Paradiesische Höllen
Mikis Theodorakis. Gedichte & Liedtexte
»Europa hatte keinen Che Guevara … es hatte Mikis Theodorakis.« Roger Willemsen
Der »Sirtaki« war eigens für den Zorbas-Film kreiert worden, aber die darin verarbeitete Volksmusik stammte aus einem umfangreichen Reservoir an Musik, die Theodorakis studiert und analysiert hatte und in sich trug – ein Fundus, aus dem Theodorakis auch später schöpfte, wenn er seine großen klassisch-modernen Werke schrieb, seine Sinfonien, seine Opern, das Oratorium »Axion Esti«, seine erfolgreichen Ballett-Musiken, Musik für Theater.
Musik, die Teil des Lebens breiter Schichten der Bevölkerung ist, auch anderswo auf der Welt, das fand immer wieder Theodorakis‘ Interesse.
Schließlich komponierte er „Canto General“, inspiriert von musikalischen Motiven Lateinamerikas. Die Auswahl der Texte von Neruda, die er vertonte, traf er gemeinsam mit dem Dichter und mit Salvador Allende. Wer zu wenig Theodorakis gehört hat, mag dessen Rhapsodien entdecken, sein „Requiem“, das Adagio, den von ihm als solches bezeichneten Lied-Fluss „Im Belagerungszustand“, die Eluard-Lieder, „Raven“, das Klavierkonzert und die »Mauthausen-Kantate«, deren Lieder Vertonungen der Gedichttexte von Iakovos Kambanelis sind, der in Mauthausen der Häftling mit der Nummer 10.205 gewesen war und überlebt hatte. HIER 2018 gesungen von Konstantin Wecker und dem Chor des Uhland-Gymnasiums Tübingen. Und: „Sonne und Zeit“, den Liederzyklus, der eine der Besonderheiten in Theodorakis‘ Werkschaffen darstellt, da er hier Rock-Elemente verarbeitet hat, wie sonst in keinem anderen Werk. Alle Texte schrieb er selbst. In diesem Gedichtband sind sie zu finden.
Zum ersten Mal alle Texte auf Deutsch gesammelt in einem Band. Mit Geleitworten von Konstantin Wecker und Hans-Eckardt Wenzel sowie einem Triptychon von Ina Kutulas. Mit vielen Fotos von Theodorakis' Tochter Margarita und Zeichnungen von Angela Hampel; übersetzt von Ina und Asteris Kutulas.
Konstantin Wecker im Geleitwort
"Es ist eine große Freude für mich, das Geleitwort für ein Buch schreiben zu dürfen, in dem alle Gedichte von Mikis Theodorakis erstmals auf Deutsch zusammengefasst sind. Mikis Theodorakis ist inhaftiert, gefoltert, verbannt worden und hat dennoch nie aufgegeben, nie aufgehört gegen Nazis, Faschisten und Putschisten zu rebellieren, seine Stimme zu erheben, zu mahnen, und vor allem: uns Mut zu machen.
2010 habe ich für die Hommage CD «Viva Mikis 85» das «Lied der Lieder» («Asma Asmaton») aufgenommen, das ich in den Jahren danach auch in meine Konzertprogramme eingebaut habe. «Asma Asmaton», nach Texten des Schriftstellers Jakovos Kambanellis, ist meines Erachtens der Höhepunkt der Kantate über das KZ Mauthausen.
Am 1. Mai 2012 durfte ich Mikis Theodorakis in seiner Wohnung in Athen treffen. Der großartige griechische Dichter und Musiker hat mir über zwei Stunden aus seinem Leben erzählt, einem Leben, das Stoff für mehrere Leben böte. Er hat lebendig und ungebrochen von seinen Kämpfen im Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg und später gegen die Militärdiktatur berichtet. Was für ein Leben! Immer im Dialog mit Kunst und Politik, im Dialog mit sinfonischen Klängen und Volksmusik, mit erbitterten Feinden und begeisterten Liebhabern seiner unsterblichen Musik.
Ich habe danach auf seinem Flügel «Wenn der Sommer nicht mehr weit ist» spielen dürfen, hinausblickend auf die Akropolis, denn seine Wohnung lag am Fuße dieser Kulturstätte, von der sein Freund Manolis Glezos am 30. Mai 1941 die Hakenkreuzfahne abgerissen hat.
Im Juli 2015 durfte ich im Garten der Konzerthalle Megaron zu Ehren des 90. Geburtstages von Mikis Theodorakis zusammen mit der griechischen Sängerin Eleni Witali und der aus New York stammenden Sängerin Lina Orfanos mehrsprachig erneut das «Lied der Lieder» singen.
Hier also seine Gedichte. Seine Lyrik will gehört werden, und ich rate allen Leser:innen, die noch keinen Zugang zur Lyrik gefunden haben, sich die Worte von Mikis Theodorakis auf der Zunge zergehen zu lassen und sich seine Gedichte selbst vorzutragen. Gedichte sind Musik, und genauso sollte man sie in sich aufnehmen.
Theodorakis schreibt naturverbunden und voll Menschenliebe – und entschieden gegen Folter und Krieg.
«Jeder Gruß ein Mädchen, jedes Mädchen ein getötetes Kind.»
Oder:
«Anbrechen wird ein Tag, da die Sonne nicht mehr sinkt Schatten verwandeln sich in Licht und auf die Blätter des Baums wird tropfen das Blut entflammt wie eine Träne. Das All wird ein endliches sein.»
Lieber Mikis Theodorakis, ich danke Dir von Herzen für die vielen lebenswichtigen Begegnungen mit Dir! Deine Persönlichkeit, Deine Lebenshaltung und Engagement, Deine Inspiration, die sich in Deiner Musik abgebildet hat und mein Wirken geprägt und viele von uns bereichert hat. So wie es jetzt auch alle Deine Gedichte tun.
Yassu, Mikis!!!"
In den paradiesischen Gärten meines Schädels
reist eine gelbe Sonne auf den Flügeln der Zeit
es folgen Vögel mit hölzernen Flügeln
es fliegen Engel in Jets voraus
pompöse Prozession über Bananenbäumen
über Eukalyptusbäumen und Tannenbäumen die überschatten
meines Hirns linke Hälfte
überschattet die rechte Hälfte von Nymphen Himmelshuren
rote Eidechsen unter Jasmin
hören die Wasserfälle die verschwinden
in den Kloaken meines Rückenmarks
es beginnt dort die Erde endet das All.
Plötzlich erstarrt die pompöse Prozession
sechs Uhr Nachmittag
genau um sechs
stoppen Prozession Sonne Zeit
nur die Vögel reisen
mit ihren Holzflügeln schlagend
und die Jets
ebenfalls engelsgleich.
Mikis Theodorakis, aus: Sonne & Zeit, 1967
Auszug
Asteris Koutoulas über Theodorakis und das Buch: 100 Jahre Mikis Theodorakis! Ein Komponistenleben zwischen Himmel und Hölle, auf Leben und Tod wie kein zweites. Seine Musik, seine Texte seine Biografie, sie reflektieren die Dramatik eines Jahrhunderts der Kriege und der Innovationen. (...) Theodorakis, der charismatische Künstler, nicht zuletzt wegen der Filmmusik zu „Zorbas“ weltweit bekannt, stand auch für die Freiheit seines Landes und die Freiheit des Wortes auf der Bühne. Nicht den Elfenbeinturm suchte er, sondern den Dialog mit dem Publikum. Mit diesem teilte er die Erkenntnis von der „Sehnsucht jedes Menschen, Tänzer zu sein“. asti-blog.de 08.07.2025
Rezensionen
„Tot sind wir, wenn wir uns geschlagen geben“: Es muss 1980 gewesen sein, dass ich im Großen Saal des Palastes der Republik die Uraufführung seines „Canto General“ erlebte. Tosender Beifall für den Komponisten Mikis Theodorakis, der auch dirigierte, und für die Sängerin Maria Farandouri mit ihrem herrlichen Mezzosopran. Eine dermaßen monumentale Komposition hatte ich bei einem Festival des Politischen Liedes nicht erwartet, und ich empfand es so, dass Theodorakis damit auch seine Nähe zu meinem Land DDR demonstrierte. Erst später begriff ich, wie da für ihn immer auch ein Abstand blieb. In seinem Gefühl persönlicher Eigenständigkeit wäre er nie damit zurecht gekommen, wenn Anpassung von ihm verlangt worden wäre. Von Irmtraud Gutschke Literatursalon 30.07.2025
Das Lyrikgespräch im Juli: (...) und anlässlich des posthum zu begehenden 100. Geburtstages von Mikis Theodorakis erscheint ein Sammelband all seiner Gedichte erstmalig in deutscher Übersetzung: besprochen im Deutschlandfunk von meinen Gästen Beate Tröger und Alexandru Bulucz. [Podcast 19:41, über dieses Buch ab Min. 9: 50] Von Jan Drees lesenmitlinks.de 28.07.2025
Autoreninfos
Mit Geleitworten von
Nachwort von
Guy Wagner (* 1938 - 2016) war ein luxemburgischer Schriftsteller, Autor und Theodorakis-Biograf.
Wikipedia (LB): Guy Wagner
Die Übersetzer
Ina-Kathrin Kutulas, geb. Schildhauer, meist Ina Kutulas (* 1965 in Magdeburg) ist eine deutsche Autorin. Seit 1983 verfaßte sie Nachdichtungen und übertrug zusammen mit Asteris Kutulas eine Vielzahl von Werken bedeutender griechischer Autoren (Konstantin Kavafis, Giorgos Seferis, Mikis Theodorakis, Jannis Ritsos, Odysseas Elytis etc.) ins Deutsche. Sie verfaßte in diesem Band ein Triptichon.
Wikipedia (DE): Ina Kutulas
Mit Zeichnungen von
Angela Hampel (* 16. Februar 1956 in Räckelwitz, Bezirk Dresden, DDR) ist eine deutsche Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin.
Wikipedia (DE): Angela Hampel
Mit Fotos von
Margarita Theodoraki, der Tochter Mikis Theodorakis'.
Four years without Miki – Margarita Theodoraki “It is my life’s duty to continue my father’s work”: The daughter of the renowned composer talks to "THEMA" about her life with Mikis, but also about how she experiences his absence - She explains how the concert-dialogue between Theodorakis and Kaldara, which will take place tonight at the Vrahon Theatre, came about. [EN] protothema.gr 2025/09/02
Erstellt: 05.12.2025 - 19:15 | Geändert: 05.12.2025 - 21:22
