Essay | Russland: Das Racheprojekt der Eliten
Dreißig Jahre nach dem Kalten Krieg kämpft der Westen nicht gegen Russland, sondern gegen die eigene Kränkung. Der Sieg von 1991 hat keine Ordnung geschaffen. Es wurde eine Obsession. Heute zeigt sich, der Krieg ist weniger geopolitisch als psychologisch – ein Racheakt der Macht. Der neue Kalte Krieg ist kein Konflikt zwischen Staaten. Europa kämpft auch nicht für Freiheit. Es kämpft gegen die Wahrheit, damit der Selbstbetrug hält.
Für jene, die Sabiene Jahn lieber hören als lesen, hier anklicken.
Am 4. November 2025 ist der „Saalbau Bornheim“ in Frankfurt am Main bis auf den letzten Platz gefüllt. Noch drei Stuhlreihen werden nach vorne geschoben, trotzdem stehen Menschen an den Wänden, hinten drängen sich weitere Gäste des Deutschen Freidenkerverbandes. Viele sind gekommen, weil sie spüren, dass das, was sie an diesem Abend hören, in den großen Medien kaum noch vorkommt. Auf dem Podium sitzt Rainer Rupp, einst Mitarbeiter im NATO-Hauptquartier in Brüssel, unter dem Decknamen „Topas“ viele Jahre Kundschafter der DDR-Hauptverwaltung Aufklärung. In den frühen achtziger Jahren, während des NATO-Manövers Able Archer 1983, leitete er Informationen nach Ostberlin und weiter nach Moskau. Die Übung, so seine Berichte damals, sei kein Deckmantel für einen überraschenden Nuklearschlag des Westens. In Rückschauen – von der Guardian-Notiz bis zu linken Zeitungsartikeln – ist seither oft davon die Rede, Rupp habe damit „den dritten Weltkrieg verhindert“. Sicher ist, seine Informationen trugen dazu bei, die sowjetische Führung in einer hochgespannten Situation zu beruhigen und die Eskalationsspirale zu durchbrechen.
