GegenStandpunkt 3-25
Politische Vierteljahreszeitschrift

Mit Blick auf die beiden laufenden Dauerkriege in Europa und im Nahen Osten die betroffenen Völker für ihr schlimmes Schicksal zu bemitleiden, ist guter öffentlicher Brauch: in Bezug auf die ukrainische Bevölkerung sowieso schon seit dem 24. Februar 2022; aber auch die Gazabevölkerung wird in deutschen Medien inzwischen echt bedauert, manchmal sogar ohne die prompte Erinnerung an den Hamas-Überfall am 7. Oktober, mit dem für die Begutachter die Geschichte schließlich begonnen hat.

Das ist alles gut und schön, verstellt aber etwas den Blick darauf, dass objektiv, nämlich von den maßgeblichen Patrioten betrachtet, bei diesen unschönen Affären nicht zuletzt die liebenswerte europäische Mittelmacht Deutschland mit ihrem Interesse an Frieden und internationaler Ordnung auch ein Leidtragender ist! Und was für einer, erleidet sie doch Schäden an viel Edlerem und Höherem als so schnöden Dingen wie Leib und Leben:

ISSN 0941-5831 19.09.2025 15,00 € Kein Versand im Laden erhältlich (Zeitschrift)

In Bezug auf den Ukraine-Krieg müssen die Berliner Stellvertreterkriegspolitiker erleben, dass der Macht- und Politikwechsel in Washington all ihre kriegerische Entschlossenheit ins Abseits laufen lässt: Sie waren und sind zwar immer noch bereit, die Ukraine mit Mann und Maus dafür zu verschleißen, dass ihr Europa zu einer Kontinentalmacht aufwächst, die sich strategisch ganz nach eigenem Gutdünken an jedem konkurrierenden Machtanspruch Russlands vergreifen kann. Und sie haben dafür nicht nur ein paar Hunderttausend Ukrainer opfern lassen, sondern selber ganz viele schöne Euro-Milliarden und gute Waffen dafür spendiert. Aber die erweisen sich nun nicht mehr als Investitionen in die goldene Zukunft einer europäischen Weltmacht, sondern womöglich als vertaner Aufwand: Trump sagt den US-Krieg gegen Russland ab und zerstört damit einstweilen die wunderbare Perspektive, unter amerikanischer Führung Russland als kontinentalen Rivalen zu entmachten und gleichzeitig Deutsch-Europa als kontinentale Vormacht zu etablieren. Wie bedauerlich!

Und in Bezug auf den Nahost-Krieg muss die deutsche Republik ebenfalls einen bitteren Schlag verkraften: Eine noch so vorbehaltlose Unterstützung für den israelischen Vernichtungskrieg gegen die Hamas im Gazastreifen, noch so viele ideologische Verrenkungen zur Rechtfertigung dieses unentwegt fortschreitenden Zerstörungswerks können weder verhindern noch verdecken, dass sich der höhere Sinn dieser ‚unverbrüchlichen‘ Parteinahme in Luft auflöst: Einen irgendwie zufriedenstellenden strategischen Einfluss und Zugriff auf die geostrategisch eigentlich so perspektivreiche Gewaltlage gesteht Israel seinem qua „Staatsräson“ israelsolidarischen deutschen Kumpan einfach nicht zu. Schon wieder ist es Trumps Amerika, das sich stattdessen als die einzige auswärtige Macht erweist, die auf das israelische Gewaltprogramm wirksam einwirken kann – und die betreibt ihr Engagement auch in diesem Fall erklärtermaßen nicht mehr mehr als Dienst an den europäischen ‚Partnern‘ im Sinne eines gemeinsamen „Westens“ sondern erklärt diese Allianz für unerheblich bis lästig. Generationen von Bundesbürgern haben die Kriegsallianz der NATO als zivilisatorischen Höhepunkt der Menschheitsgeschichte feiern dürfen; Generationen von deutschen Politikern haben mit und in dieser Allianz den imperialistischen Aufstieg ihrer Nation bewerkstelligt – und nun dies!

Und dann müssen regierende deutsche Patrioten auch noch registrieren, dass die Weltmacht Amerika ganz ohne sie den nächsten Schauplatz strategischer Rivalität mit Weltkriegsperspektive definiert und herrichtet – den „Indopazifik“, aus dem sie leider, leider bisher ausgemischt sind.

Aber tüchtige deutsche Patrioten geben nicht auf! In der Mischung aus Entschlossenheit und Opportunismus, die imperialistisch engagierten Nationalisten eigen ist, sichten sie die Lage, definieren Feindschaften um, malen dazu passende Feindbilder neu und versuchen, auch aus Bedingungen, die sie sich fürs Erste schlicht gefallen lassen müssen, doch noch das Beste für ihre Nation zu machen. Das Regiment übers Volk haben sie ja, und das nutzen sie weidlich aus, sagen ihrem Volk die Opfer an, die es bringen muss, damit die Nation nicht zum Opfer der neuen Weltlage wird. Und insofern Kritik daran ganz in der Sorge ums weitere Gelingen des deutschen Machtaufwuchses aufgeht, ist diese Zukunftszugewandtheit regierender Imperialisten weder perspektiv- noch mittellos.

Deshalb kümmert sich der GegenStandpunkt auch in dieser Ausgabe darum, dass die fällige Kritik wenigstens theoretisch stattfindet.

 

Artikel in dieser Ausgabe online lesen

Artikel in dieser Ausgabe:

  •    NATO-Gipfel, Schottland-Deal, Alaska-Treffen mit Nachspiel in Washington
  •   Anmerkungen zu drei weltpolitischen Events, das Verhältnis der USA zu ihren europäischen Alliierten betreffend
  •   Chronik eines angekündigten Friedens
  •   Trumps 12-Tage-Krieg
  •   US-Militärstrategie im Indopazifik
  •   Amerika sichert den Weltfrieden – mit einem perfekten Weltkriegsszenario gegen China
  •   Russlands Kriegswirtschaft
  •   Nachtrag zur „Konkurrenz der Kapitalisten“ und Vorblick auf die „Lohnarbeit“
  •   Zum ‚notwendig falschen Bewusstsein‘ der ‚Charaktermasken‘ der kapitalistischen Produktionsweise

Aus der Reihe Was Deutschland bewegt:

  •    Der Fall Brosius-Gersdorf
  •   Von der Verfassungsrichterwahl zur Koalitionskrise
  •   K. Reiche: Eine Top-Besetzung für das Wirtschaftsministerium
  •   Die Rettung der deutschen Volksseele – vor den Vertretern eines verfassungsfeindlichen Volksbegriffs und vor unerwünschten Ausländern
  •   Apropos „Drecksarbeit“
  •   Berliner Kriegshetze
  •   Trump im Spiegel der seriösen deutschen Öffentlichkeit
  •   Vom Zeichnen einer Karikatur des Präsidenten zur opportunistischen Kritik seiner Macht
Autoren

Erstellt: 19.09.2025 - 10:04  |  Geändert: 19.09.2025 - 10:21