Gedichte in einem Band. Von Kurt Tucholsky

Gedichte in einem Band. Von Kurt TucholskyKurt Tucholsky (1890-1935) ist einem breiteren Publikum vor allem als Satiriker und scharfzüngiger Kritiker seiner Gegenwart bekannt. Auch der Lyriker Tucholsky wird bis heute in erster Linie als Verfasser politischer und zeitkritischer Gedichte wahrgenommen.

ISBN 978-3-458-17300-7     18,80 €  Portofrei     Bestellen

Gedichte wie Mutterns Hände, Der Graben oder Augen in der Großstadt gehören zum lyrischen Kanon des 20. Jahrhunderts.

In den Jahren zwischen 1911 und 1932, bis zu Tucholskys endgültigem Verstummen im schwedischen Exil, entsteht neben seiner"Gebrauchslyrik", die eng auf das jeweils aktuelle Zeitgeschehen bezogen ist, auch eine Fülle von Großstadt- oder Jahreszeitengedichten, melancholischen Stimmungsbildern, Parodien auf Traditionen und Gattungen oder ironischen Porträts seiner Zeitgenossen. Nicht zuletzt verfaßt er zahlreiche Chansons und Couplets für Revuen und Kabaretts wie Schall und Rauch, Die wilde Bühne, das Kabarett der Komiker, die in den Vertonungen etwa von Friedrich Hollaender oder Rudolf Nelson und vorgetragen von Paul Graetz, Gussy Holl, Claire Waldoff, Rosa Valetti oder Kate Kühl große Popularität erlangt haben.

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Komposition: Hanns Eisler
Text: Kurt Tucholsky

Mutter, wozu hast Du Deinen aufgezogen,
Hast Dich zwanzig Jahr' mit ihm gequält?
Wozu ist er Dir in Deinen Arm geflogen,
Und Du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn Dir weggenommen haben
Für den Graben, Mutter, für den Graben!

Junge, kannst Du noch an Vater denken?
Vater nahm Dich oft auf seinen Arm,
Und er wollt' Dir einen Groschen schenken,
Und er spielte mit Dir Räuber und Gendarm
Bis sie ihn Dir weggenommen haben
Für den Graben, Junge, für den Graben!

Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer mancher Knabe
in dem einen großen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker.
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit.
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
für das Grab, Kameraden, für den Graben.

Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellen
spielen auf zu Eurem Todestanz!
Seid Ihr hin? - Ein Kranz von Immortellen,
Das ist dann der Dank des Vaterlands!

Denkt an Todesröcheln und Gestöhne!
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
Schuften schwer, wie ihr, um's bißchen Leben.
Wollt Ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
Über'n Graben, Leute, über'n Graben!

 

Erstellt: 04.09.2015 - 10:05  |  Geändert: 02.12.2020 - 18:02

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