Wer am Abgrund tanzt
Notizen zu den Münchner Jahren zwischen Räterepublik und Hitler-Putsch 1919 - 1923
Nach der blutigen Liquidierung der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919 wird die bayrische Hauptstadt zu einem Hort revanchistischer, rechtsnationalistischer, antisemitischer und gewaltbereiter Gruppen, die Schritt für Schritt die Meinungsführerschaft und den öffentlichen Raum zu erobern suchen. Die Arbeiterbewegung stemmt sich diesem Trend vergeblich entgegen.
Im »außerbayrischen, feindlichen Ausland« äußern 1921 angesehene Zeitungen wie die Karlsruher Zeitung, das amtliche Organ der badischen Staatsregierung, ihr Befremden über die weiß-blauen Zustände und erkennen die Gründe dafür darin, dass »ein nicht unerheblicher Bruchteil der Bevölkerung von einer Rohheit des Fühlens und Denkens ist, dass man sich versucht fühlt, den Aschantineger im Vergleich mit diesen eigentümlichen Bundesbrüdern als den Träger der höheren Zivilisation anzusprechen«. Und Kurt Tucholsky fordert in der Weltbühne: »Reisende, meidet Bayern!« - München im Umbruch: Modernisierung, Not, Arbeitskämpfe, kalter Bürgerkrieg, der drohende Vorschein der Diktatur. Jahre später erhält München deshalb den »ehrenvollen« Titel »Hauptstadt der Bewegung«.
Der Autor:
Günther Gerstenberg, ein Angehöriger der "68er Generation", ist Schriftsteller und Künster. Er lebt in München. In den 1980er Jahren war er an der Gründung des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung beteiligt. Seit einem Jahrzehnt ist er u.a. Mitarbeiter an dem Projekt „Protest in München 1945 bis in die Gegenwart“. 2017 veröffentlichte er zusammen mit Cornelia Naumann im Verlag Edition AV eine Sammlung von Dokumenten und 2018 sein Buch "Der kurze Traum vom Frieden" über den Münchner Arbeiterstreik gegen den Krieg im Januar /Februar 1918.
Erstellt: 09.06.2024 - 08:08 | Geändert: 09.06.2024 - 08:09