Dunkelnacht. Von Kirsten Boie. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION
Dunkelnacht. Von Kirsten Boie   Oetinger   ISBN 978-3-7512-0053-0

Kirsten Boie ist ja bestens dafür bekannt, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt und nicht über Belanglosigkeiten schreibt. Sie ist in fast jedem Genre der Kinder- und Jugendliteratur beheimatet und schreibt seit Jahrzehnten gekonnt für alle Altersgruppen. In ihrem neuen Buch „Dunkelnacht“ widmet sie sich wahren Geschehnissen, die sich einen Tag vor Einmarsch der US-Truppen und wenige Tage vor dem Ende des zweiten Weltkriegs in Penzberg zugetragen haben, einem bayerischen Städtchen in der Nähe des Starnberger Sees. Es ist ein schmales Buch von 111 Seiten plus Nachwort der Autorin nebst Anhang und man ist erleichtert, wenn man die letzte Seite gelesen hat und durchatmen kann, denn es ist ein harter Stoff, der uns ungeschönt präsentiert wird.

In Penzberg wurden 16 Menschen von Soldaten der Wehrmacht erschossen bzw., von Männern der Wehrwolfgruppe unter Hans Zöberlein, als Volksverräter gehängt. Die Geschichte, die Kirsten Boie aus der Sicht von drei fiktiven jugendlichen Hauptfiguren erzählt, beginnt mit einer Radiosendung des Reichssenders München. Die Freiheitsaktion Bayern verkündet, dass sie in der vorhergehenden Nacht die Regierungsgewalt erstritten habe und nun die Menschen auffordert, die Betriebe gegen Sabotage der Nazis zu schützen, um Arbeit und Brot für die Zeit nach dem Krieg zu sichern.

Als der ehemalige Bürgermeister der Stadt und einige andere führende Köpfe Penzbergs diesen Beitrag hören, treffen sie sich umgehend im Rathaus, schicken den amtierenden Bürgermeister in die Wüste und überzeugen den Bergwerksleiter, sich auf ihre Seite zu stellen, um eine Sprengung zu verhindern. Alles in der Hoffnung, dass in wenigen Stunden die Besatzer kommen und der Nazi-Spuk zu Ende gehen würde. Sie konnten ja nicht ahnen, dass an diesem Tag ein Regiment der Wehrmacht auf dem Rückzug durch Penzberg ziehen und alle Hoffnungen zunichte machen würde. lllllllllllllll Die drei Hauptfiguren sind Gustl, der Mitglied bei den Wehrwölfen geworden ist, weil er sich als glühender Anhänger Adolf Hitlers für seine „Sozi-Eltern“ schämt und das Gefühl hat, so zumindest ein wenig die Familienehre reinwaschen zu können. Schorsch ist der Sohn des örtlichen Polizeimeisters, der eine bedeutende Rolle bei der Suche nach den Verrätern spielt, und Marie ist die Tochter des Metzgers Reithofer (einer der Nazigegner), der nur mit großem Glück der Ermordung entgeht.

Besonders betroffen macht natürlich zum einen das Wissen, dass genau diese Menschen auf die beschriebene Art und Weise umgebracht wurden, denn die Autorin verwendet die echten Namen. Dazu trägt aber auch bei, wie Kirsten Boie beschreibt, was Schorsch empfindet, der diese Gräuel beobachtet. Wie es ihm geht, als er zusieht, wie ein Mensch nach dem anderen getötet wird, wie Menschen andere Menschen töten.

Es ist so wichtig, dass die Schrecken des Nazi-Regimes auch weiterhin in der Literatur eine Rolle spielen. Diese Zeit hat die Geschicke, die Moral und das Selbstverständnis der Deutschen so nachhaltig beeinflusst, dass wir damit noch lange nicht fertig sind. Und wenn es bald keine Menschen mehr gibt, die eigene Erlebnisse aus jener Zeit haben und davon erzählen können, muss der Gesprächsstoff woanders herrühren. Diese Aufgabe erfüllt Kirsten Boie mit diesem Buch voll und ganz.  

Dunkelnacht. Von Kirsten Boie

 

Erstellt: 03.03.2021 - 06:49  |  Geändert: 03.03.2021 - 06:58