Der Fall Pinochet

"Chile kennt eine schmerzhafte und dramatische Vergangenheit. Ich erinnere mich gut. Aber ich glaube an die Wahrheit und ich trachte nach Gerechtigkeit. Gleichzeitig bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Unterschiede überkommen werden können. Ich glaube, dass aus der Geschichte, auch aus der persönlichen Erfahrung, gelernt werden kann, damit wir uns besser den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen können." 

Präsidentin Michelle Bachelet zum Tod des ex-Diktators Augusto Pinochet. (Quelle)

 

DER FALL PINOCHET
Grundrisse eines Falles, der sich nie wiederholen darf
Stand: Dezember 2006 (wird aktualisiert)
(Berichtigungen, Kritik und Anmerkungen bitte an buchladen@neuer-weg.com)

1. Einleitung

2. Die rechtliche Lage in Chile
2.1 Das Amnestiegesetz
2.2 Die Verfassung von 1980

3. Die Festnahme in London

4. Die Prozesse in Chile
4.1 Die Todeskarawane
4.2 Fall Prats
4.3 Operación Cóndor
4.4 Schwarze Konten
4.5 Villa Grimandi
4.6 Operación Colombo
4.7 Der spanische Priester Mengual

5. Der Tod Pinochets

Links

1. Einleitung

Am 10. Dezember 2006 starb General Augusto Pinochet Urgarte in Santiago de Chile. 33 Jahre und 3 Monate davor, am 11. September 1973, hatten die Militärs unter Mitwirkung  der US-Regierung und der CIA die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Dr. Salvador Allende Gossens geputscht. Unter der Leitung Pinochets wurden 3.065 Tausend Menschen ermordert, unter ihnen sind 1.248 "Desaparecidos" (Verschwundene) und über 30.000 Menschen landeten im Gefängnis oder in einem -oder mehreren- der 1.200 Folterlager. 200.000 gingen ins Exil. Am 20. März 1990 gab Pinochet das Amt als Regierungschef ab und prägte die chilenische Politik weiterhin, ohne jemals verurteilt zu werden, bis zu seinem Tod im Jahr 2006, am Internationalen Tag der Menschenrechte.

Diktator Augusto PinochetPinochet bewunderte Napoleon Bonaparte und General Francisco Franco, der die demokratisch gewählte republikanische Regierung in Spanien stürtzte und in seiner diktatorischen Herrschaft Tausenden von Oppositionellen ums Lebens kamen; er pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Margaret Thatcher aufgrund seiner massiven Beihilfe des britischen Militärs im Falklandkrieg 1982 gegen Argentinien und er wurde vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß verehrt (Quelle). Papst Johannes Paul II. besuchte Chile 1987 und traf Diktator Pinochet. Die Unterstützung u.a. dieser mächtigen Figuren der internationalen Politik in Verbindung mit seiner -praktisch- Alleinherrschaft in der Diktatur und von seinen eigenen Gesetzen geschützt, verlieh ihm eine fast unanstastbare Kondition, die erst mit dem internationalen Haftbefehl vom spanischen Richter Baltasar Garzón im Oktober 1998 entmythisiert wurde. Dieser Moment öffnete zum ersten Mal die Möglichkeit, den ehemaligen Diktator zur Verantwortung zu ziehen, was in seiner Heimat aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht geschehen konnte.

Gerade aus diesem Grund wird im ersten Kapitel die juristische Lage in Chile, die zu Pinochets Lebzeiten existierte, dargestellt, um anschließend in die Festnahme Pinochets in London einzugehen. Schwerpunkt des dritten Kapitels ist nicht die völkerrechtliche Situation, für welche es keinen Präzedenzfall gab, verursachte, sondern vielmehr die Schilderung der politischen Umstände, die in Pinochets Rückkehr nach Chile endeten. Zurück in Chile wurde Pinochet wegen verschiedener Fälle angeklagt - diese werden aufgelistet und kurz erwähnt, um zuletzt den politischen und sozialen Zustand Chiles, der der Tod des Augusto Pinochet am 10. Dezember 2006 hinterließ, in verschiedenen Szenen zu porträtieren.

2. Die rechtliche Lage in Chile

Insbesondere aufgrund der abnehmenden Unterstützung der US-Regierung und der stetig laut werdenden Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen rief das Regime Pinochets 1988 das chilenische Volk auf, mittels eines Referendums über die Fortsetzung seines Regimes abzustimmen. Nach seiner Niederlage übte er das Amt des Oberbefehlshaber bis 1998 aus, ab diesem Zeitpunkt blieb er Senator auf Lebenszeit. Der 'Übergangsprozess in die Demokratie', bekannt als Transición, fürhte zwar politische Rechte mit sich ein, die strafrechtliche Unantastbakeit Pinochets war jedoch durch zwei rechtliche Elemente gesichtert: Das Amnestiegesetz von 1978 und die Verfassung von 1980.

2.1 Das Amnestiegesetz

1978 erließ die Militär-Junta das Amnestiegesetz, das die im Zeitraum des 'Belagerungszustands', d.h. vom 11. September 1873 bis 10. März 1978, begangenen Verbrechen betraf. Zwar begründete die Junta dieses Gesetz in der Notwendigkeit, nach der überwundenen "internen Erschütterung" und "sinnlosen Gehässigkeiten "die nationale Einheit zu stärken, um eine neue Institutionalisierung Chiles zu unterstützen (Quelle), lag jedoch die Absicht darin, die für die Verbrechen Verantwortlichen nach einem Übergang in die Demokratie vor jeglicher Gerichtsbarkeit zu schützen.

Die einzige Ausnahme, in dessen Rahmen das Amnestiegesetz nicht angewendet wurde, war der Fall Orlando Letelier. Allendes ehemaliger Außenminister lebte mit seiner Familie im Exil in den USA und wurde durch sein politisches Engagement eine wichtige Figur der chilenischen Opposition, die haupsächlich Druck auf den US-Kongress und auf europäische Regierungen gegen das diktatorische Regime in Chile ausübte. Er wurde durch eine Autobombe in Washington D.C. im Rahmen der Operación Cóndor (vgl. 4.3.) am 21. September 1976 ermordert. Aus Druck der USA wurde der Fall Letelier aufgeklärt. General Manuel Contreras, Chef des Geheimdienstes DINA, und sein Stellvertreter, Brigadier Pedro Espinoza wurde vom Obersten Gerichtshof 1993 zu 7 Jahren Haft verurteilt. Der andere Angeklagte, der ehemalige CIA-Agent Michael Townley und DINA-Kollaborateur, war bereits 1978 in den USA verurteilt worden.

Am 14. Dezember 2014 legte der chilenische Oberste Gerichtshof (Corte Suprema) das Amnestiegesetz neu aus. Der Gerichtshof entschied, dass die Verbrechen in den ersten Jahren der Diktatur nicht unter dem Amnestiegesetz fallen, da die Junta ein Tag nach dem Putsch den Kriegszustand ausrief und das Kriegsrecht gültig machte; damit hätten die Genfer Konventionen gegolten, gegen deren Bestimmungen die Junta gestoßen hätte. Die neue Gesetztesinterpretation traf zu spät ein: Pinochet starb vier Tage davor.

 

↑nach oben

2.2 Die Verfassung von 1980

Die Verfassung von 1980 wurde von dem Militärregime mit zwei fundamentalen Zielen erarbeitet: Erstens sollte die Verfassung das Regime nach innen und nach außen legitimieren, und zweitens, sie sollte die Herrschaft der Junta auf Zeit sichern. Außerdem enthielt sie einen Schutz der Machinhaber für den künftigen  Demokratisierungsprozess und verankerte die Etablierung einer radikal marktorientierten Wirtschaftsform.

Oktober 1978 wurde ein Verfassungsentwurf von einer von der Junta ernannten Kommission unter Leitung vom rechtkonservativen Jaime Guzmán (*) vorgebracht und im September 1980 durch Volksabstimmung unter nicht demokratischen Kriterien bestätigt: Es gab keine Wahlregister, keine freie Medien, es gab bewaffnete Militärpräsenz an den Wahllokalen und sieben Jahre massive Repression.

Diese neue Verfassung enthielt autoritäre Elemente. So wurde der Präsident mit Sonderbefugnissen ausgestattet, wie die Auflösung des Parlaments in Sitzungsperiode, die Ernennung der Richter vom Obersten Gerichtshof und die Ernennung von Senatoren auf Lebenszeit. In diesem letzten Punkt suchte Pinochet seine Macht zu sichern, da Verfassungsänderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments benötigen. Eine Besonderheit war auch, dass für ehemalige Präsidenten ein Sitz auf Lebenseit im Senat reserviert war. Hierdurch konnte Pinochet in der Zeit nach seinem Rücktritt als Oberbefehlshaber Einfluss auf die politische Sphäre ausüben und als Senator Immunität vor strafrechtlichen Verfolgungen haben. Im Dezember 1976 hatte er sich zum Präsidenten der Republik selbst ermaßen.

Herausragend war auch die Bedeutung des Militärs, was sich unter anderem in der Festlegung der Rolle der Streitkräfte als Schützer der Verfassungs wiederspiegelte. Ebenfalls wurde dem nationalen Sicherheitsrat (Consejo de Seguridad Nacional - COSENA), durch verschiedene Bestimmungen, politischen Einfluss gegeben.

Die wichtigsten Reformen an der Verfassung wurden vom Parlament mit 150 Stimmen dafür, drei dagegen und eine Enthaltung am 26. August 2005 gebilligt. Obowhl diese bereits seit der Neugründung vom Kongress 1990 erwünscht waren, konnten sie bisher aufgrund des fehlenden nötigen Quorums (2/3) nicht durchgeführt werden. (Das fehlende Quorum erklärt sich aus dem binominalen Wahlsystem in Chile: In allen 60 Wahlkreisen sind jeweils zwei Abgeordnetenmandate zu vergeben, ebenfalls für die 19 Wahlkreise für Senatoren. Um beide zu erlangen, muss jede Partei, die die meistens Stimmen erhält, mindestens doppelt so viele erlangen wie die zweitstärkte. Somit werden die rechten Parteien begünstigt.)

Durch diese Verfassungsreformen sollte die Transición endgültigt abgeschlossen werden. Kernpunkte dieser Reformen waren:

1. Der Machtentzug der Streifkräfte
2. Die Ausweitung der Kompetenzen des Kongresses
3. Tiefe Änderungen am Obersten Gerichtshof und am COSENA

Nach den verabschiedenen Reformen entstand in Chile die Diskussion darüber, ob dieses reformiertes Grundgesetz eine neue Verfassung darstelle oder ob es sich lediglich um (grundlegende) Reformen handele. Während die Argumente über die Verabschiebung einer neuen Verfassung sich auf die Existenz dieses reformierten Textes beriefen und darauf, die Verfassung sei nun vom antierenden Präsidenten Ricardo Lagos und nicht mehr von Pinochet unterschrieben, wiesen die Vertreter der anderen Position darauf hin, es handele sich um keine Modifikationen in den Grundlinien des Textes, sondern um eine Anpassung an die neuen Zeiten; es habe sich keine verfassungsgebende Versammlung für die Erarbeitung eines vollen neuen Grundgesetztes gebildet und schließlich sei der Souverän nicht zu einer Abstimmung im Rahmen eines Rederendums konsultiert worden.

(*) Im Auftrag der CSU-nahen Hanns-Seidl-Stiftung arbeiteten der Würzburger Staatsrechtler und Vertriebenenanwalt Prof. Dieter Blumenwitz an der Verfassung des Pinochet-Regimes mit – gemeinsam mit dem Soziologieprofessor und Strauß-Protegé Lothar Bossle, der an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität sein Kollege und in der von deutschen Pädophilen betriebene Foltersiedlung Colonia Dignidad ein ebenso gern gesehener Gast war. (Quelle)

nach oben

3. Festnahme in London

Margaret Thatcher besuchte Pinochet als dieser in London unter Hausarrest standIm Oktober 1998 erließ der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón einen internationalen Haftbefehl gegen Augusto Pinochet wegen Genozid, Terrorismus und Folter unter der Militärdiktatur, denn unter den Opfern des Regimes befanden sich spanische Staatsbürger. Da zu diesem Zeitpunkt Pinochet sich London zur Behandlung seiner Herzprobleme befand, stellte Spanien einen Auslieferungsantrag an Großbritannien. Auch die Schweiz, Frankreich, Belgien und Deutschland stellten Auslieferunganträge an Großbritannien, da Staatsbürger der jeweiligen Nationalität unter der Herrschaft Pinochets gefoltert, ermordert und/oder verschwinden lassen wurden.

Das Hausarrest von Pinochet löste in Chile heftige Protesten aus. Die Gesellschaft spaltete sich, wie einst am 11. September, in Anhändern und Gegnern Pinochets.

Die chilenische Regierung unter Präsident Eduardo Frei (Christdemokratische Partei) begann Verhandlungen, um die Auslieferung von Pinochet nach Chile zu erreichen, denn sie argumentierte, die Verbrechen während der Diktatur seien in Chile begangen worden und nur diesem Land stehe es zu, Pinochet zu verurteilen. Pinochets Verteidigung appellierte die Arrestentscheidung mit der Begründung, er genieße diplomatische Immunität als Senator und als ehemaliger Präsident. Diese wurde vom Londoner High Court am 28. Oktober 1998 angenommen.

Am 25. November 1998 hoben fünf Lordrichter des Oberhauses mit drei gegen zwei Stimmen das Urteil wieder auf, doch Pinochets Verteidigung fand heraus, dass einer der Lords Verbindungen zu Amnesty International (ai) hatte, sodass ein neuer Lordausschuss das Urteil am 17.12.1998 für ungültig erklärte.

Ein dritter Ausschuss aus sieben Richtern stimmte am 24.03.1999 gegen Pinochet und damit für eine Auslieferung nach Spanien, allerdings mit einer fundamentalen Einschränkung: Nur die Menschenrechtsverletztungen ab dem 8. Dezember 1988, Datum, an dem Großbritanniens zur Folterkonvention beitrat, konnten angeklagt werden. Die schlimmsten Menschenrechtsverletztungen waren aber in den ersten Jahren der Diktatur passiert, im Zeitraum von 1973 bis 1976.

Mitte 1999 wurden Geheimverhandlungen zwischen der chilenischen und spanischen Regierung über eine außergerichtliche Lösung bekannt. Wirtschaftsbeziehungen wurden als Druckmittel ins Spiel gebracht, die spanische Botschaft in Santiago wurde angegriffen sowie es gab Morddrohungen an in Chile lebenden Spaniern, an linke Politiker in Chile und ebenfalls an Richter Garzón. Des Weiteren machte die schlechte Gesundheit Pinochets Spanien und Großbritannien Sorgen, denn wenn der Prozess weiterginge, könnte er in Großbritannien sterben, was die laboristische Regierung Blairs nicht begüngstigen würde, insbesondere weil der Fall Pinochet die anstehenden Wahlen beeinflussen könnte.

Am 8. Oktober 1999 billigte der britische Richter Ronald Bartle die Überführung von Augusto Pinochet nach Spanien. Gleichzeitig begannen Spekulationen über weitere Verhandlungen: Pinochets Anwälte und die britische Regierung sollen vereinbart haben, Pinochet aus humanitären Gründen freizulassen für den Fall, dass das Urteil Bartlers nicht mehr zu widerlegen sei. Dieser Fall trat dann tatsächlich ein: Am 5. Januar 2000 forderte der britische Innenminister Jack Straw ein medizinisches Gutachten, welches Pinochet einen schlechten Gesundheitszustand attestierte. Das Ärzteteam war von der britischen Regierung und Pinochets Anwälten ernannt worden, was auch Kontroverse und Zweifel an der Unabhängigkeit der Ärzte und dem Ergebnis bewirkte.

Straw berücksichtigte das medizinische Gutachten und das Alter von Pinochet (83 Jahre) und entschied die Beendigung des Auslieferungsverfahrens, dessen Folge die sofortige Rückkehr Pinochets nach Chile am 2. Mai 2002 war.

nach oben

4. Die Prozesse in Chile

Nach den chilenischen Gesetzen musste Pinochet in jedem Prozess seine Immunität entzogen werden.

Anfang Juli 2002 wurde er wegen Demenz und Gesundheitszustand für prozessunfähig erklärt. Nach diesem Urteil gab Pinochet seinen Senatoren Sitz auf und zog sich ins Privatleben zurück, denn klar, wie konnte ein Dementer im Parlament sitzen?

4.1. Die "Todeskarawane"

Es handelte sich um ein Militärtrupp unter General Sergio Arellano Stark, die während Oktober 1973 per Hubschrauber durch sieben Provinzen Chiles auf der Suche nach Regimegegnern reiste. Laut Richter Juan Guzmán, der "zweite Jäger Pinochets", verschwanden oder starben damals 74 Menschen.

Im August 2000 erhob die chilenische Justiz erstmals Anklage gegen Pinochet wegen 75 Hinrichtungen und 18 verschwundenen Menschen im Zusammenhang mit der Todeskarawane. Richter Guzmán verfügte im Januar 2001 Hausarrest gegen den ehemaligen Diktator, setzte ihn aber zwei Monate später provisorisch wieder frei und am 1. Juli 2002 setzte der Oberste Gerichtshof Pinochet im Fall Todeskarawane aus gesundheitlichen Gründen frei.

Nachdem er am 16. November 2005 für prozessfähig erklärt wurde, wurde am 17. Juli 2006 seine Immunität wegen Hinrichtungen zweier Oppositioneller im Rahmen des Todeskarawane aufgehoben und am 27. November 2006 setzte Richter Víctor Montiglio Pinochet unter Hausarrest.

4.2. Der Fall Prats

Die Leiche des General Prats nach dem Bombenanschlag in Buenos Aires 30.09.1974Der chilenische General Carlos Prats, Vorgänger von Pinochet als Heereschef, wurde 1974 zusammen mit seiner Frau Sofía bei einem von der chilenischen Geheimpolizei DINA, unter Leitung von der ehemalige CIA-Agent Michael Townley, in Buenos Aires verübten Bombenanschlag ermordert. Pinochet wurde vorgeworfen, der geistige Urheber des Attentats zu sein.

Im November 2000 wurde Pinochet das Verlassen Chiles verboten, nachdem Argentinien wegen Mordes an Prats ein Auslieferungsbegehren gestellt hatte. Der Oberste Gerichtshof Chiles wies 2004 einen Antrag auf Aufhebung der Immunität Pinochets wegen Formfehlern zurück. 2005 wurde er endgültig von der chilenischen Justiz in diesem Fall frei gesprochen.

4.3. Operación Cóndor

Pinochet wurde wegen aktiver Beteiligung an dieser Operation angeklagt, in deren Rahmen die Geheimdienste der Militärregime in Südamerika (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Paraguay und Uruguay) mit Kenntnis und Mitwirkung der CIA bei der Verfolgung und Vernichtung politischer Oppositioneller zusammenarbeiteten. Am 26. August 2004 hob der Oberste Gerichtshof die Immunität von Pinochet auf, um ihm wegen neun Entführungen und einem Mord im Rahmen der Operación Cóndor den Prozess zu machen. Im September 2005 wurde das Verfahren eingestellt und am 9. Januar 2006 bekam Pinochet provisorische Freiheit gegen eine Kaution von 24 Millionen Pesos (ca. 34.383 Euro).

4.4. Schwarze Konten

Eine Kommission vom US-Senat fand im Juli 2004 in der Riggs Bank Guthaben des ehem. Dikators im Wert von geschätzten 4-8 Millionen US-Dollar. Im Januar 2005 bekannt sich die Bank schuldig wegen Versteckung von geheimen Konten Pinochets mit 10 Millionen US-Dollar.

Chilenische Ermittler fanden heraus, dass Pinochet insgesamt 27 Millionen US-Dollar (20 Millionen Euro) an Schwarzgeld in verschiedenen Ländern gebunkert hatte. Nach der Aufhebung seiner Immunität im Dezember 2005 wurde er Anfang 2006 wegen Steuerhinterziehung und der Verwendung gefälschter Dokumente angeklagt. Auch seine Frau, vier seiner fünf Kinder und eine Schwiegertochter waren in dem Fall verwickelt. Die letzten wurden wegen angeblichen Steuerhinterziehung für 3,3 Millionen Pesos (ca. 5.014 Euro) angeklagt und unter Hausarrest gestellt. Sie kamen frei gegen Kaution.

Diese besondere Situation provozierte eine Abwendung von Sektoren der chilenischen Rechte. Die Familie Pinochet verneinte stets die Anschuldigungen und sprach von politischer Verfolgung.

4.5. Operación Colombo

"Vernichtet wie Maeuse - 59 chilenische MIR-Mitglieder fallen in militaerischen Auseinandersetzungen in Argentinien"Zweck dieser 1975 von der DINA aufgestellten Operation bestand darin, das "erzwungene Verschwinden" oder Verschwindenlassen von 119 politischen Gegner des Regimes  -mehrheitlich Mitglieder er Widerstandsgruppe MIR- zu verhehlen und sowohl der nationalen als auch der internationalen Öffentlichkeit weiszumachen, sie seien in bewaffneten Auseinandersetzungen mit ausländischen Sicherheitskräften und in internen 'Säuberungen' innerhalb ihrer eigenen Reihen gestorben. Diese Militäraktion war Teil der Operación Cóndor.

Im Juli 2005 wurde Pinochets Immunität wegen Verschwindenlassen von 37 Personen aufgehoben. Nachdem er für geistigfähig für einen Prozess erklärt worden war (25. November 2005) wurde er im Januar 2006 gegen eine Kaution von 24 Millionen Pesos auf provisorische Freiheit gestellt.

4.6. Villa Grimaldi

Die Villa Grimaldi galt als eines der wichtigsten Konzentrationslager unter der Militärdiktatur. Schätzungsweise 4.500 Menschen, darunter auch Präsidentin Michelle Bachelet,  wurden zwischen 1974 und 1978 in Villa Grimaldi gefangen gehalten und gefoltert. 18 wurden exekutiert. Der Verbleib von 211 Gefangenen ist bis dato unbekannt. (Quelle)

Im September 2006 wurde Pinochet die Immunität entzogen -zum ersten Mal wegen Folterverbrechen- und wegen 23 Fällen von Folter und 36 Entführungen angeklagt. Am 30. Oktober 2006 wurde er unter Hausarrest und seine Woche später in provisorische Freiheit gestellt.

4.7. Fall vom Spanischen Priesters Antonio Llidó Mengual

Am 8. November 2006 wurde Pinochet erneut und zum letzten Mal die Immunität entzogen. Es ging um die Folter und das Verschindenlassen vom spanischen Priester Antonio Llidó Mengual, der 1974 von DINA-Agenten festgenommen wurde. Llidó ist der einzige von den während des Militärregimes ermordeten fünf Geistlichen, der als 'Detenido Desaparecido', verschwundener Gefangener, zählt.

Der Prozess endete mit dem Tod Pinochets.

nach oben

 

5. Der Tod Pinochets

Der Tod von Augusto Pinochet legte offen, wie polarisiert die chilenischen Bevölkerung ist. Während einerseit seine Anhänger sich am Militärkrankenhaus und an der Offizierschule versammelten und die Nationalhymne vorsangen, darunter auffällig viele junge Menschen, Fahnen mit der Aufschrift "Danke mein General" schwenkten und in Sprechchören "Kommunisten wegen schwul" und ihre "getöteten Verwandten" schmähnten, und Pinochet als "Retter der Nation" feierten, zogen anderseits Demonstranten über die Hauptverkehrsstraße Alameda auf den Regierungspalast La Moneda zu und feierten Pinochets Tod mit Champagner Flaschen und dem Motto "Adiós Karnaval, adiós General". Es kam zu gewaltsamen Krawallen, die sich in den nächsten Tagen ausdehnten.

Präsidentin Bachelet erlaubte den Streitkräften und militärischen Einrichtungen, die Flaggen auf Halbmast zu setzen, lehnte aber das von Pinochet-Anhängern gefordterte Staatsbegräbnis für den ehemaligen Präsidenten und eine entsprechende dreitätige Staatstrauer ab.

Bei seinen Trauerfeierlichkeiten defilierten 60.000 Menschen am Sarg des verstorbenen Augusto Pinochet vorbei. Die Zahl mag groß erscheinen aber in einer Stadt mit über 16 Millionen Einwohnern ist es nicht zu wundern. Außerdem darf man nicht nur Pinochets Anhängern rechnen; zwischen ihnen waren Presseteams, Gaffer und sogar Oppositionelle wie Francisco Cuadrados Prats, Enkel des ermordeten Gral. Carlos Prats, der auf den Sarg Pinochets spuckte.

Große Kontroverse bewirkte auch die Rede des Enkels Pinochets, der als Hauptmann der Armee den Putsch seines Großvaters verteidigte und seine Strafverfolgung und die Justiz kritisierte. Wegen diesen politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit wurde er von der Armee entlassen.

Das ehemalige Haus von Salvador Allendes, das am Tag des Putsches bombardiert wurde, wurde zum nationalen Denkmal erklärt. Bis dahin war es ein Altersheim.

Der Fall Pinochet erzeugte einen bis dahin nicht existierenden völkerrechtlichen Sachverhalt. Zum ersten Mal wurde ein ehemaliger Staatschef wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt und unter Hausarrest gestellt. Das Spannungsverhältnis zwischen nationalem Recht, in diesem Fall die Immunität Pinochets als Senator (auf Lebenszeit) der Republik Chile, und dem Internationalen Recht, nämlich die Verstöße gegen die Menschenrechte, wurde zugunsten letzterer gelöst. Das Urteil der britischen Justiz, Pinochet die Immunität zu entziehen und nach Spanien auszuliefern, lieferte gerade für Tyrannen die Warnung, Verbrechen gegen die Menschheit seien unverjährbar und die Täter seien nicht unanstastbar; gleichzeitig zeigte es jedoch den Ausweg aus einem solchen Prozess: Die letzte zu ziehende Karte ist die der senilen Demenz, die die Prozessunfähigkeit gerade aus humanitären Gründen gewährleistet.

 

Quellen und weitererführende Informationen

Ley de Amnistía - Decreto Ley 2191

Informe Valech - Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura

Villa Grimaldi - Park für den Frieden

Bericht Fall Letelier

Museo de la Memoria

Gegenstandpunkt 4-98

 

nach oben


 

Erstellt: 05.09.2014 - 15:30  |  Geändert: 10.05.2017 - 11:31