Kulturelle Aneignung. Von Lars Distelhorst

Keine Frage - in Kunst und Kultur und der Entwicklung der Menschheit überhaupt hat es immer Übernahmen und Aneignungen von Techniken, Fertigkeiten, Motiven usw. gegeben. Man lernt ja voneinander. Doch darum geht es hier nicht. Kultureller Austausch ist etwas anderes als kulturelle Aneignung. Lars Distelhorst schreibt aus der selbstreflektierten Perspektive eines Weißen über einen aktuell so populären wie unzureichend theoretisierten Begriff, der ein bemerkenswertes Affektpotenzial hat: Ob es um Faschingskostüme oder um Dreadlocks geht, um Soulmusik oder Yoga - die Diskussion kocht sehr schnell hoch. Distelhorst veranschaulicht zunächst anhand der Reaktionen auf die Empfehlung einer Hamburger Kita im Jahr 2019, die Kinder zum Fasching nicht als »Indianer« zu verkleiden, und eines kurzen Abrisses der deutschen Kolonialgeschichte den Zusammenhang zwischen Mikro- und Makroebene von kultureller Aneignung.

ISBN 978-3-96054-268-1     18,00 €  Portofrei     Bestellen

Er setzt sich mit verschiedenen Definitionen des Begriffs auseinander, vor allem mit dem oft unterstellten Zusammenhang mit essenzialistischen Kulturkonzeptionen, und analysiert drei Dimensionen der Aneignung: kolonialen Kulturraub, ungefragte Repräsentation anderer Kulturen und Konsum von Kultur als Ware. Schließlich verknüpft Distelhorst kulturelle Aneignung mit einer kapitalismus- und rassismuskritischen Perspektive, um das Konzept für die Kritik von Dominanzverhältnissen fruchtbar zu machen, und lotet aus, was Antirassismus für weiße Menschen bedeuten kann.

Mehr Infos...

Inhalt:

- Kita und Kolonialismus: Deutsche Alltagsszenen
- Ausflug in den Kolonialismus
- Definitionen kultureller Aneignung: Vom Essenzialismusproblem zum Transkulturalitätsproblem
- Dimensionen der Aneignung: Koloniale Beutekunst
- Geraubte Repräsentationen
- Supermarkt der Kulturen
- Identität und Identitätspolitik
- Der Kampf um Hegemonie
- Kulturelle Aneignung und Kapitalismus: Kommodifizierung der Kultur
- Sinn- und Bedeutungsverlust
- Ausgehöhlte Identitäten
- Rassistische Begehrlichkeiten: Race und Rassismus
- Die Macht der Strukturen
- Das machen doch alle
- Weißer Antirassismus: Zwischen Allyship und Privileg
- Selbstachtung statt Verzicht
- Was bleibt?

Die schwierige Suche nach einer Definition. Ein Kind geht als „Indianerin“ zum Fasching, in deutschen Museen wird koloniale Raubkunst ausgestellt: Der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst zeigt, wie kulturelle Aneignung rassistische Strukturen verfestigt, und versucht, den Begriff zu klären. Von Ramona Westhof → Deutschlandfunk Kultur 27.09.2021

Der Autor:

Lars Distelhorst, geboren 1972 in Georgsmarienhütte, hat an der Universität Bremen Politikwissenschaft studiert und promovierte an der Freien Universität Berlin über Geschlechterpolitik. Er ist Professor für Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Clara Hoffbauer in Potsdam und lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm »Kritik des Postfaktischen. Der Kapitalismus und seine Spätfolgen« (Fink 2019) und »Leistung. Das Endstadium der Ideologie« (transcript 2014)

 

Erstellt: 27.09.2021 - 19:40  |  Geändert: 03.11.2022 - 07:21