Die Denunziantin

Die Denunziantin ist der erste und bislang unveroffentlichte Roman von Brigitte Reimann. Als sie ihn im Herbst 1952 beginnt, ist sie gerade neunzehn Jahre alt. Im Mittelpunkt des Jugendromans steht eine kompromisslos ihren sozialistischen Überzeugungen folgende Abiturientin, die in vielerlei Hinsicht nach dem Bild der Autorin modelliert ist. Reimann geht es darum zu zeigen, wie bedroht die damals noch im Entstehen begriffene sozialistische DDR-Gesellschaft ist und wie entschlossen darum allen destabilisierenden Kräften entgegengetreten werden muss.
Die Lektoren verschiedener DDR-Verlage forderten von Brigitte Reimann immer neue Überarbeitungen des Textes, bis die Autorin nach sechs Jahren und vier Fassungen resignierte und von der Veroffentlichung des Romans Abstand nahm. Als entschlossenes Plädoyer für die Verteidigung des sozialistischen Aufbaus in der jungen DDR bildet Die Denunziantin den extremen Gegenpol zu Reimanns letztem Buch Franziska Linkerhand, in dem sie - 20 Jahre später - ihrem zunehmenden Zweifel am Gelingen des sozialistischen Wegs der DDR überzeugend Ausdruck verleiht.
Gespräch mit Kristina Stella. Von Angela Gutzeit [Pocast 6:49] → Deutschlandfunk 08.11.2022
[…] Der Roman ist heute gerade für junge Leserinnen und Leser ein zeithistorisches Dokument. Die junge Autorin beginnt mit dem Schreiben nach ihrem Abitur im Alter von 19 Jahren. Dem Rat Anna Seghers folgend, schreibt sie über den damaligen Schulalltag und die widersprüchlichen Auffassungen ihrer Mitschüler und der Lehrer zu den Verhältnissen in der gerade erst gegründeten DDR, zum Umgang der verschiedenen Generationen mit der NS-Vergangenheit und schließlich mit der Auswirkung der Teilung Deutschlands auf Schüler und Lehrer. In ganz unterschiedlichen Situationen bekennt sie sich eindeutig zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der DDR. […] „Die Denunziantin“ ist der interessierten Leserschaft an zeithistorischen Jugendromanen unbedingt sehr zu empfehlen. → Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW (AJuM) 13.06.2023
Pressestimmen:
Es ist eine der Stärken des Romans, dass Brigitte Reimann am geschilderten Konflikt ein Thema bearbeitet, das sich in diesem nicht erschöpft. Vielmehr diskutiert der Roman, wie eine antifaschistische Position einer im „Dritten Reich“ aufgewachsenen Jugend vermittelt werden kann, [...]. [Zum Anhang:] Auch wenn der detaillierte Vergleich einzelner Szenen eher Material für Spezialforschungen bietet, so stellt die Rekonstruktion der wechselvollen Entstehungs- und Editionsgeschichte eine durchaus für sich stehende Studie dar über die Arbeitsweise Brigitte Reimanns, die literarischen Normen der 1950er Jahre und die Strategien der Verlage - durch das Nachwort wird das Ungewöhnliche des Romans in seiner Zeit umso deutlicher. Jan Kostka, Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Ausgabe Nr. 50/2023
[...] „Die Denunziantin“ liegt nun als Aufsehen erregende Publikation vor [...] der Roman [ist] ohne Übertreibung eine Sensation, vor allem für das wenig ausgeprägte oder kaum vorhandene Verständnis der Nachkriegsverhältnisse in der Stalinzeit und für die frühe Zeit der DDR. Als Sensation taugt er heute noch. Rüdiger Bernhardt, Unsere Zeit 6. Januar 2023
[D]ie Entscheidung der Reimann-Spezialistin Kristina Stella [ist] zu begrüßen, das im Neubrandenburger Archiv schlummernde Skript in kommentierter Form nun doch noch herauszubringen. „Die Denunziantin“ vervollständigt nicht nur das Werk der mit 39 Jahren an Krebs verstorbenen Autorin, sondern zeigt zugleich, wie die junge Reimann mit sich gerungen hat. Frank Quilitzsch, Thüringer Allgemeine 05.01.2023
Meanwhile, the discovery and rediscovery of Reimann continues. Franziska Linkerhand was recently adapted for the stage. In October Reimann’s unpublished debut novel, Die Denunziantin (The Denunciator), which she started writing at 19 and which was so thoroughly censored that Reimann had given up on it, was published for the first time, having been discovered in the Reimann archive in Neubrandenburg by the editor and Reimann specialist Kristina Stella. Kate Connolly, The Guardian 04.01.23
In diesem Erstlingswerk steckt etwas, das beim Lesen tief bewegt, gerade weil es so irritierend ist. [...] Die politische Forderung nach Prinzipienfestigkeit, Kompromisslosigkeit – wie oft stand sie im Widerspruch zu dem, was das Herz befahl. Wie Ideologie Menschen ins Dilemma bringt, darüber denkt man beim Lesen unwillkürlich auch auf das Heute bezogen nach. Irmtraud Gutschke, neues deutschland 18.12.2022
[…] Nun ist jene schmale 230-seitige Geschichte, die der Aufbau-Verlag Berlin ignorierte, der Mitteldeutsche Verlag Halle verschleppte, der Verlag Neues Leben nur stark verändert haben wollte, doch noch erschienen. Mit „Die Denunziantin“ beginnt Brigitte Reimanns allzu kurze Schreibreise […]. In „Die Denunziantin“ ist alles frisch und rein – außer den überkommenen Resten der vergangenen Ordnung. […] Drei Fassungen versuchte Reimann – und stieß immer wieder auf heute kaum verständliche ideologische Klippen in den politischen Kurswechseln der frühen 50-er [Jahre]. […] Zu den Fassungen liefert die Herausgeberin Kristina Stella ein so ausführliches wie aufschlussreiches Nachwort. Dass sie sich bei der Veröffentlichung für die Urfassung entschied, ist sicher ein Glücksgriff. Norbert Wehrstadt, Leipziger Volkszeitung und Dresdner Neueste Nachrichten 16.12.2022
[...]ein einzigartiges biographisches Zeugnis. Tilman Spreckelsen, FAZ 26.11.2022
„Die Denunziantin“ eröffnet die fast verloren geglaubte Chance, noch einmal einen bislang unbekannten und unverstellten literarischen Blick aus Brigitte Reimanns eigener Sicht zu bekommen. Hoyerswerdaer Tageblatt 28.10.2022
Erst jetzt, 70 Jahre später, hat die Publizistin Kristina Stella die Urfassung, „Reimanns Lieblingsfassung“ in einem sorgfältig kommentierten Band herausgegeben. [...] das Buch bietet auch heute noch erkenntnisreiche Einblicke in die Geschichte und den Literaturbetrieb der frühen DDR. Frank Wilhelm, Nordkurier 28.10.2022
Hier erfährt man aus zeitgenössischer Perspektive etwas über Jugendliebe und Schulalltag in der frühen DDR und die angespannte gesellschaftliche Atmosphäre vor dem Mauerbau. [...] Brigitte Reimann schlägt sich mit Fragen herum, die später in ihrem Werk wiederkehren und verblüffend heutig erscheinen: Wie geht man mit Meinungen um, die einem nicht passen? Darf man einen Menschen ins Unglück stürzen, weil er politisch anders denkt? Wann schlägt die eigene Überzeugung in Fanatismus um? Karin Großmann, Sächsische Zeitung“02.11.2020)
[...] Das Buch fehlte bisher in den Bibliotheken, in den Regalen der unzähligen Leserinnen und Leser, die die 1973 gestorbene Autorin bis heute für ihre Tagebücher und für „Franziska Linkerhand“ verehren. [...] Es ist ein Ereignis für alle, die immer noch mehr über diese Autorin erfahren wollen. [...] Cornelia Geissler, Berliner Zeitung 29./30.10.2022
Die Autorin:
Kristina Stella publiziert zu Brigitte Reimann und DDR-Schriftstellern in ihrem Umfeld. Sie ist Verfasserin einer mehrbändigen Brigitte-Reimann-Bibliografie (2014) und Herausgeberin der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann (2013), zwischen Brigitte Reimann und Wolfgang Schreyer (2018) sowie der Briefe von Reiner Kunze an Brigitte Reimann (2017).
Die Herausgeberin:
Brigitte Reimann (1933–1973) prägte mit ihrer Erzählung Ankunft im Alltag das Genre der „Ankunftsliteratur“ und wurde vor allem durch ihren postum erschienenen unvollendeten Roman Franziska Linkerhand und ihre spektakulären Tagebücher Ich bedaure nichts (1997) und Alles schmeckt nach Abschied (1998) bekannt. Sie starb nach langer schwerer Krankheit im Alter von nur 39 Jahren.
Brigitte Reimann: Die Denunziantin | hr2-kultur Lesung
→ Hessischer Rundfunk Youtube 09.02.2023
Erstellt: 12.08.2024 - 07:10 | Geändert: 12.08.2024 - 07:39