Wolf. Ferienlager im Wald. Von Saša Stanišić. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION
Wolf. Ferienlager im Wald. Von Saša Stanišić

„Mutter und ich machen Salat. Ich liebe es, mit Mutter Salat zu machen, wir reden dann nur über den Salat. Wir sind komplett für den Salat da.
Heute ist es anders. Heute beginnt Mutter ohne Not einen Satz mit »übrigens«. Sätze, die meine Mutter mit »übrigens« beginnt, enden nicht gut für mich. »Übrigens«, sagt also meine Mutter und schält den Knoblauch, »ich habe dich zu einem Ferienlager angemeldet.«“

Mit diesen Sätzen beginnt „Wolf“ und diese Erfahrung hat höchstwahrscheinlich jeder schon einmal gemacht, wahlweise mit der eigenen Mutter oder dem Vermieter oder der Chefin. Sehr gewitzt schließt der Autor zu guter Letzt den Kreis (und das Buch), indem er uns zeigt, dass „übrigens“ ein Wort ist, dass wunderbar an den Schluss eines Vortrags oder eben eines Romans gesetzt werden kann „Ich heiße Kemi, übrigens“. Gut zu wissen …

Kemi, als ausgemachter Einzelgänger, ist alles andere als begeistert von den Plänen der Mutter. Er hat weder Lust 300 km lang mit Gleichaltrigen im Bus zu sitzen, noch auf Natur, Wald, Wanderungen, Lagerfeuer, Klettergarten und eigentlich auf keine der Gruppen-aktivitäten, die sich die Betreuer ausgedacht haben. Aber seine Mutter kennt keine Gnade. Dort angekommen besteht seine Überlebensstrategie aus durchdacht begründeter Verweigerung und er kommt zunehmend damit durch.

Kemi teilt sich eine Hütte mit Jörg, Meister des Zauberwürfels und außergewöhnlicher Zeichner, begeisterter Wandersmann und Liebhaber altertümlicher Ausdrücke aus dem vorigen Jahrhundert, wie z. B. „Pustekuchen“. Genau genommen findet Kemi diesen Jungen gut, da könnte er sich sogar eine Art Freundschaft vorstellen. Aber Jörg ist das Ziel aller Bosheiten, die Marko und seine Vasallen sich ausdenken, und Kemi beobachtet das Mobbing, will Jörg eigentlich beistehen, aber traut sich nicht. Immer wieder schweigt er und fühlt sich deshalb schlecht. Nachts wird Kemi von einem Wolf heimgesucht, den Regina Kehn sagenhaft in Szene setzt, wie sie überhaupt das ganze Buch treffend und eindrücklich illustriert hat. Dieser Wolf ist Kemis Albtraum, seine Angst. Hier gehen Text und Illustration eine erstklassige Verbindung ein.

Stanišić macht an den richtigen Stellen und mit großer Ernsthaftigkeit Witze, das liest man sonst so nirgends, wie er auch äußerst gekonnt über die Bedeutung von Worten sinniert und mit ihnen spielt. Übrigens, es geht hier auch ums Anderssein. Nicht das Anders, das jeder will, denn gleich sein will doch keiner: „Andersiger“ wird man gemacht und das tut meistens weh und ist gemein, weil es ausgrenzt und abwertet.

Wenn man Jörg und Kemi im echten Leben aushalten müsste, würden sie einen wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, weil sie ein bisschen altklug und besserwisserisch sind, aber in diesem Buch sind sie wunderbar aufgehoben.

Wolf. Ferienlager im Wald. Von Saša Stanišić

 

Erstellt: 17.06.2023 - 11:05  |  Geändert: 17.06.2023 - 19:18