Wie ungleicher Tausch unsere Welt prägt
Jason Hickel über die Transformation der postkolonialen Ordnung
Wir leben in einer kapitalistischen Weltwirtschaft, in der die Produktion überwiegend vom Kapital kontrolliert wird, das heißt, von großen Finanzunternehmen, Großkonzernen und dem einen Prozent, das den Großteil der investierbaren Vermögenswerte besitzt. Für das Kapital besteht der Zweck der Produktion ausdrücklich nicht darin, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen oder sozialen Fortschritt zu ermöglichen. Sein Hauptzweck ist die Maximierung und Anhäufung von Profit. Das ist das übergeordnete Ziel.
Um einen Prozess der fortwährenden Akkumulation aufrechtzuerhalten, muss das Kapital eine ständig steigende Menge an Inputs zum niedrigstmöglichen Preis beschaffen, das heißt günstige Arbeitskräfte und natürliche Ressourcen. Das Problem für das Kapital besteht jedoch darin, dass die Beschaffung dieser Inputs früher oder später zu gravierenden Widersprüchen führt. Während des Aufstiegs des Kapitalismus im Westen wurde immer deutlicher, dass die verschärfte Ausbeutung der heimischen Arbeiter*innenklasse revolutionäre Umtriebe hervorbringen konnte. Zugleich wurden durch die exzessive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes nach und nach die ökologischen Grundlagen der Produktion selbst zerstört. Das Kapital benötigte daher eine Art «Außenbereich» – einen Bereich außerhalb der eigenen Grenzen, in der es Arbeitskräfte und Natur ungestraft ausbeuten und soziale und ökologische Kosten externalisieren konnte.
Mit anderen Worten: Der Kapitalismus benötigt eine imperiale Ordnung, um die Akkumulation zu stabilisieren. Der Imperialismus ist somit ein strukturell notwendiges Merkmal des Kapitalismus. Auch rund 60 Jahre nach dem formellen Ende des Kolonialismus ist unser Weltgefüge weiterhin von einem grundlegenden Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd sowie der wirtschaftlichen Dominanz des Nordens über den Süden geprägt. Die Transformation dieser Ordnung stellt die zentrale politische Herausforderung unserer Zeit dar [...]
Der ungleiche Tausch führt zu massiven Netto-Transfers vom Süden in den Norden. Im letzten Jahr, für das Daten vorliegen, lässt sich feststellen: Ein Nettoabfluss von 12 Milliarden Tonnen enthaltener Materialien und 21 Exajoule aufgewendeter Energie von Süden nach Norden. Jüngsten Untersuchungen zufolge würde diese Menge an Materialien und Energie ausreichen, um die gesamte Bevölkerung des Globalen Südens mit Infrastruktur und Gütern für einen angemessenen Lebensstandard zu versorgen [...] Rosa Luxemburg Stiftung 04.07.2025