Wildesland. Von Cornelia Franz. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION
Wildesland. Von Cornelia Franz   Gerstenberg Verlag   ISBN 978-3-8369-6185-1

Mit diesem Buch ist der Autorin wieder etwas Besonderes gelungen. Sie hat eine spezielle Form der Dynamik entwickelt, die dieses Buch ausmacht. In „Wie ich Einstein das Leben rettete“ entstand die Spannung z. B. durch eine Art Zeitreisen- Wiederholungsschleife. Hier in „Wildesland“ erfolgt der Plot, das Ereignis das alles ins Rollen bringt, gleich zu Beginn und die Entwicklung des Jungen, die Selbsterkenntnis während eines ungewollten Abenteuers, nimmt ihren Anfang, und das ist sehr fesselnd. Matthis ist mit den Eltern und seinem kleinen Bruder in Norwegen im Urlaub. Sie haben eine abseits gelegene Ferienhütte gemietet und sind nach einem Ausflug gerade wieder auf dem Weg dorthin. Matthis ist gelangweilt und von allem genervt, er mault herum und gibt freche Antworten. Dann schießt er mit seiner Fletsche durchs geöffnete Fenster auf ein Straßenschild, freut sich über den Treffer und zielt als nächstes auf die Radkappe eines vorbeifahrenden Autos. Sein Vater bekommt das mit und flippt aus. Matthis muss aussteigen und soll, zusammen mit seinem Hund, den Rest des Weges laufen, die anderen fahren im Auto weiter.

Wütend läuft er los. Kurz danach kommt es zu einem Steinschlag, das Auto der Eltern stürzt in eine Schlucht. An der Unfallstelle angekommen, sieht Matthis in der Tiefe seine Familie im Fahrzeug, kann aber nicht dorthin gelangen. Er setzt einen Notruf ab und beobachtet dann, wie die drei verletzt abtransportiert werden, kann sich aber nicht bemerkbar machen, keinen Kontakt herstellen. Matthis kehrt nicht in das Ferienhaus zurück. In den nächsten Tagen, die der Junge mit seinem Hund in der Natur verbringt, quälen ihn heftige Gewissensbisse. Er macht sich die schlimmsten Vorwürfe, hat das Gefühl schuld an dem Unglück zu sein und bereut seine bösen Worte, als die Eltern ohne ihn weiterfuhren, zutiefst.

Dann trifft er Jule aus Berlin, ein Mädchen, dass über die Ferien bei ihrem norwegischen Vater ist. Sie verbringt sehr viel Zeit in der Natur und kennt sich viel besser mit allem aus als er. Sie weiß z. B., wie man Fische fängt und ausnimmt oder einem Kaninchen das Fell abzieht. Er lernt einiges von ihr, aber in erster Linie ist er einfach froh, nicht immer so allein zu sein und mit ihr reden zu können. Von ihr erfährt er auch, dass nach ihm gesucht wird, aber er will noch nicht zurück, die Scham ist zu groß.

Was alles passieren muss und wieviel Zeit vergeht, bis Matthis sich wieder traut, seinen Eltern unter die Augen zu treten!

Cornelia Franz erzählt die Geschichte dieses Jungen in einem wunderbar ruhigen Tonfall und mit einer großen Ehrlichkeit. Sie beschönigt nichts, sondern zeichnet eine Figur aus dem echten Leben, eine realistische Nervensäge, einen Stinkstiefel und Besserwisser, der unbeherrscht und unreflektiert macht, was ihm gerade einfällt. Mit sich selbst konfrontiert und mit der Klarheit vor Augen, wie schnell man alles und vor allem diejenigen verlieren kann, die man liebt, begibt sich Matthis in dieses Selbsterfahrungsabenteuer.

Es ist eine Mischung aus Selbstbestrafung und Flucht, er geht einer Begegnung mit der Familie aus dem Weg. Teilweise, weil er Angst vor der Reaktion der Eltern hat und zum anderen aber auch, weil er das Gefühl hat, sie nicht wirklich zu verdienen, weil er sich immer so schlecht benommen hat, ungeduldig und fies war.

Mich hat das Buch begeistert, weil diese Selbsterkenntnis des Jungen auf unspektakuläre und nicht moralisch-nervige Weise beschrieben wird und er auf einen recht archaischen Weg geschickt wird. Ich mochte die Naturbeobachtungen und die Reduzierung auf das Wesentliche, das Begreifen, auf was es wirklich im Leben ankommt. Und das alles verpackt in eine kleine feine Abenteuer- und Freundschaftsgeschichte.

Wildesland. Von Cornelia Franz

 

Erstellt: 20.03.2023 - 06:29  |  Geändert: 20.03.2023 - 06:31