Mao Tse-Tung

Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft

 Mao Tse-tungs Schrift „Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft“ von 1926 betont die erstrangige Bedeutung der korrekten Identifizierung von revolutionären Freunden und Feinden für den Erfolg der chinesischen Revolution. Mao liefert eine detaillierte Analyse der chinesischen Gesellschaft, um die ökonomische Lage und die politische Haltung verschiedener Klassen zur Revolution zu bestimmen. 

Er identifiziert die Grundherrenklasse und die Kompradorenklasse als Vasallen des Imperialismus und als die Hauptfeinde, während er das zahlenmäßig kleine, aber strategisch wichtige Industrieproletariat als die führende revolutionäre Kraft hervorhebt. Das Halbproletariat und Kleinbürgertum werden als die engsten Verbündeten betrachtet, wohingegen die mittlere Bourgeoisie als unzuverlässige Klasse mit widersprüchlicher Haltung gilt, die man nicht an der Front dulden dürfe.

 

Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft (Mao Tse-tung, 1926)

Zusammenfassung

Dieses Dokument fasst die zentrale Analyse aus Mao Tse-tungs Schrift „Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft“ vom März 1926 zusammen. Der Text postuliert, dass der Erfolg einer jeden Revolution von der Fähigkeit abhängt, wahre Freunde von wahren Feinden zu unterscheiden. Dies erfordert eine detaillierte Untersuchung der ökonomischen Lage und der politischen Haltung der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen.

Die Analyse identifiziert vier Hauptgruppen in der chinesischen Gesellschaft:

  1. Die Feinde der Revolution: Dies sind die Klasse der Grundherren und die Kompradorenklasse, die als Vasallen des internationalen Imperialismus und Vertreter der rückständigsten Produktionsverhältnisse gelten. Ihre Existenz ist mit den Zielen der Revolution unvereinbar. Ihre politischen Vertreter sind die „Etatisten“ und der rechte Flügel der Kuomintang.
  2. Die führende Kraft der Revolution: Das Industrieproletariat, obwohl zahlenmäßig klein, ist die fortschrittlichste Klasse und die führende Kraft der revolutionären Bewegung. Seine Stärke liegt in seiner Konzentration und seiner prekären ökonomischen Lage, die es besonders kampffähig macht.
  3. Die engsten Freunde und Verbündeten: Das gesamte Halbproletariat (Halbbesitzer, arme Bauern, kleine Handwerker etc.) und das Kleinbürgertum (Bauern auf Eigenland, kleine Händler, Intellektuelle) bilden die zahlenmäßig größte und zuverlässigste Basis der Revolution.
  4. Die schwankende Klasse: Die mittlere Bourgeoisie (nationale Bourgeoisie) nimmt eine widersprüchliche Haltung ein. Sie unterstützt die Revolution aus Opposition gegen den Imperialismus, fürchtet aber gleichzeitig die Radikalität des Proletariats. Ihr Streben nach einem eigenen, von ihr geführten Staat wird als Illusion abgetan, da sie sich letztlich zwischen Revolution und Konterrevolution entscheiden muss. Ihr linker Flügel kann ein Freund, ihr rechter Flügel ein Feind sein.

Die zentrale Schlussfolgerung lautet, dass eine erfolgreiche Revolution auf einem festen Bündnis des Proletariats mit dem Halbproletariat und dem Kleinbürgertum basieren muss, während die mittlere Bourgeoisie mit Vorsicht behandelt werden muss und die Grundherren- und Kompradorenklassen als Hauptfeinde zu bekämpfen sind.

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Detaillierte Analyse der gesellschaftlichen Klassen

1. Die zentrale Fragestellung der Revolution

Die grundlegende Frage, die den Erfolg der Revolution bestimmt, lautet: „Wer sind unsere Feinde? Wer sind unsere Freunde?“ Die Grundursache für die geringen Erfolge bisheriger revolutionärer Kämpfe in China liegt laut Analyse darin, dass es nicht gelang, sich mit den wahren Freunden zusammenzuschließen, um die wahren Feinde zu bekämpfen. Um dies zu gewährleisten, ist eine präzise Analyse der ökonomischen Lage und der Haltung der verschiedenen Klassen zur Revolution unerlässlich.

2. Die Feinde der Revolution

Die Klasse der Grundherren und die Kompradorenklasse

  • Ökonomische Position: Diese Klassen werden als „Vasallen der internationalen Bourgeoisie“ beschrieben, deren Existenz vom Imperialismus abhängt. Sie repräsentieren die „rückständigsten und reaktionärsten Produktionsverhältnisse“ und hemmen die Entwicklung der Produktivkräfte Chinas.
  • Haltung zur Revolution: Ihre Existenz ist mit den Zielen der chinesischen Revolution „völlig unvereinbar“. Besonders die großen Grundherren und Kompradoren bilden die Kerngruppe der Konterrevolution.
  • Politische Vertreter: Die Gruppe der „Etatisten“ und der rechte Flügel der Kuomintang.

3. Die schwankende Klasse

Die mittlere Bourgeoisie

  • Definition: Diese Klasse repräsentiert die kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Stadt und Land und wird hauptsächlich mit der nationalen Bourgeoisie identifiziert.
  • Widersprüchliche Haltung:
    • Pro-revolutionär: Wenn sie unter dem Druck des ausländischen Kapitals und der Militärmachthaber leidet, fühlt sie die Notwendigkeit einer Revolution und unterstützt die antiimperialistische Bewegung.
    • Anti-revolutionär: Sobald das Proletariat im In- und Ausland an Stärke gewinnt und ihren eigenen Aufstieg zur Großbourgeoisie bedroht, beginnt sie, an der Revolution zu zweifeln. Ein Zitat aus der Pekinger Zeitung Tschenbao veranschaulicht diese Haltung: „Erhebe deine Linke zur Niederschlagung der Kommunistischen Partei.“
  • Politische Ziele: Sie strebt die Schaffung eines Staates an, in dem die nationale Bourgeoisie als einzige Klasse herrscht. Dieses Ziel wird als „gänzlich unrealisierbar“ und „Illusion“ bezeichnet.
  • Globale Einordnung: In der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Revolution (angeführt von der III. Internationale) und Konterrevolution (angeführt vom Völkerbund) gibt es für Zwischenklassen keinen Raum für „Unabhängigkeit“. Sie werden sich unweigerlich spalten und entweder nach links oder nach rechts abschwenken.

4. Die Freunde und Verbündeten der Revolution

Das Kleinbürgertum

Diese Klasse ist aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke und Natur von großer Bedeutung. Zu ihr gehören Bauern auf Eigenland, Besitzer von Handwerksbetrieben, die untere Intelligenz (Schüler, Studenten, Lehrer, kleine Beamte) und kleine Händler. Sie ist in drei Gruppen unterteilt:

  • Die erste Gruppe (Rechter Flügel):
    • Ökonomische Lage: Erzielt jährliche Überschüsse und hat den Wunsch, in die Stellung der mittleren Bourgeoisie aufzusteigen.
    • Haltung: Ist feige, fürchtet die Behörden und die Revolution. Sie glaubt der Propaganda der mittleren Bourgeoisie und ist der Revolution gegenüber misstrauisch. Diese Gruppe stellt eine Minderheit dar.
  • Die zweite Gruppe (Mitte):
    • Ökonomische Lage: Erwirtschaftet im Großen und Ganzen ihren Lebensunterhalt, spürt aber den zunehmenden Druck durch Imperialisten, Militärmachthaber und Grundherren. Sie stellt fest, dass gleicher Arbeitsaufwand nicht mehr zum Leben reicht.
    • Haltung: Sie ist unzufrieden und schimpft auf die Unterdrücker, zweifelt aber am Erfolg der Revolution und nimmt eine neutrale Position ein. Sie ist jedoch nicht gegen die Revolution. Diese Gruppe macht etwa die Hälfte des Kleinbürgertums aus.
  • Die dritte Gruppe (Linker Flügel):
    • Ökonomische Lage: Ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich stetig, sie macht Defizite und verschuldet sich. Der Kontrast zwischen besseren früheren Tagen und der jetzigen Armut verursacht großes seelisches Leid.
    • Haltung: Diese Gruppe ist für die revolutionäre Bewegung „ziemlich wichtig“. In Kriegszeiten und bei sichtbarem Erfolg der Revolution schließt sie sich dieser an. Die Erfahrungen der „Bewegung des 30. Mai“ 1925 zeigen, dass in solchen Zeiten auch die mittlere und sogar Teile der rechten Gruppe von der revolutionären Welle mitgerissen werden.

Das Halbproletariat

Diese Klasse umfasst fünf Gruppen mit einer noch geringeren Kleinproduktion:

  1. Die überwiegende Mehrheit der Halbbesitzer: Ihr Leben ist schwerer als das der Bauern auf Eigenland, da sie Land hinzupachten und ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Sie sind revolutionärer als die Bauern auf Eigenland, aber weniger revolutionär als die armen Bauern.
  2. Die armen Bauern: Sie sind Pächter ohne eigenen Boden und werden von den Grundherren ausgebeutet. Die elendste Gruppe unter ihnen besitzt kaum Ackergeräte oder Geldmittel, ist hoch verschuldet und für revolutionäre Propaganda „überaus empfänglich“. Sie stellen zusammen mit den Halbbesitzern die Masse der Landbevölkerung und das Kernproblem der „Bauernfrage“ dar.
  3. Die kleinen Handwerker: Obwohl sie primitive Produktionsmittel besitzen, müssen sie oft ihre Arbeitskraft verkaufen. Ihre Lage ähnelt der der armen Bauern.
  4. Die Handlungsgehilfen: Angestellte mit bescheidenem Gehalt, das von der Inflation aufgefressen wird. Sie klagen über ihr Los und sind für revolutionäre Propaganda sehr empfänglich.
  5. Die Straßenhändler: Mit geringem Kapital und niedrigem Einkommen befinden sie sich in einer ähnlichen Lage wie die armen Bauern und benötigen eine Revolution.

Das Proletariat

  • Modernes Industrieproletariat:
    • Größe und Zusammensetzung: Zählt ca. zwei Millionen Menschen, hauptsächlich in den Sektoren Eisenbahn, Bergbau, Seeschifffahrt, Textilindustrie und Schiffbau. Ein großer Teil arbeitet für ausländische Unternehmer.
    • Führende Rolle: Obwohl zahlenmäßig klein, ist es der „Repräsentant der neuen Produktivkräfte Chinas“, die „fortschrittlichste Klasse“ und die „führende Kraft der revolutionären Bewegung“.
    • Gründe für die Stärke:
      1. Konzentration: Keine andere Klasse ist so konzentriert.
      2. Ökonomische Lage: Sie sind aller Produktionsmittel beraubt, haben keine Hoffnung auf Reichtum und werden grausam behandelt, was sie „besonders kampffähig“ macht. Die Streiks der Seeleute, Eisenbahner und Bergarbeiter sowie die Generalstreiks in Schanghai und Hongkong belegen ihre zentrale Rolle.
  • Städtische Kulis: Umfasst Hafenarbeiter, Rikschakulis, Fäkaliensammler etc. Ihre Lage ähnelt der der Industriearbeiter, sie sind aber weniger konzentriert und spielen eine geringere Rolle in der Produktion.
  • Dorfproletariat (Landarbeiter): Sie besitzen weder Boden noch Ackergeräte und leben vom Verkauf ihrer Arbeitskraft unter den schlechtesten Bedingungen (längster Arbeitstag, niedrigster Lohn). Sie haben in der Bauernbewegung eine ebenso wichtige Stellung wie die armen Bauern.

Das vagierende Proletariat (Lumpenproletariat)

  • Zusammensetzung: Bauern, die ihr Land verloren haben, und arbeitslose Handwerker. Ihre Existenz ist die unsicherste von allen.
  • Organisation: Sie organisieren sich in Geheimbünden wie dem „Dreier-Bund“ oder der „Grünen Gilde“.
  • Haltung und Potenzial: Sie sind „zum mutigsten Kampfe fähig, aber zu Zerstörungsaktionen neigend“. Wenn sie richtig geleitet werden, können sie zu einer „revolutionären Kraft“ werden. Ihre Behandlung stellt ein schweres Problem für China dar.

5. Schlussfolgerung und Synthese

Basierend auf dieser Klassenanalyse wird eine klare strategische Ausrichtung formuliert:

Klasse / GruppeRolle in der Revolution
Grundherren, Kompradoren, Bürokratie, MilitärmachthaberUnsere Feinde
IndustrieproletariatDie führende Kraft
Halbproletariat und KleinbürgertumUnsere engsten Freunde
Mittlere BourgeoisieSchwankende Klasse; ihr rechter Flügel kann Feind, ihr linker Flügel Freund sein. Es ist Vorsicht geboten, um Verwirrung an der Front zu vermeiden.

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Wichtige Definitionen und Anmerkungen aus dem Quelltext

BegriffDefinition / Erklärung
KompradorenklasseJener Teil der chinesischen Bourgeoisie, der direkt den Kapitalisten der imperialistischen Länder diente, von ihnen als Stellvertreter eingesetzt und von ihnen finanziert wurde.
EtatistenEine Gruppe faschistisch gesinnter Politiker, die den „Etatistischen Jugendverband Chinas“ gründeten. Sie spezialisierten sich auf konterrevolutionäre Aktionen gegen die Kommunistische Partei und die Sowjetunion.
Dai Dji-taoEin Mitglied der Kuomintang, das nach Sun Yat-sens Tod 1925 eine antikommunistische Hetzkampagne betrieb und den Boden für Tschiang Kai-scheks konterrevolutionären Staatsstreich von 1927 vorbereitete.
Tuhao und LiäschenTuhao (örtliche Despoten) waren Grundherren, Reiche und Beamte, die auf lokaler Ebene willkürlich herrschten. Liäschen (üble Vornehme) waren gebildete Tuhao mit hohem politischem und sozialem Status. Sie waren die politischen Repräsentanten der Grundherrenklasse.
Bewegung des 30. Mai 1925Eine landesweite antiimperialistische Protestbewegung, ausgelöst durch ein Massaker der britischen Polizei an Demonstranten in Schanghai. Sie führte zu einer Welle von Streiks und Demonstrationen im ganzen Land.
GeheimbündePrimitive Organisationen (z.B. „Grüne Gilde“, „Bund der großen Schwerter“), die sich aus ruinierten Bauern und arbeitslosen Handwerkern zusammensetzten. Sie dienten der gegenseitigen Hilfe, konnten aber auch von reaktionären Kräften kontrolliert und für deren Zwecke missbraucht werden.
Autoren

Erstellt: 21.10.2025 - 18:58  |  Geändert: 21.10.2025 - 19:37