Gegenpol (Medienpräsenz)

48:51

"Versteht Merz überhaupt, worum es hier geht? Ich habe das Gefühl, dass er gar nichts versteht." – Deutliche Worte findet der Historiker und Soziologe Prof. Dr. Moshe Zuckermann über Merz verbale Entgleisung, Israel leiste die "Drecksarbeit" für Deutschland. Im exklusiven Interview mit GEGENPOL argumentiert der ehemalige Leiter des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv: "Die Vorstellung, dass Israel für Deutschland irgendetwas macht, ist eine totale Verdrehung der der historischen Codeworte. [...] Wenn ein deutscher Kanzler von Drecksarbeit reden, wertet er alles das ab, was für die Israelis selber nackte Selbstverteidigung ist."

Die eigentlichen Gründe für den Krieg Israels gegen den Iran bewertet Zuckermann nüchtern: "Netanjahu denkt gar nicht daran, irgendwas für den Westen oder gar für Deutschland zu leisten. Er denkt nur an sich. [...] Netanjahu braucht diesen Krieg, damit es nicht zu einem staatlichen Untersuchungskommission über den 7. Oktober 2023 kommt. Damit sein Prozess wegen Korruption, Veruntreuung und Betrug nicht fortgesetzt wird. Und vor allem, damit er nicht die Macht verliert, darum geht es letztendlich."

Zuckermann selbst wurde schon häufig – jüngst auch von Seiten der Bundesregierung – vorgeworfen, anti-israelisch und somit antisemitisch zu argumentieren. Der Grund: Der Historiker ist ein bekennender Gegner der israelischen Okkupationspolitik und des israelischen Militarismus: "Das konnten die Deutschen nicht ertragen."

Anklagend fragt Zuckermann ,was heute nach Jahrtausenden der jüdischen Geschichte noch übrig ist: "Es ist nicht sehr viel: Es ist Militarismus, mittlerweile auch Faschismus und ein ganze Menge Rassismus. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich sehe da wirklich einen kulturellen Untergang."

Unsere Themen:

00:00 Intro

00:15 1. Lage in Tel Aviv: Hat Israel den Iran unterschätzt?

02:04 2. Wie wirkt die Angst auf die Psyche der Israelis?

04:35 3. Neue Qualität der Angst durch iranische Gegenschläge?

06:47 4. Unterstützen die Israels Netanjahus Krieg gegen Iran?

10:29 5. "Euphorie" über israelischen Militarismus?!

15:25 6. Wohin ist die israelische Friedensbewegung verschwunden?

20:58 7. Leben Sie noch gerne in Israel?

23:22 8. Merz: "Israel macht Drecksarbeit für uns"

29:31 9. Erliegt Deutschland erneut dem Militarismus?

36:22 10. "Nie wieder ist jetzt"?

38:05 11. Wie wird die Geschichte über Israel urteilen?

45:32 12. Haben Sie Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden?

"Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute nach jahrelanger Inhaftierung frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe." – So erklärt Julian Assange sein "Verbrechen". Es war der erste öffentliche Auftritt des Wikileaks-Gründers nach 14 Jahren Verfolgung, Isolation und Gefangenschaft. Assange wurde Ende Juni nach über fünf Jahren aus der Einzelhaft des Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London freigelassen. Drei Monate später gab der weltbekannte Journalist seine erste Pressekonferenz im Europarat in Straßburg.

Assange zeigt auf, dass dies die USA seien, die mit Hilfe seines Falles „den Journalismus international kriminalisiert" und die Meinungsfreiheit ernsthaft gefährden: "Ich war ein politischer Gefangener. Die politische Grundlage für die Vergeltungsmaßnahmen der US-Regierung gegen mich war die Veröffentlichung der Wahrheit über das, was die US-Regierung getan hatte."

Assange und WikiLeaks hatten sich mit mächtigen Kreisen angelegt. Weltruhm erlangten sie 2010 durch die Veröffentlichung des Videos "Collateral murder" aus dem Irak-Krieg. In diesem eröffnen US-Soldaten aus einem Hubschrauber das Feuer auf Zivilisten und Journalisten. Viele weitere Leaks folgten, die unzählige US-Kriegsverbrechen aufdeckten, sowie „Programme zur Ermordung, Verschleppung, Folter und Massenüberwachung“ zudem massive Steuerhinterziehung und Korruption. Assange sah sich fortan mit Verfolgung und Medienkampagnen gegen sich konfrontiert. Er verteidigt seine Enthüllungen: "Unser Journalismus hat die Informationsfreiheit und das Recht der Öffentlichkeit auf Wissen in den Mittelpunkt gestellt."

Assange bedauert zutiefst, wohin sich die Welt in den vergangenen 14 Jahren entwickelt hat: "Nun, seitdem ich aus dem Kerker von Belmarsh heraus bin, ist die Wahrheit nicht mehr so leicht zu erkennen, und ich bedaure, wie viel Boden in dieser Zeit verloren gegangen ist, wie die Verbreitung der Wahrheit untergraben, angegriffen, geschwächt und eingeschränkt worden ist. Ich sehe mehr Straffreiheit, mehr Geheimhaltung, mehr Repressalien für das Aussprechen der Wahrheit und mehr Selbstzensur."

Die Freiheit der Informationen, der Meinungen und der Presse sind aus seiner Sicht heute mehr denn je bedroht: "Die Meinungsfreiheit und alles, was mit ihr zusammenhängt, steht an einem düsteren Scheideweg. Ich fürchte, dass es schon bald zu spät sein wird."

Er betonte die dringende Notwendigkeit, gegen transnationale Unterdrückung vorzugehen, ansonsten sei bald kein Journalist mehr sicher und ohne echten Journalismus sei eine freie Gesellschaft nicht möglich: "Die Rechte von Journalisten und Verlegern innerhalb des europäischen Raums sind ernsthaft bedroht. Transnationale Unterdrückung darf hier nicht zur Norm werden. [...]  Journalismus ist kein Verbrechen. Er ist ein Grundpfeiler einer freien und informierten Gesellschaft."

Rückblickend stellt Assange für sich fest, dass er zu gutgläubig war und mahnt die Gesellschaften: "Ich war naiv, weil ich an das Gesetz geglaubt habe. Aber wenn es hart auf hart kommt, sind Gesetze nichts weiter als ein Stück Papier, das je nach politischer Zweckmäßigkeit uminterpretiert werden kann. Sie sind die Regeln, die von der herrschenden Elite aufgestellt werden, und wenn diese Regeln nicht zu dem passen, was sie tun will, werden sie neu interpretiert oder, was deutlicher ist, idealerweise geändert. Ich habe 14 Jahre durch Hausarrest, Botschaftsbelagerung und Hochsicherheitsgefängnis verloren. Ich denke, das ist eine wichtige Lektion: Wenn eine große Machtgruppe das Gesetz neu auslegen will, kann sie darauf drängen, dass das Staatsorgan, in diesem Fall das US-Justizministerium, dies tut. Und es schert sie nicht allzu sehr, was legal ist."

Seine Rede beendete er mit dem Appell: "Wir müssen alle zusammenhalten, um die Sache durchzustehen. Wird ein Journalist irgendwo zensiert, verbreitet sich dadurch die Zensur, die sich dann auf uns alle auswirken kann. [...] Journalisten müssen Aktivisten für die Wahrheit sein. [...] Wenn einer von uns fällt, werden die Risse bald breiter werden und den Rest von uns zu Fall bringen. [...] Kämpfen wir weiter."