Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens. Von Ivan Illich

DER KLASSIKER DER MEDIZINKRITIK. Ivan Illichs detaillierte Analyse des hiesigen Medizin- und Gesundheitssystems zählt bereits heute zu den Klassikern der medizinkritischen Literatur. Sie lässt deutlich werden, wie eine maßlose Technokratie, wie die verschiedenen Interessengruppen von Ärzteschaft und Pharmaindustrie und die sie begleitende menschenfeindliche Ideologie den Patienten zum süchtigen Verbraucher und die Medizin zum Verbrauchsgut werden ließen. Ein Buch, das angesichts der Möglichkeiten der modernen Medizin und in Anbetracht des Streits über die Gestaltung unseres Gesundheitssystems von beklemmender Aktualität ist.

ISBN 978-3-406-77679-3     18,00 €  Portofrei     Bestellen

7. Auflage

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Inhaltsverzeichnis

Zitate aus dem Buch:

"Die etablierte Medizin hat sich zu einer ernsten Gefahr für die Gesundheit entwickelt. [...] Die moderne Medizin macht eine Vertrauenskrise durch. [...] Eine verantwortliche öffentliche Diskussion der iatrogenen Pandemie, die allerdings mit der konsequenten Entmystifizierung aller medizinischen Belange beginnen müsste, wird das Gemeinwohl nicht gefährden. [...] Die heutige Krise der Medizin wird es dem Laien vielleicht ermöglichen, selbst wieder die Kontrolle über die medizinischen Erkenntnisse, Theorien und Entscheidungsprozesse zu erlangen. Die Säkularisierung des äskulapianischen Tempels könnte die Legitimität jener im Grunde religiösen Dogmen in Frage stellen, zu denen die Industriegesellschaften vom rechten bis zum linken Rand des Spektrums sich heute bekennen. [...] Manche Ärzte halten es bereits für notwendig, ihre Glaubwürdigkeit zu sichern, indem sie die gesetzliche Ächtung vieler heute üblicher Behandlungsformen fordern."
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 "Untersucht man die Entwicklung der verschiedenen Krankheiten, dann zeigt sich, dass die Ärzte in den letzten hundert Jahren keinen wesentlicheren Einfluss auf Epidemien hatten als in früheren Zeiten die Priester. [...] der bei weitem wichtigste Faktor war eine durch bessere Ernährung bedingte höhere Resistenz des menschlichen Körpers. [...] Weder kann die Beseitigung alter Formen von Mortalität oder Morbidität der ärztlichen Praxis gutgeschrieben werden, noch sollte man ihr die gestiegene Lebenserwartung von Menschen anlasten, die an neuen Krankheiten leiden müssen.

Die Analyse […] zeigt nämlich, dass die Umwelt die ausschlaggebende Determinante des allgemeinen Gesundheitsstandes jeder Bevölkerung ist […], dass die Beschaffenheit von Nahrung, Wasser und Luft […] entscheidend bestimmen, wie gesund erwachsene Menschen sich fühlen und in welchem Alter sie für gewöhnlich sterben. [...] Weder der Anteil der Ärzte in der Bevölkerung noch die ihnen zur Verfügung stehenden klinischen Apparate oder die Zahl der Krankenhaus-Betten sind kausale Faktoren der auffälligen Veränderungen im allgemeinen Krankheitsbild."
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 „Unseligerweise ist eine vergebliche, sonst aber harmlose ärztliche Behandlung noch der geringste unter den Schäden, die ein wuchernder Medizinbetrieb der modernen Gesellschaft zufügt. Leiden, Arbeitsunfähigkeit, Schwäche und Qual, die aus technisch-medizinischen Eingriffen resultieren, laufen heute der Morbidität durch Verkehrs- und Arbeitsunfälle und sogar der kriegsbedingten Morbidität den Rang ab und machen die Auswirkungen der Medizin zu einer der am schnellsten um sich greifenden Epidemien unserer Zeit.“
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 "Das Krankenhaus, diese moderne Kathedrale, überragt eine hieratische Umwelt von Gesundheitsgläubigen. (...) Für Arme wie für Reiche wird das Leben zu einer Pilgerfahrt, deren Kreuzwegstationen - Sprechzimmer und Wartezimmer - zurück zum Ausgangspunkt führen: in die Krankenstation. (...) Diese Lebensfrist beginnt mit der pränatalen Untersuchung, bei der der Arzt entscheidet, ob und wie der Fötus zur Welt kommen darf, und es endet mit einer Eintragung in die Krankenakte, die den Abbruch der Wiederbelebungsversuche auf der Intensivstation anordnet. Zwischen Geburt und Exitus fügt dieses Paket bio-medizinischer Kontrollen sich bestens in eine urbane Landschaft ein, die wie ein mechanischer Uterus gebaut ist. In jedem Lebensstadium werden die Menschen altersspezifisch entmündigt. Die Alten sind das offenkundige Beispiel

"Die Schnüffelei nach Gesundheitsrisiken führt zu polizeimäßigen Kontrollnetzen, um jene zu erfassen, die besonderen Schutzes bedürfen: pränatale Untersuchungen; (...) Reihenuntersuchungen in Schulen und Ferienlagern und andere medizinische Pflichtübungen. (...) Stets verstärkt die Diagnose den Stress, sie verurteilt zur Ohnmacht und zwingt zur Untätigkeit. Sie erzeugt Befürchtungen und Angst vor unheilbarer Krankheit, sie ruft Unsicherheit und blinde Hoffnung auf künftige medizinische Entdeckungen hervor. All dies zusammen bewirkt einen Verlust an Selbstbestimmung (...) und verlangt die Unterwerfung unter die Autorität von Fachleuten. Sobald eine Gesellschaft sich zur präventiven Treibjagd auf die Krankheit rüstet, nimmt die Diagnose epidemische Formen an.

Dieser letzte Triumph der therapeutischen Kultur macht die Unabhängigkeit des durchschnittlichen Gesunden zu einer unerträglichen Form der Abweichung."
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"Die unerwünschten Nebenwirkungen von (…) Kontakten mit dem Medizinsystem stellt nur eine erste Ebene der pathogenen Medizin dar. Diese klinische Iatrogenesis umfasst nicht nur solche Schäden, die Ärzte anrichten, wenn sie versuchen, den Patienten zu heilen oder wirtschaftlich auszubeuten, sondern auch jene übrigen Fehler, die aus dem Bemühen des Arztes resultieren, sich gegen die Möglichkeit eines Kunstfehler-Verfahrens abzusichern. (...)
 
Auf einer zweiten Ebene fördert die medizinische Praxis die Krankheit, indem sie (…) die Leute dazu treibt, Konsumenten von Heil-, Präventiv-, Industrie- und Umweltmedizin zu werden. Die Iatrogenesis der zweite Ebene findet Ausdruck in verschiedenen Symptomen der sozialen Übermedikalisierung, die sich zu dem summieren, was ich die 'Enteignung der Gesundheit' nenne. Diese zweite Ebene der schädlichen Wirkung von Medizin bezeichne ich als soziale Iatrogenesis (...).

Auf einer dritten Ebene haben die sogenannten Gesundheitsberufe insofern eine noch tiefere, kulturell gesundheitschädliche Auswirkung, als sie die Fähigkeit der Menschen zerstören, ihre menschliche Schwäche, Verletzlichkeit und Einmaligkeit auf persönliche, autonome Weise zu bewältigen. Der Patient in den Klauen der modernen Medizin ist nur ein Beispiel für die Situation einer vom Würgegriff lebensgefährlicher Technik bedrohten Menschheit. Diese kulturelle Iatrogenesis (…) bedeutet die Paralysierung jeglicher gesunden Reaktion auf Leiden, Schwäche und Tod. Sie tritt ein, sobald die Menschen ein Gesundheitsmanagement akzeptieren, das nach industriellem Modell aufgebaut ist. (…)

Den sich selbst beschleunigenden Kreislauf negativer institutioneller Rückkoppelungen bezeichne ich nach einer Allegorie der griechischen Antike als medizinische Nemesis. (…) Sie kann nur revidiert werden, wenn die Laien den Willen zur Selbstbehandlung wiederfinden und das Recht zur Selbstbehandlung auf der rechtlichen, politischen und institutionellen Ebene anerkannt wird, wodurch dem Berufsmonopol der Ärzte Grenzen gezogen würden."

Ivan Illich auf Wikipedia

 

Erstellt: 23.11.2023 - 13:54  |  Geändert: 23.11.2023 - 14:52

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