Nächte im Tunnel. Von Anna Woltz. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION 
Nächte im Tunnel. Von Anna Woltz   Carlsen Verlag   ISBN 978-3-551-58474-8

Als Buchhändlerin bin ich immer froh über Neuerscheinungen, die weniger als 250 Seiten umfassen. Wir sind ja immer auf der Suche nach Titeln, die sich auch gut als Klassenlektüre eignen, weil wir danach oft von Lehrern gefragt werden und die sollen möglichst nicht so dick sein. Anna Woltz tut uns diesen Gefallen häufig, und ihr neues Buch ist darüber hinaus auch noch thematisch gut dafür geeignet, weil es 1940 in London spielt und das Leben während der deutschen Bombenangriffe beschreibt. Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Ella, die lange in der Eisernen Lunge lag, weil sie an Polio erkrankt war und beatmet werden musste. Sie ist gerade erst wieder gesund geworden und leidet noch sehr unter der langen traumatischen Zeit. Außerdem hat sie ein Hinken zurückbehalten und braucht Spezialschuhe, worüber sie natürlich sehr unglücklich ist. An ihren heimlichen Traum, Schriftstellerin zu werden, kann sie gar nicht recht glauben.

Wie viele andere Menschen zieht sich Ellas Familie, seit die Deutschen London bombardieren, Nacht für Nacht in die U-Bahn-Schächte zum Schlafen zurück. Als sie eines Tages mit ihrem kleinen Bruder Robbie in der Schlange vor der U-Bahn steht, trifft sie auf Jay, der sich ganz allein durchschlägt, und sie lernt auch die fröhliche, energische und tatendurstige Quinn kennen, die aus ihrem reichen, konservativen Elternhaus in die Stadt geflohen ist. Sie will in einem Krankenhaus arbeiten und etwas Sinnvolles tun. Die Vier werden im Tunnel zu einer Art Gemeinschaft und erzählen sich von ihren Sehnsüchten, ihren Wünschen für die Zukunft, denn der Krieg wird ja wohl bald vorbei sein!?

Ella fühlt sich sehr zu Jay hingezogen, aber ist es möglich, dass sich ein Junge ausgerechnet in sie verliebt? Quinn begeistert Ella, denn sie ist so wunderbar unkonventionell mit ihren langen Hosen und vor allem ihren Überzeugungen, die absolut feministisch durchdrungen sind. Durch Quinn begreift Ella, dass sie alles erreichen kann, wenn sie selbst es will und sich traut, Grenzen zu überschreiten. Außerdem erkennt sie im Dunkel des Tunnels, wie wichtig ihr Bruder, der immer an ihrer Seite schläft, für sie geworden ist. Ihre Bindung ist durch Ellas Krankheit noch stärker geworden.

Anna Woltz macht keinen Bogen um die Gräuel eines Krieges: Schon in den ersten Sätzen erfahren wir, dass am Ende der Geschichte nur noch drei übrig sein werden und später beschreibt sie schonungslos, was genau so eine Bombe mit einem Körper anrichtet. Aber sie erzählt auch eine sehr dynamische und spannende Geschichte über sich verändernde Gefühle, über Geschlechterrollen und über soziale Unterschiede und Bildungschancen.

Über das rosa-romantische Ende des Romans kann man geteilter Meinung sein, mir ist es etwas zu dick aufgetragen, aber die meisten Teenager werden es bestimmt lieben. Ein bisschen gestutzt habe ich bei der ein oder anderen Formulierung, die mir nicht so recht in die Zeit passen wollte. Vor allem Quinn spricht eine etwas zu moderne Sprache. Wahrscheinlich ist es Absicht, aber mich hat es gestört. Abgesehen davon ist es ein höchst lesenswertes Buch, spannend und fesselnd, mit klar definierten Charakteren und einer überzeugenden Entwicklung. Lehrer wie Schüler dürfen sich auf das Taschenbuch (vermutlich im nächsten Jahr) freuen.

Nächte im Tunnel. Von Anna Woltz

 

Erstellt: 13.09.2022 - 10:33  |  Geändert: 13.09.2022 - 10:36

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