Besichtigung eines Unglücks. Von Gert Loschütz. Rezension von Manfred Kunz

REZENSION
Besichtigung eines Unglücks. Von Gert Loschütz   Schöffling VErlag   ISBN 978-3-89561-157-5

Für mich die Autoren-Entdeckung des Jahres. Obwohl ich den in diesem Jahr 75 Jahre alt gewordenen Gert Loschütz längst hätte kennen können, hat er doch Hör- und Fernsehspiele entwickelt, viele Theaterstücke verfasst, als Gast-Dramaturg am Schauspiel Frankfurt gearbeitet und mit seinem 2018 erschienen Roman „Ein schönes Paar“ nicht nur ein spätes Comeback gefeiert, sondern auch eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2018 erlangt. Auch der im Sommer 2021 erschienene Roman „Besichtigung eines Unglücks“ war für den Deutschen Buchpreis nominiert, leider nur für die Longlist, ist aber soeben, am letzten November-Wochenende, mit dem literarisch hoch angesehenen Wilhelm-Raabe-Preis 2021 ausgezeichnet worden.

In seinem neuen Roman „besichtigt“ Gert Loschütz das bis heute schwerste Zugunglück der deutschen Eisenbahngeschichte, den Zusammenprall zweier Personen-Schnellzüge im Dezember 1939 in Genthin, gelegen zwischen Berlin und Magdeburg. Genthin ist der Geburtsort des Autors Loschütz, aber auch der Erzählerfigur Thomas Vandersee, eines Journalisten. Dieser recherchiert und rekonstruiert sowohl die historischen Umstände, die zu dieser Katastrophe kurz vor Weihnachten 1939 führten, setzt aber auch seine eigene Familiengeschichte in Beziehung zu diesem Ereignis, weil seine Mutter wohl selbst als
Lehrmädchen in einem Genthiner Kaufhaus indirekt in den Unfall und die Lebensgeschichten der Überlebenden,
insbesondere einer jungen Frau aus Düsseldorf namens Carla verwickelt war. Ein dritter Handlungsstrang folgt der Lebensgeschichte von Vandersees Mutter, die Genthin mit ihrem Kind in den späten 50er Jahren Richtung Berlin verlassen hat.

Kunstvoll verknüpft Loschütz diese drei Erzählstränge, in einer sachlichen und unverkitschten Sprache, die karg und zugleich lebendig und überaus sinnlich ist. Neben der spannenden und aufschlussreichen historischen Unfall-Rekonstruktion erzählt der genial komponierte Roman von einer Liebe in den Zeiten des Krieges und der Möglichkeit des Scheiterns einer großen Liebe an den historischen und politischen Umständen. Und das Beste daran ist, dass die Wahrheitssuche allein im Kopf des bestens geforderten und unterhaltenen Lesers stattfindet.

Besichtigung eines Unglücks. Von Gert Loschütz

 

Erstellt: 11.12.2021 - 04:24  |  Geändert: 11.12.2021 - 04:26