektuellen heute, ihre Position als beherrschte Herrschende im Feld der Macht und ihre besondere Befähigung und Aufgabe, die ihnen zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auf sich selbst anzuwenden, das heißt, ihre eigennützigen Interessen an der Gewinnung universalen Wissens zu reflektieren und in einer bewussten Kontrolle ihrer unbewussten Neigungen Schritte hin zu »mehr Wissenschaft« (Kultur, Kunst) zu tun. Er traf damit bei seinen Zuhörer*innen auf offene Ohren und gespannte Aufmerksamkeit, wenngleich die Aufnahme und Bewertung dessen, was er sagte, durchaus unterschiedlich gewesen sein dürfte. (...) Sicher haben damals[Oktober 1989] viele der Zuhörer*innen Bourdieus Ausführungen in erster Linie unter dem Eindruck unmittelbar bevorstehender Auf- und Umbrüche wahrgenommen (...). Heute, mit einem gewissen zeitlichen Abstand und reicher an Erfahrungen, wie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Kämpfe um die Neuverteilung von Macht geführt werden, konturiert sich schärfer die Grundsätzlichkeit und Komplexität der von Bourdieu diskutierten Probleme, die den damals aktuellen Anlass der Vorträge weit in den Hintergrund treten lassen. Daher ist es nur zu begrüßen, dass die Publikation, die Bourdieu ursprünglich für die DDR angeregt hatte, nun eine gesamtdeutsche Leserschaft erreichen wird. (Irene Dölling)
Autoreninfos
Die Herausgeberin / Vorwort von
Irene Dölling wurde 1985 zur Professorin für Kulturtheorie berufen. Sie war an der Sektion Ästhetik und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und nach der institutionellen Angleichung 1990/1991 an die Strukturen der bundesdeutschen Universitäten am Fachbereich Kultur- und Kunstwissenschaft tätig. Im Dezember 1989 war sie Mitgründerin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) und wurde dessen erste wissenschaftliche Leiterin. Von 1994 bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 2008 lehrte und forschte sie als Professorin für Frauenforschung an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam.
Wikipedia (DE): Irene Dölling
Erstellt: 29.12.2025 - 09:55 | Geändert: 29.12.2025 - 10:13
