Fortschritt als Fehlschritt
Eine rettende Kritik
Der einst positiv besetzte Begriff «Fortschritt» ist in einer unruhigen Welt zur Projektionsfläche für Zukunftsängste geworden. Tatsächlich gibt es für die Zurückweisung des Fortschrittsbegriffs gute theoretische, aber auch praktisch-politische Gründe, schon allein aus historischem Blickwinkel, weil er zur Legitimation von Machtpolitik insbesondere gegenüber kolonisierten Menschen verwendet wurde.
Allerdings wäre es unangemessen, so die Physikerin und Philosophin Annette Schlemm, «das Kind mit dem Bade auszuschütten». Sie fordert jedoch, nur noch Vorstellungen vom «Fortschritt» aufrechtzuerhalten, die die vielen berechtigten Kritikpunkte ernst nehmen, also z.B. keine teleologischen, deterministischen Vorstellungen mehr beinhalten.
Dabei zeigt sie auch auf, dass viele traditionelle Fortschrittsbegriffe bereits differenzierter sind, als manche Kritiken ihnen unterstellen. Dieses Wissen über notwendige Differenzierungen soll aufbewahrt und weiter entwickelt werden.
Das Buch vereinigt einerseits politisch-theoretische Vorstellungen und andererseits eher akademische Debatten, z.B. zur Geschichtsphilosophie. Es greift gängige Literatur zum Thema auf, wertet sie aus und bringt eigenständige Argumentationen zu den dort aufgeworfenen Fragen.
Aus dem Inhalt:
- Das Problem mit dem Fortschritt
- Fortschritt in welcher Zeitlichkeit?
- Was ist Fortschritt?
- Kritik des Fortschritts
- Rettende Kritik
- Verantwortung statt Zukunftssicherheit
Rezensionen
Wer gegenwärtig von „Fortschritt“ redet, assoziiert damit oftmals eine Bewegung hin zum Schlechteren: die beängstigende Auflösung demokratischer Prinzipien zugunsten autokratischer Willkür, die zunehmende Unverbindlichkeit des (Völker)-Rechts, die wachsende Überschuldung der Staaten bei massiver Aufrüstung und Militarisierung des Lebens, die ungebremste Veränderung des Klimas etc. „Fortschritt“ wird als als Gefahr empfunden, als Niedergang und Auflösung, der man sich mit aller Kraft entgegenstellen sollte. Ganz anders der Blickwinkel von Annette Schlemm, Physikerin und Philosophin, die noch in der DDR aufgewachsen ist und, ihrer real-sozialistischen Erziehung entsprechend, „Fortschritt“ mit Hoffnung und der Vision einer besseren Welt verbunden hat. Von Konrad Lotter Widerspruch 02.10.2025
Positiv fällt auf, dass Schlemm nicht dazu neigt, sich in jargonbeladenem Geschwurbel zu verlieren – alles andere als selbstverständlich für linke Theorie, zumal deutschsprachige –, und mit ihrem bodenständigen Realitätsbezug dem aufklärerischen, historisch-materialistischen Denken die Treue hält. Die Irrationalität des Kapitalismus lässt Schlemm klar hervortreten, wenn sie etwa darauf hinweist, dass er uns mit vollem Tempo in eine ökologische Katastrophe planetaren Ausmaßes hineintreibt – während das von ihm generierte Wirtschaftswachstum nicht einmal mehr das Leben der meisten Menschen zu verbessern verspricht. Oliver Schott in Jungle World 04.09.2025
Antworten auf „Fragen zum Fortschritt“: In ihrem digitalen Philosophenstübchen hat sie ihre Blogbesucher*innen gebeten, ihr ein paar Fragen zum Thema "Fortschritt" zu beantworten: (...) Um die Fragen sinnvoll beantworten zu können, kommt es zunächst darauf an zu klären, was mensch unter Fortschritt versteht: Ist Fortschritt so etwas wie ein hoffnungsvoller Blick auf die Menschheit im Glauben an und Vertrauen auf das Lernen aus Erfahrungen, und eine fortschreitende soziale und ökonomische Weiterentwicklung auf dieser Grundlage – trotz immer wiederkehrender Rückschläge? Dieser hoffnungsvolle Blick dürfte sich – zumindest was die dominierenden Teile der Menschheit angeht – angesichts der realen Entwicklung der Welt erledigt haben. Von Elisabeth Voß Untergrundblättle 01.12.2024
Autoreninfos
Erstellt: 18.11.2025 - 17:48 | Geändert: 18.11.2025 - 18:13
