Ich war der Lärm, ich war die Kälte. Von Jenny Downham. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION

Ich war der Lärm, ich war die Kälte. Von Jenny Downham   cbj   ISBN 978-3-570-16582-9

Mit ihrem Buch „Bevor ich sterbe“ wurde die britische Autorin weltweit bekannt, und mich hat sie mit dem Roman „Ich gegen Dich“ restlos begeistert. Sie versteht es besonders gut, sich in ihren Romanen intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen, es sozusagen auszureizen, wobei sie sich nicht wiederholt, nie übertreibt, sondern einfach bis zum Ende dranbleibt. Dann schlägt man das Buch zu und kann sagen: „Ja! Sehr gut, genau so muss es sein!“

In diesem neuen Roman beschäftigt sie sich mit einer Form von Gewalt und Machtmissbrauch. Man stelle sich eine Patchwork-Familie vor: Frau mit Tochter und Mann mit Sohn verlieben sich, ziehen zusammen und bekommen gemeinsam noch ein Mädchen. Die beiden älteren Kinder verstehen sich wunderbar. Die große Tochter ist ein unbeherrschtes und cholerisches Kind. Aber nicht nur deshalb kommt es immer öfter zu Konfrontationen zwischen ihr und dem neuen Mann der Mutter, der nach außen charmant und liebevoll ist. John ist beruflich erfolgreich und seine neue Frau finanziell von ihm abhängig. Zu Hause entwickelt er sich aber zunehmend zu einem Tyrannen, der seine Position ausnutzt, um seine Familie so zu manipulieren und zu drangsalieren, wie es ihm einfällt. Er stellt absurde Forderungen, verhängt Strafen und erteilt Verbote. Er bestraft sein Frau und deren Tochter mit unerklärter Abwesenheit, Liebesentzug und Schweigen. Als beschlossen wird zu heiraten, will die 15-jährige Lexi das mit allen Mitteln verhindern, weil sie sicher ist, dass die Ehe mit dem Stiefvater für ihre Mutter und die ganze Familie ein Desaster wird.

Lexi kämpft mit ihren Stimmungen. Manchmal packt sie die wilde Wut und sie flippt regelrecht aus, zertrümmert Dinge. Damit kann man nicht so leicht umgehen, aber John kann es überhaupt nicht und verunsichert Lexis Mutter so sehr, dass sie zustimmt, mit Lexi zu einem Psychologen zu gehen und sie mit Medikamenten ruhigzustellen. Lexi hat oft das Gefühl, dass John ihre Mutter dahingehend manipuliert, dass sie sich gegen die eigene Tochter stellt.

Lexi gönnt ihrer Mutter einen neuen Partner, aber natürlich wünscht sie sich, dass auch sie von ihm gemocht wird. Aber John behandelt seinen Sohn und die kleine Schwester ganz anders als sie. Als er sich dann aber am Tag der Hochzeit auch gegen die kleine Iris nicht mehr unter Kontrolle hat, überschreitet er eine Grenze, die Lexi nicht mehr hinnehmen kann und sie findet endlich Mittel und Wege, John nachhaltig Einhalt zu gebieten.

Häusliche Gewalt äußert sich nicht immer körperlich, das wird einem durch diese Lektüre wieder bewusst. Sehr gelungen finde ich, wie dargestellt wird, dass ein Erwachsener mit einem „schwierigen“ Teenager Probleme hat und nicht versucht, zu begreifen oder nachzuvollziehen, was mit dem Kind los ist. Aber es ist ja nicht so, dass Lexi verantwortlich wäre, für Johns Fehlverhalten, sie ist vielleicht öfter der Auslöser, aber mehr auch nicht. Wie Lexi mit ihrer Wut umzugehen lernt, ist eine andere Sache.

Ein zweites Thema ist die Liebe. Lexi ist schwer verliebt in ihren Stiefbruder Kass und versucht, aus der Schwester-Bruder-Beziehung etwas anderes zu machen. Darauf möchte ich aber nicht näher eingehen, dass muss man einfach selbst lesen.

Jenny Downham hat wieder unter Beweis gestellt, welch kluge und beharrliche Autorin sie ist. Außerdem entwirft sie Figuren von großer Realitätsnähe. In ihren Büchern tummeln sich echte Menschen, denen man ihre Gefühle und Gedanken abnimmt; das sind keine Kunstfiguren und deshalb geht dieser Roman unter die Haut, das Mädchen springt einen förmlich an und man kann ihre Bedrängnis und ihren Kummer absolut nachvollziehen. Einfach großartig.

→ Ich war der Lärm, ich war die Kälte. Von Jenny Downham

 

Erstellt: 14.07.2020 - 19:01  |  Geändert: 14.07.2020 - 19:20