Kurz nach Beginn der Finanzkrise 2008 stellte sich plötzlich heraus: Das ‚Kapital' ist weg! Seit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank wurden die blauen Bände so stark verkauft, dass sie vorübergehend vergriffen waren. Eine ganze Reihe von ‚Das Kapital lesen'-Büchern sind seither neu erschienen, Lesekurse sprießen aus dem Boden. Und, wie könnte es anders sein unter Linken, konkurrierende Lesarten.
Der Links-Treff in der Friese war denn auch voll bis auf den letzten Platz, als Wolfgang Fritz Haug und Frigga Haug das frischerschienene Werk von Wolfgang Haug: „Das ‚Kapital' lesen -- aber wie?" vorstellten. Beide haben sich jahrzehntelang mit dem Thema beschäftigt. Wolfgang Haug ist Herausgeber des ‚Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus' und des Argument Verlag, er hat u.a. die ‚Gefängnishefte' von Antonio Gramsci herausgegeben und 1980 die Berliner Volksuni mitbegründet. Frigga Haug ist u.a. Vorsitzende des Berliner Instituts für Kritische Theorie, sie ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und im Kuratorium des ‚Instituts für solidarische Moderne'.
Einer der Streitpunkte im aktuellen Kapital-Revival ist: Muss man das ‚Kapital' als ökonomische Theorie lesen und die Einbettung in eine Geschichtstheorie aus heutiger Sicht schlicht weglassen, als eine zeitbedingte Schale von „Arbeiterbewegungs-Marxismus" und „Weltanschauungs-Marxismus"? Das ist die Position der ‚logischen' Kapitallektüre, wie sie von den Autoren der ‚Neuen Marx-Lektüre' (Reichelt, Heinrich, Backhaus) vertreten wird. Oder geht es genau darum, Kritik der Ökonomie als Kritik der historischen Entstehung von Herrschaftsverhältnissen zu betreiben -- und mithin nicht den ersten Abschnitt des ‚Kapitals' wegzuwerfen? Das ist die Position, die Haug vertritt.