Deutsche Kolonialgeschichte(n)
Der Genozid in Namibia und die Geschichtsschreibung der DDR und BRD

Die Geschichte des kolonialen Namibias – und damit der Genozid an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 – avancierte in den letzten Jahren zum Politikum. Der Anerkennung des Genozids durch die Bundesregierung im Jahr 2016 gingen jahrzehntelange historiografische Kontroversen voraus, die jedoch bislang kaum Beachtung fanden.
Christiane Bürger zeigt, wie der nach dem Zweiten Weltkrieg als weitestgehend verdrängt geltende koloniale Genozid in der DDR und BRD vor dem Hintergrund kolonial-apologetischer Erzählungen der ersten Jahrhunderthälfte verhandelt wurde – und beleuchtet damit die Historiografie- und Wissensgeschichte der aktuellen Debatten.
Wie wurde der Genozid an den Herero und Nama in der Erinnerungskultur der DDR und BRD verhandelt – was bedeutet dies für die aktuellen Debatten?
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REZENSION: Unter dem Lemma “Von Windhuk nach Auschwitz” hat sich eine wissenschaftliche Debatte entfaltet, die um die vielfältigen historischen Kontinuitäten von Kolonialismus und Nationalsozialismus kreist. Dabei betonen die Gegner der „Kontinuitätsthese“ die historischen Brüche zwischen Kolonialzeit und NS, während die Befürworter um Jürgen Zimmerer die vielfachen diskursiven Konnexionen wie koloniale Rassegesetze und (Groß-)Raumkonzepte sowie den kolonialen Genozid an den Herero und Nama anführen, um die NS-Verbrechen aus der spezifisch deutschen Geschichte heraus zu verstehen.1 Auch vor diesem Hintergrund analysiert Christiane Bürger die deutsche Namibia-Historiografie ab 1945, aber nicht, um die historischen Verbindungen von Kaiserreich und NS zu beforschen, sondern um kolonial-diskursive Narrative und „Erzähllogiken“ (S. 61) aus der Zeit vor 1945 in der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 aufzuspüren. Von Markus Hedrich H / Soz / Kult 14.03.2018
Eine kritische Wissensgeschichte der umkämpften deutsch- deutschen Kolonialgeschichtsschreibung zum Genozid in Namibia: Die Geschichtsschreibung zum kolonialen Namibia weist selbst eine bewegte Geschichte auf, insbesondere Deutungen des deutschen Genozids an den Herero und Nama (1904 bis 1908) waren stets umkämpft. Dennoch fehle bisher eine systematische Auseinandersetzung mit der Kolonialhistoriografie und Rezeptionsgeschichte, so Christiane Bürger (S. 10/11). Diese Forschungslücke soll ihre vorliegende Untersuchung schließen und damit dazu beitragen, „die gegenwärtigen Forschungsdebatten inhaltlich und wissensgeschichtlich zu historisieren, gegebenenfalls neu zu bewerten und einen kritischen Beitrag zur Verortung des eigenen Faches zu leisten.“ (S. 11) Konkret geht es Bürger darum, „wissensgeschichtliche Veränderungen und Kontinuitäten in der historiografischen Beschäftigung mit dem kolonialen Namibia aufzuzeigen und sie auf ihre Verschränkung mit politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen zu befragen.“ (S. 12) Mit ihrem Buch will Bürger freilich keine Gesamtdarstellung leisten, sondern exemplarisch Brüche, Kontinuitäten und Leerstellen in der Historiografie des kolonialen Namibias aufzeigen (S. 16). Von Kaya de Wolff, KULT_online. Review Journal for the Study of Culture 53 / 2018 Uni Giessen 2018
INTERVIEW: „Es gab keine koloniale Amnesie“: Interview mit Christiane Bürger über Kolonialismus, Genozid und Geschichtsschreibung: Der von 1904 bis 1908 durch die deutsche Kolonialarmee verübte Völkermord im heutigen Namibia wurde von der Bundesregierung lange nicht als solcher anerkannt. Kritiker attestierten nicht nur der Regierung sondern den Deutschen insgesamt eine koloniale Amnesie. Man wolle an die eigene koloniale Vergangenheit weder erinnern noch daran erinnert werden und diese am liebsten vergessen. Die Historikerin Dr. Christiane Bürger bezweifelt die These vom bewussten Vergessen in Sachen Kolonialismus. Sie hält in ihrem Dissertationsprojekt dagegen und behauptet in ihrer Untersuchung der bundesdeutschen sowie der DDR-Historiographie, dass von einer kolonialen Amnesie keine Rede sein könne. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt. Mit Georgios Chatzoudis Gerda Henkel Stiftung 07.11.2017
REZENSION: In einer politischen Lage, in der die Frage der Aussöhnung zwischen Namibia und Deutschland wegen der Kolonialgeschichte und des Völker- mordes von 1904-1908 akut geworden ist, kann die Analyse der historiogra- phischen Bearbeitung dieser Fragen zumal während der deutschen Teilung besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. [PDF] Von Kößler, Reinhart ssoar.info 2017
Weitere Pressestimmen
»Die Untersuchung [leistet] einen wichtigen Forschungsbeitrag in Richtung einer Dekolonialisierung von Wissenskulturen, die es disziplinübergreifend weiter voranzutreiben gilt.« Kaya de Wolff, KULT_online, 53 (2018) 21.02.2018
»Bürger schreibt keine lineare Fortschrittsgeschichte hin zu einer ›richtigen‹ Deutung, sondern sensibilisiert für Ambivalenzen und für andauernde Veränderungen des Sag- und Schreibbaren.« Jürgen Dinkel, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4 (2018) 19.04.2018
»Bürger [gelingt es] einen wichtigen ›narratologischen Beitrag zum Forschungsfeld der Historiografiegeschichte‹ zu erbringen. Zugleich gelingt es Bürger für kolonialapologetische Diskurse und Rassismen zu sensibilisieren, womit die Studie eine substanzielle Relevanz entfaltet.« Markus Hedrich, H-Soz-u-Kult, 14.03.2018
»Will man sich mit dem Völkermord in Namibia und der keineswegs völlig beendeten Debatte darüber einschließlich ihrer revisionistischen Ausformungen befassen, [wird man] an diesem Buch nicht vorbeikommen.« Reinhart Kößler, PERIPHERIE, 2 (2017) 01.08.2017
»Wer sich zukünftig mit der Geschichtsschreibung zum kolonialen Namibia befasst, wird an der Studie von Bürger nicht vorbeikommen.Die Studie [liefert] einen wichtigen wissenschaftgeschichtlichen und narratologischen Beitrag zum Forschungsfeld der Historiographiegeschichte.« Joachim Zeller, Monatshefte, 110/3 (2018) 13.11.2018
»Eine interessante Darstellung zweier Geschichtsschreibungen, die dann nach langer Zeit und vor allem nach dem Tod aller Zeitzeugen zusammengefunden haben.« Reinhard Pohl, Gegenwind, 347 (2017) 03.07.2017
Besprochen in:IDA-NRW, 2 (2017)Zeitschrift für Politikwissenschaft, 3 (2018), Ulrich van der Heyden
»An impressive collection and overview.It offers manifold insights into the relative complexity of the subject and its treatment.« Henning Melber, Journal of Namibian Studies, 23 (2018) 13.08.2018
»Eine hervorragende Analyse, die speziell wegen des bis in die Gegenwart widersprüchlichen Umgangs der Bundesrepublik mit den geerbten Kolonialverbrechen von großer Aktualität ist.« Patrick Helber, iz3w, 9/10 (2017) 01.08.2017
Erstellt: 26.03.2025 - 08:04 | Geändert: 26.03.2025 - 09:57