sommerschaums ernte
gedichte

»... der herbst / würde ohne kürbisse bleiben in diesem jahr / wie ich ohne dich.« Neue Gedichte von Kathrin Schmidt.
Kathrin Schmidts neue Gedichte erzählen vom Älterwerden, von Abschieden, von der Vergänglichkeit. Und doch sind sie das Gegenteil von Stillleben, denn sie sprechen immer »vom Leben her«.
Still steht da nichts, alles bewegt sich - getrieben von großer Lebensliebe, Klugheit und scharfem Humor. Gesprochen und nachgedacht wird über den Körper und seine Metamorphosen, über das Vergehen der Natur ringsum, über das, was Familie bedeutet. Über alles, was bleibt, und über die Dinge, die - manchmal auch Gott sei Dank - verschwinden. Neben urbane Schauplätze treten oft ländliche Gegenden. Die Texte »spielen« auf dem Land, im Dorf oder zumindest im Garten. Das Vokabular schöpft aus dieser Naturwelt, aber es ist keine ungebrochene Idylle: Windräder stehen im Bild, ihre Rotoren zerschneiden die Luft. So gelingen Kathrin Schmidt Gedichte, die beides miteinander verklammern: die Natur und die Stadt, das Leben und das Sterben, den sinnlichen Eindruck und die abstrakte Analyse.
» solche gegenden zahlen mit blütenzucker
für schlaf. in wellen fährt er durchs feld,
sammelt kraft für den gang in die ortschaften.
wo du zusehen kannst, wie stunde für stunde
vollendete gegenwart quert vorm verschwinden.
wo du platzhalter bist. «
Aus dem Buch
trebeltal
solche gegenden sondern senf ab, lächeln säuerlich
aus der zeitfalte herüber zu dir in den nesseln.
wo der wind nicht halten kann, was er immer wieder
verspricht. wo ein vom rotor verletzter luftstrom
den schmerz in die landschaft kippt,
dass sie schreit.
solche gegenden zahlen mit blütenzucker
für schlaf. in wellen fährt er durchs feld,
sammelt kraft für den gang in die ortschaften.
wo du zusehen kannst, wie stunde für stunde
vollendete gegenwart quert vorm verschwinden.
wo du platzhalter bist.
solche gegenden bergen den mohn
vor der ohnmacht. sommers klatscht er dich
abbeim tanz auf der denkbaren tenne.
wo reden drischt, wer dein schweigen nicht mehr
erträgt. wo stroh in den himmel brennt,
was du ihm zurufen willst.
beim wort genommen
wenn ich flauschig zu werden beginne, hebt sich
der vorhang und tropft auf den abendhauch.
nass liegen die nackten tage hinter uns, die
ausgelasteten schrecknisse für die dauer
didaktischer mahnwachen. schon inselt
meine halbtochter zwischen verlorenen pfosten,
ihr bruder sucht seine tiefmutter. dabei weiß ich,
dass nichts die nomenklatur bricht, solang ich mich
wörtlich halte, im horizontalen vertäut: wer spät
erst steht, kann nicht so früh fallen.
AUSZUG und REZENSION: (...) am besten einfach das Buch besorgen (...) und lesen. Ich habe dieses Gedicht [werkswesen] ausgewählt, weil in ihm die trostlose Verlassenheit alter Fabriken und die Unsichtbarkeit der weiteren Geschichten ihrer einstigen Mitarbeiter, „des buchhalters oder der näherin, der putzfrau oder des einbläsers“, zu einer mythischen Erzählung werden, in der versunkene Welten, durchsichtig, fragil und poetisch, weiterleben. Von Olga Martynova Stuttgarter Schriftstellerhaus 08.03.2021
REZENSION: Auch im herbstreifen Nachdenken über Verlassenwerden und Vergehen gönnen die virtuosen Gedichte Kathrin Schmidts der Leserin mit Wortspiellust, Sprach- und „Mutterwitz“ manches Auflachen. Von Kirsten Claudia Voigt SWR 1.2.2021
»In den Gedichten von Kathrin Schmidt wird Sprache dinglich greifbar.« [Podcast 5:20] Jörg Magenau Deutschlandfunk Kultur 13.11.2020
Weitere Pressestimmen
»Wer solch schöne Zeilen dichtet, den kann man nur empfehlen.« Matthias Ehlers WDR 5 Bücher 13.03.2021
»Der farbige Reichtum ihrer Metaphern, der spielerische Umgang mit den Wörtern und die den Texten ablesbare intensive Spracharbeit sind nach wie vor eigentümliche Kennzeichen ihrer Gedichte.« Wulf Segebrecht FAZ 02.01.2021
Erstellt: 07.08.2025 - 08:10 | Geändert: 07.08.2025 - 08:32