Und wo klickst Du?

Click local buy localWürzburger Buchhändler gehen in die Offensive

von unserem Mitarbeiter Manfred Kunz Erstveröffentlichung: in "Die Nummer". Ausgabe 80   Monat 11/12 2012

Die rapide Veränderung der Innenstädte hat auch Würzburg längst erfasst. Seit Jahren hat sich die Fußgängerzone in eine Aneinanderreihung von Filialen bundesweit operierender Ketten verwandelt, der klassische Einzelhändler mit seinem individuellen Geschäftsmodell ist auch in Würzburg aus dem Zentrum weitgehend verschwunden. Während die vom gleichermaßen Lobby-gesteuerten wie geltungssüchtigen Baureferenten geprägte städtische Bauverwaltung und Teile des Stadtrates mit der – nach wie vor fragwürdigen und auch politisch umstrittenen – Bebauung jenes Areals, auf dem immer noch der denkmalgeschützte Bau des Mozart-Gymnasiums steht, ein großflächiges Einkaufzentrum planen, das mit noch mehr Filialisten den verblieben innerstädtischen Einzelhändlern endgültig den Garaus machen soll, wehren sich die engagierten Händler von 1b- oder 2a-Lagen wie Augustinerstr., Sanderstr. oder Semmelstr. seit Jahren mit gemeinsamen straßen- oder branchenübergreifenden Aktivitäten, wie der „Qualitätsroute“ oder „ „Einkaufstraße Semmelstraße“ gegen die von der Stadtplanung forcierte Existenzvernichtung.

In die Zange genommen wird der klassische, inhabergeführte Einzelhandel – und das unabhängig von der jeweiligen Branche – aber genauso vom Online- und Versandhandel. Einschlägige Internet-Portale und auf spezielle Zielgruppen fokussierte Versender vermelden regelmäßig zweistellige Wachstumsraten, während die Umsätze im stationären Handel seit Jahren stagnieren und Umsatzzuwächse allenfalls im Promille-Bereich liegen.
Aber auch gegen dieses anonyme, vermeintlich bequeme, weil per Mausklick auszuführende Einkaufen, formieren sich – bundesweit und lokal – Gegenbewegungen. Beispielsweise die Initiative „Buy Local“, die ausgehend von Baden Württemberg inzwischen in allen Bundesländern Resonanz und Unterstützer gefunden hat. Die Gründe für regionalen und örtlichen Einkauf liegen auf der Hand und sind doch längst nicht jedem Konsumenten präsent: Neben den rein ökonomischen Faktoren wie der Tatsache, dass Umsätze vor Ort zugleich Steueraufkommen,  Arbeitsplätze und faire Arbeitsbedingungen, sowie direkten Konsum der ausbezahlten Löhne vor Ort generieren, sind es auch die oft unterbewerteten oder gar übersehenen „weichen“ Faktoren, die für den bewussten Einkauf vor Ort sprechen: der Einzelhändler lebt in seiner Stadt, ist Ansprechpartner für kulturelle, soziale und politische Initiativen, beteiligt sich mit Veranstaltungen und Aktionen am städtischen Leben, prägt so über das optische Erscheinungsbilds des Ladenlokals hinaus die Bürgergesellschaft der Stadt – und beugt somit auf jeweils individuelle Weise der Formatisierung der Standzentren zu standardisierten Konsummeilen vor.  
In Würzburg hat vor wenigen Wochen Elisabeth Stein-Salomon, Buchhändlerin und Inhaberin der Akademischen Buchhandlung Knodt, die Initiative ergriffen, und drei weitere inhabergeführten Buchhandlungen – Buchhandlung Dreizehneinhalb, Buchladen Neuer Weg und Universitätsbuchhandlung Schöningh – für die gemeinsame Aktion „Lass den Klick in Deiner Stadt“ gewonnenen. Diese vier mittelständischen Buchhandlungen verkörpern für Würzburg geradezu paradigmatisch die positiven Eigenschaften, die ein Händler vorweisen muss, um die o. g. Richtlinien für die Beteiligung am „Buy Local“-Standard zu erfüllen: alle vier erfreuen die Kunden nicht nur durch qualifiziertes, serviceorientiertes, freundliches und zumeist langjährig erfahrenes  Fachpersonal, sondern beteiligen sich auf je unterschiedliche Weise mit Lesungen, sozialen, kulturellen und politischen Veranstaltungen an jenem gesellschaftlichen Miteinander und jenen öffentlichen Diskursen, die für eine bürgerliche Stadtgesellschaft unverzichtbar sind. Sie machen, im Verbund mit anderen öffentlichen Einrichtungen wie (Privat-)- Theatern oder individuell geführter Gastronomie (beispielhaft seien hier das „Tiepolo“, das vor zwei Jahren eröffnete „Zwei-Viertel“ oder das gerade eröffnete „Neubau“ genannt), den Stadtraum unverwechselbar und damit attraktiv für die Bewohner vor Ort, die Besucher aus der Region und die kulturbewussten Gäste aus aller Welt. Und sind zugleich alles andere als provinziell, sondern über ihre jeweiligen Web-Adressen weltweit vernetzt. „Online können wir alle auch“, meint Elisabeth Stein-Salomon und verweist im Pressegespräch auf die professionell gestalteten Online-Shops der Würzburger Buchhandlungen, „aber gerade die Kombination von Online-Shop und lokalem Ladengeschäft mit persönlichen Ansprechpartnern und individuell gestaltetem Sortiment ist unsere Stärke“. Die Buchpreisbindung in Deutschland sieht Adolf Wolz von der Universitätsbuchhandlung Schöningh als großen Vorteil gegenüber anderen Branchen: „Neue Bücher kosten überall den gleichen Preis – egal ob online oder beim Händler vor Ort gekauft. Denn die Preisbindung schütz das Buch als Kulturgut und garantiert die Vielfalt auf dem Buchmarkt“. Und natürlich können die Würzburger Buchhändler auch in Sachen Schnelligkeit mit den vermeintlich allmächtigen Versendern konkurrieren: Online-Bestellungen sind in der Regel schon am nächsten Tag abholbereit in den Ladengeschäften oder werden umgehend nach Hause gesandt. „Uns ist klar, dass nicht jeder Kunde immer die Zeit hat, vor Ort unsere Buchauswahl zu durchstöbern,  aber wir möchten sie nicht an die anonymen Versender verlieren. Die ganz unterschiedlich und mit verschiedenen Schwerpunkten angelegten Online-Auftritte unserer Buchhandlungen bieten rund um die Uhr Zugang zur Welt der Bücher und anderer Medien, und sind zusätzlich angereichert mit Buchempfehlungen unserer Mitarbeiter oder Informationen zu Lesungen und Veranstaltungen“ erläutert Ulla Rottmann von der Buchhandlung Dreizehneinhalb. Und Werner Beyer vom Buchladen Neuer Weg betont, dass der Käufer mit jedem Klick oder dem Besuch beim lokalen Händler eine gesellschaftspolitische Entscheidung trifft. So sorgt er dafür, dass sein Geld in der Stadt bleibt, sei es über den Lohn für die Mitarbeiter oder über die Gewerbesteuer. „Darüber hinaus erfüllt der Buchhandel natürlich – quasi en passant – eine unverzichtbare Rolle als Kulturvermittler jeglicher Art. Und selbstverständlich gehören schöne, individuelle Buchhandlungen zu einer lebendigen und liebenswerten Stadt, die einen Einkaufsbummel lohnt.
Im Rahmen der Initiative „Lass den Klick in Deiner Stadt“ bereiten die vier beteiligten Buchhandlungen mitten im anstrengenden Weihnachtsgeschäft schon jetzt für die nächsten Monate weitere Aktionen vor. Geplant sind unter anderem eine Anzeigenkampagne, öffentliche Veranstaltungen, ein Gewinnspiel und eine Initiative zur lokalen Leseförderung, etwa nach dem in  Frankfurt stadtweit praktizierten Motto „Eine Stadt liest ein Buch“ und kommt darüber mit sich ins Gespräch. Allein die Diskussion darüber, welches Buch das für Würzburg sein könnte, verspräche ja schon eine interessante Diskussion, etwa wenn die Wahl zwischen „Vom Kaiserplatz zum Konsumtempel“ des Stadtheimatpflegers oder „Die Jünger Jesu“ eines heimatlosen Linken mit Würzburger Wurzeln zu treffen wäre. Oder wenn, noch schlimmer (schlimm für wen eigentlich?), aus Anlass der im Kulturspeicher geplanten Ausstellung über in der NS-Zeit angekaufte Kunst, plötzlich „Hitler lieben“ von Peter Roos wieder auf die verbindliche Leseagenda käme?  Da freuen wir uns schon jetzt auf alle gedruckten und ungedruckten Leserbriefe – egal an welches Medium sie gerichtet werden.

Siehe auch Man kann bei der Wahl seiner Buchhandlung gar nicht vorsichtig genug sein