Hannas Regen. Von Susan Kreller. Rezension von Johanna

REZENSION
Hannas Regen. Von Susan Kreller   Carlsen Verlag   ISBN 978-3-551-58478-5

Hanna ist neu an Josefins Schule und nicht wirklich anwesend. Aber das ist Josefin ja auch nicht unbedingt. Natürlich leben sie und ihre Familie schon immer in der Stadt und alle Lehrer und Erwachsenen wissen, dass Josefin ein nettes, freundliches und vor allem verantwortungsvolles Mädchen ist, aber Freunde hat sie nicht. Niemand ruft unter der Woche auf dem Festnetztelefon daheim an und fragt nach Josefin. Wobei dies auch daran liegen könnte, dass niemand, außer ihrem Vater, welcher seines schier vergöttert, noch ein Festnetztelefon besitzt. Niemand fragt sie in der Schule, wie ihr Wochenende gewesen ist. Niemand schaut ihr in die Augen und vor allem sitzt auch niemand neben ihr. Aber jetzt halt dann Hanna.

Hanna, die nicht auf ihren eigenen Namen reagiert, aber meint, dass „Josef“ ein vortrefflicher Spitzname für Josefin ist. Hanna, die immer ein Buch über gotische Kirchen mit sich rumträgt, welches im Unterricht gut als Kopfkissen, aber auch an der alten Sternwarte als perfekter Sitzplatz dient. Hanna, die am ersten Schultag den halben Schultisch flutet, da sie im Regen anscheinend keinen Schirm oder wenigstens eine Regenjacke nutzt und deswegen durchgehend Pfützen zusammentropft. So sickert Hanna allein schon durch die physische Nähe langsam aber sicher in Josefins Leben und macht es sich dort wie auf ihren „Gotischen Kirchen“ ungemütlich gemütlich.

Susan Kreller schreibt über ein Thema, zu dem ich bis jetzt noch kein anderes Buch gelesen habe, und nähert sich diesem über die Betrachtung einer ungewöhnlichen Beziehung zwischen zwei Mädchen an. Josefin und Hanna kommen sich im Laufe der Geschichte immer näher und ihre Interaktionen können nur als die zweier Freundinnen beschrieben werden. Die beiden nehmen ihre Freundschaft aber nie als eine solche wahr, aufgrund ihrer jeweiligen Vergangenheit und den damit verbundenen Erfahrungen. Von beiden Seiten wird immer wieder eine Mauer hochgezogen, die eine gesunde, einfache Freundschaft verhindert.

Dieses Unverständnis gegenüber dem Konzept Freundschaft wird dem Leser durch Josefines Sicht, aus welcher das Buch geschrieben ist, deutlich dargelegt, da man immer wieder ihr Innenleben in entscheidenden Interaktionen mitverfolgen kann. Susan Kreller nutzt diese Perspektive unglaublich geschickt aus, um den Leser mit einem unzuverlässigen Erzähler durch die Handlung zu führen. Dem Leser ist klar, dass manche Annahmen über Hanna und deren Familie, die Josefin unterbewusst mit ihrer Mutter teilt, frei erfunden oder an den Haaren – anhand viel zu weniger Beweise – hergezogen sind. Trotzdem prägt die Sicht der Hauptfigur den weiteren Lauf der Geschichte, da Josefins Konzentration auf den fälschlichen Vorwurf sie und den Leser immer wieder neue Indizien entdecken lässt, um diesen zu bestärken. Der Leser wird in seinen eigenen detektivischen Ansätzen, durch den kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit, der ihm, nun schon bereits vorgeprägt durch Josefins Überzeugungen, gezeigt wird, auf falsche Fährten gebracht.

Insgesamt sind alle Charaktere des Buches raffiniert ausgearbeitet und interagieren mit ihren eigenen Macken und Eigenheiten schlüssig und natürlich miteinander, wodurch Empathie und Familiarität beim Leser erzeugt wird. Dabei fällt vor allem Josefines Familie auf, in deren Alltag man schnell typische Handlungen und Unterhaltungen wiedererkennt, die man auch aus seiner eigenen Familie gewohnt ist, wodurch die Umgebung der beiden Hauptcharaktere sehr authentisch und nachvollziehbar wird. Hannas Regen ist ein sehr gelungenes und faszinierendes Buch, dass auch sprachlich viel zu bieten hat und spannend kreativ bleibt.

Ich würde das Buch ab einem Alter von 12 Jahren empfehlen. Johanna, 18

Hannas Regen. Von Susan Kreller

 

Erstellt: 13.12.2022 - 12:39  |  Geändert: 13.12.2022 - 12:43