Vater und ich. Dilek Güngör. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION
Vater und ich. Dilek Güngör   Verbrecher Verlag   978-3-95732-492-4

Ipek ist eine erfolgreiche Journalistin. Sie kommt für ein paar Tage nach Hause, um dem Vater Gesellschaft zu leisten, solange die Mutter verreist ist. Echte Gespräche führen sie aber schon lange nicht mehr, es reicht nur für den alltäglichen Austausch von Informationen und Absprachen. „Uns..., dir und mir, uns ist das Sprechen eine Last... Wir schleppen uns von einem Satz zum nächsten... Gehen einander aus dem Weg, doch nur so weit, dass wir uns noch immer im Weg stehen.“

Und das belastet Ipek sehr, denn als sie Kind war, hatten sie einen absolut vertrauten und selbstverständlichen Umgang miteinander. Als Ipek in die Schule kam und mit der deutschen Sprache, mit Bildung und Kultur konfrontiert wurde, fand sie mit dem Vater keine gemeinsame Sprache mehr. Die kindlichen Spiele hörten auf. Die Lücke konnten sie nicht schließen, im Gegenteil. Sie wurde größer als Ipek in die Pubertät kam. Die Erfahrung mit der deutschen Sprache entfremdete sie zunehmend ihrer Muttersprache.

Es wird aber deutlich, dass Ipek und ihr Vater trotzdem gern beieinander sind, dass sie sich viel bedeuten. Vielleicht kann man ja auch eine gute Zeit miteinander verbringen und sich nahe sein, ohne zu reden!? Ipek versucht, den Aufenthalt zu nutzen, um eine andere Form des Miteinanders auszuprobieren. In fingierten Gesprächen mit dem Vater sucht sie nach den Ursachen, sie will verstehen, was mit ihnen passiert ist.

Mit diesem ruhigen, analytischen Roman zeigt Dilek Güngör, wie maßgeblich das Migrationszeitalter die deutschsprachige Literatur geprägt und verändert hat. Die Migrationserfahrung einer Familie bildet den Hintergrund für diesen Text. Themen wie die Veränderung der familiären Beziehungen durch das Erwachsenwerden der Kinder, der mögliche Konfliktherd durch die Bildungsunterschiede zwischen Eltern und Kindern und die kulturelle Entfremdung spielen eine große Rolle.

Vater und ich. Dilek Güngör

 

Erstellt: 12.12.2021 - 11:05  |  Geändert: 12.12.2021 - 11:12