Marseille.73. Von Dominique Manotti

Bisher hat sich Commissaire Daquin, Neuzugang aus Paris, bei der Marseiller Kripo wenig Freunde gemacht - zu intellektuell, zu unbestechlich, zu fremd.
Aktuell überwachen er und sein Team rechtsextreme Splittergruppen, die im Verdacht stehen, an der Côte d'Azur paramilitärische Trainingslager zu unterhalten. In die Untersuchung zum Mord an einem algerischen Jugendlichen geraten sie eher zufällig. Kein Zufall ist hingegen die Schlampigkeit, mit der die zuständigen Kollegen ihre Ermittlung betreiben. Unter Überschreitung seiner Befugnisse und ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt Daquin die von ihnen ignorierten Fährten - und trifft mitten in ein Wespennest. Denn die verschiedenen Dienste der Marseiller Polizei sind nicht nur Meister der Mauschelei, sie führen auch einen gnadenlosen Krieg gegeneinander.

Rezension von Manfred Kunz

ISBN 978-3-86754-247-0     23,00 €  Portofrei     Bestellen

Mit "Marseille.73" setzt Dominique Manotti ihre Erkundung der Dunkelzonen in der jüngeren französischen Geschichte fort. Auch bei ihrem neusten Werk stützt sich die Historikerin auf präzise recherchierte Fakten: 1973 erlebte Frankreich eine rassistische Mordserie, der binnen sechs Monaten etwa fünfzig Araber, insbesondere Algerier, zum Opfer fielen. Zwanzig davon allein in Marseille, Epizentrum des rassistischen Terrorismus. Bewährt kantig-elegant und mit politischem Furor seziert Manotti eine komplexe Gemengelage und transformiert Realität in einen literarischen Film noir.

Pogromstimmung an der Côte d'Azur: Als im Bus ein geistig verwirrter Algerier dem Fahrer die Kehle durchschneidet, rufen Scharfmacher zur Vergeltung auf. Prompt wird ein Jugendlicher auf offener Straße regelrecht hingerichtet. Die Mordermittlung verläuft schlampig, bis Commissaire Daquin sich einmischt.

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Vorbemerkung der Herausgeberin:

Willkommen zu einem Abstecher in die Geschichte des Rassismus. Während die Côte d’Azur in der Sommersonne glitzert, das Werftgelände in La Ciotat vom Arbeitslärm widerhallt, der Duft von Couscous durch die Gassen von Marseille zieht und im alten Hafen versenkte Leichen auftauchen, liegt die militante Kolonialpolitik Frankreichs kaum mehr als ein Jahrzehnt zurück. Pied-noirs, Algerienheimkehrer, finden sich in allen Strukturen der Stadt und reiben sich an der Anwesenheit maghrebinischer Arbeitskräfte. In der Polizeizentrale Évêché tobt ein Kleinkrieg zwischen den Etagen, chauvinistische Seilschaften mauscheln und verwalten ihre Pfründe. Doch auch die Gegenseite schläft nicht …

Commissaire Théo Daquin ist der lange Arm Dominique Manottis, mit ihm greift sie in die Vergangenheit und knöpft sich die Gemengelage vor, die in Frankreich den radikalen Nationalismus zur Blüte trieb. Im Spannungsfeld schwelender sozialer Konflikte, selbsternannter Scharfrichter und mehr oder weniger subtil hetzender Medien muss Daquin mit seinen Inspecteurs alle Register ziehen, um die Wahrheit ans Licht zu holen. Der politisierten Leserin drängen sich bei der Lektüre Parallelen zu Ermittlungspannen um die NSU-Morde auf, und das ist nicht die einzige schmerzhafte Aktualität in diesem historischen Roman policier. Manotti erweckt die sich bekriegenden Interessen zum Leben, gießt sie in Figuren, deren Treiben und Streben sich zu einem fesselnden Ermittlungsthriller fügt, zutiefst noir, hochpolitisch und so rasant wie sinnlich. Großes Kino. (Else Laudan)

Kann es einen linken Polizeiroman geben? Die vielen, gut recherchierten Details fügen sich im Verlauf des Romans zu einer spannenden Geschichte, die nicht nur auf der Sachebene, sondern auch emotional trägt. Am Ende hat man nicht nur die Familie des ermordeten Jungen, ihren jungen Anwalt und die vielen nordafrikanischen Genoss:innen ins Herz geschlossen. Rezension von Johanna Tirnthal → kritisch lesen 13.04.2021

Marseille stinkt nach Blut. Ellen Beeftink → UZ 12.03.2021

Über die Bürgerpflicht. Dominique Manottis Lehrstück über den Fremdenhass. Von Walter Delabar → literaturkritik.de Februar 2021

Finstere Herzen. Dominique Manottis „Marseille.73“ zeigt eine rassistische Gesellschaft – mit historischem Weitwinkel. Von Eva Erdmann → der Freitag 12.11.2020

Die Autorin:

Dominique Manotti ist Historikerin mit Schwerpunkt Wirtschafts­geschichte der Neuzeit. Die emeritierte Dozentin war viele Jahre als Gewerkschafterin in der CFDT aktiv und leitete ihre Pariser Sektion. Frustriert von der politischen Perspektivlosigkeit der Mitterrand-Ära begann sie mit fünfzig, Noir-Romane zu schreiben. Inspiriert durch jahrelanges Engagement in sozialen Kämpfen, durch politische Leidenschaft und präzise Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte fand Manotti unmittelbar zu ihrem eigenen auf­fälligen Stil: scharf recherchierte Fakten, schlaglicht­artig verknappt, erzählt mit der coolen Eleganz des Noir. Sie erhielt zahlreiche Litera­turpreise (u.a. den Duncan Lawrie International Dagger, den Deutschen Krimipreis, den Prix Mystère de la ­Critique, die Trophée 813 und den Grand Prix du Roman Noir) und lebt in Paris.

 

Erstellt: 26.11.2020 - 06:55  |  Geändert: 27.09.2022 - 07:36

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