Vor den Ruinen von Grosny
Leben und Überleben im multiethnischen Kaukasus

»Was war der Vielvölkerstaat Sowjetunion, der immerhin sieben Jahrzehnte lang das Leben von über zweihundert Millionen Menschen bestimmte? Wie funktionierte das Miteinander der multiethnischen Gemeinschaften, die in einer Vielzahl von sowjetischen Städten über Jahrzehnte bestanden?

ISBN 978-3-95757-235-6 1. Auflage 12.10.2023 42,00 € Portofrei Bestellen (Buch)

Anders gefragt, wie gelang es den Menschen, nach den Exzessen der Gewalt - Revolution, Bürgerkrieg, Terror, Zweiter Weltkrieg - einander wieder in die Augen zu schauen und neues Vertrauen zu fassen? Oder waren die gemeinsam verlebten Jahrzehnte nach Stalins Tod nichts weiter als ein Ausharren, ein Warten auf das 'Ende der Geschichte'?« 

Die Suche nach Antworten auf diese Fragen führte Walter Sperling in dieser mitreißend erzählten Alltagsgeschichte an den Rand der ehemaligen Sowjetunion, nach Grosny. Dort bündelt sich wie in einem Brennglas das Kräftespiel von Widerstand und Integration, im Ringen des russischen Imperiums und der Peripherie, der Kolonisatoren und Kolonisierten. Erst Garnisonsort, dann Boomtown des Erdöls, nach der Oktoberrevolution Baustelle des Sozialismus, wenig später Frontstadt im Visier der deutschen Wehrmacht.

Nach der Deportation der Tschetschenen und Inguschen 1944 und deren Rückkehr 1957 hörte man lange nichts mehr von dem beschaulichen Städtchen im Kaukasus, das beharrlich um seinen sozialen Frieden rang. Bis zum ersten russischen Tschetschenienkrieg, als Grosny erneut in Ruinen endete. Die Eskalation und die Radikalisierung zeichnet Walter Sperling nach. Vor allem aber macht er die Bemühungen sichtbar, Brücken zu schlagen und zu vermitteln, weil die Eliten der multiethnischen und multireligiösen Peripherie wussten, was der Preis von Entfesselung ist.

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Inhaltsverzeichnis

Leseprobe des Verlags

REZENSION I: Der Verfasser der zu besprechenden geradezu monumentalen Untersuchung, der Historiker Walter Sperling, wurde 1975 in Karaganda (Kasachstan) geboren – seine Großeltern waren als Deutsche 1941 von der Halbinsel Krim und aus dem Westkaukasus deportiert worden (S. 192) – und ist als Kind aus der UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland emigriert. Die grundsätzlichen Forschungsfragen, die sich Sperling in neun Kapiteln plus Einleitung und Epilog stellt, gehen vom Charakter des Vielvölkerstaats Sowjetunion, von der Funktionsweise ihrer multinationalen Gesellschaft und dem „Miteinander der multiethnischen Gemeinschaften“ (S. 12) in den sowjetischen Städten aus. Konkret im Hinblick auf die „multiethnische Stadt Grosny“ im östlichen Nordkaukasus interessiert sich der Autor für „Lebenswege, Lebensstile, Lebensweisen und die materielle Welt“, die sich die alteingesessenen Stadtbewohner und die Zugewanderten anzueignen wussten (S. 18), sowie für das Gefälle und die Wechselwirkungen zwischen Stadt und Land. Zudem möchte Sperling erkunden, wie die multiethnische Bevölkerung im städtischen Raum Grosnys vor dem Hintergrund der sowjetischen Realität auch und gerade angesichts verschiedener Konflikte miteinander umging (S. 18). Von Martin Malek H-Soz-Kult 10.09.2024

REZENSION II: «Zuerst haben die Russen viel Geld investiert, um Grosny in Schutt und Asche zu legen. Jetzt investieren sie viel Geld, um Grosny wieder aufzubauen.» Das berichtete mir 2007 ein georgischer Arbeitsmigrant, der seine Sommermonate auf dem Bau der tschetschenischen Hauptstadt Grosny verbrachte. Es lohnte sich für ihn wegen der besseren Löhne, und weil es nicht weit ist von Georgien ins benachbarte Tschetschenien. Als Russland im Jahr darauf nach Abchasien und Südossetien einmarschierte, die Kontrolle über diese Regionen erlangte und binnen fünf Tagen weit auf georgisches Territorium vordrang, war der Arbeitsmarkt in Grosny für ihn verschlossen. Von Florian Mühlfried Berlin Review 10.09.2024

Pressenotizen Perlentaucher

Der Autor

Walter Sperling, 1975 in Karaganda geboren, emigrierte in seiner Kindheit aus der UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Studium der Geschichtswissenschaft, der Osteuropäischen Geschichte und der Slawistik an der Universität Bielefeld, mit Auslandsaufenthalten in Jaroslawl’ und St. Petersburg, promovierte er 2010 und wurde Akademischer Rat an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. 2016 hatte er eine Vertretungsprofessur für die Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 2018 war er Stipendiat am Deutschen Historischen Institut Moskau und arbeitete dort ab Juni 2019 im DFG-Projekt zur Geschichte der deutschen Beuteakten in sowjetischen und russischen Archiven. Er ist Fellow der Max Weber Stiftung.

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Erstellt: 03.03.2025 - 18:30  |  Geändert: 14.03.2025 - 13:04