Der neue Geist des Kapitalismus
Luc Boltanski und Ève Chiapello beschreiben den Kapitalismus als ein normatives System, dem es unter sich wandelnden Bedingungen immer wieder gelingt, Menschen zu gewinnen und davon zu überzeugen, sich am Prozess der kapitalistischen Akkumulation zu beteiligen. Den Autoren zufolge verdankt der Geist des Kapitalismus seinen Triumph der Fähigkeit, die gegen ihn gerichtete Kritik aufzugreifen und konstruktiv zu verarbeiten. In seiner jüngsten Ausprägung wurzelt er im Mai 1968, als sich Künstler und Intellektuelle gegen sämtliche durch den Kapitalismus bedingten Prozesse der Entfremdung auflehnten.
In den Unternehmen und Fabriken, die in jenen Jahren von Streiks und Arbeitskämpfen massiv betroffen waren, wurde diese emanzipatorische Kritik von jungen Führungskräften und Beratern aufgegriffen und in einer neuen Organisation der Produktion umgesetzt. Ergebnis dieses Umbaus ist das 'schlanke' Unternehmen der Gegenwart.
In einem detaillierten qualitativen Vergleich zwischen der Management-Literatur der 1960er-Jahre und der 1990er-Jahre zeigen Luc Boltanski und Eve Chiapello die normativen Verschiebungen, die die Neuorganisation der Produktion in den Unternehmen begleiten haben. Der neue Geist des Kapitalismus definiert sich durch Flexibilität, Mobilität, Kreativität und Eigenverantwortung, die die employability der Menschen bestimmen. Nur wer über diese Eigenschaften verfügt, kann die Möglichkeiten nutzen, die der projektbasierte Kapitalismus des 21. Jahrhunderts bietet.
Wikipedia (DE): Der neue Geist des Kapitalismus
Wikipedia (DE): Lean Management
Rezensionen
Wer heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, noch ernsthaft an den Segnungen des Kapitalismus zweifelt, der oder die kann sich manchmal fühlen, wie ein Fossil aus grauer Vorzeit. Denn auf allen Kanälen verbreiten Politiker, Journalisten und selbsternannte Experten ihren Lobgesang auf den freien Markt und überkleistern die Realität mit einer neoliberalen Blümchentapete. Für Kritik und Gegenentwürfe scheint da kein Platz, ja gar kein Bedarf mehr zu sein. [Podcast 7:17] Von Anna und Michael (Morgenradio) Freie Radios 06.02.2007
Dass der Anspruch dieses Buches nicht gerade ein bescheidener ist, davon kündet bereits der vollmundige Titel: Unter unverkennbarer Bezugnahme auf niemand Unbedeutenderen als einen der ganz Großen - Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904 - versprechen der französische Soziologe und Bourdieuschüler Luc Boltanski und die Ökonomin Ève Chiapello eine Neuinterpretation bzw. Fortsetzung jenes Meilensteins der soziologischen Literatur. Und das gelingt ihnen auch. Von Ruth Rosenberger Sehepunkte 15.07.2005
Erschienen ist dieses voluminöse Werk in französischer Sprache bereits 1999, eine erste Übersetzung ins Deutsche im Jahr 2003. (...) Die erste Welle der zumeist akademischen Rezeption ist verebbt, was rechtfertigt nun eine etwas verspätete Rezeption? Aus der zeitlichen Distanz wird deutlich, dass dieses Buch in den Kontext zweier anderer, ebenfalls umfangreicher Werke zu stellen ist: 2000 erschien „Empire“ von Hardt und Negri sowie die Trilogie von Manuel Castells „The Rise of the Network Society“ (1996), „The Power of Identity“ (1997) sowie „End of Millennium“ (1998). (...) Die zeitliche Nähe war kein Zufall. Die Staatsplanwirtschaft in Osteuropa war Geschichte, die Transformation des Fordismus in den Postfordismus vollzogen, die neuen Kommunikationstechnologien, insbesondere das Internet bereits massenhaft in Verwendung. Wenn auch die Intentionen, Methoden und das politische Kalkül dieser Werke unterschiedlich war, so bezogen sich doch alle auf ähnliche Phänomene: nämlich auf die sich in netzwerkartigen Strukturen organisierende Gesellschaft, auf die Bedeutung von Wissen und Information sowie auf die offensichtliche Erosion jener Trennungen, die die Phase bis Ende der 60er Jahre gekennzeichnet hatte: Die Scheidung von Arbeit und Freizeit, von Job und Privatleben sowie von Ausbildung und Arbeit schien tendenziell aufgehoben. Kaum ein Begriff war ohne Präfix wie Neo- oder Post- zu haben. Der Kapitalismus schien sich zu erneuern, aber in welche Richtung und durch welche Dynamik? Rund zehn Jahre später ist es möglich, eine erste Bilanz zu ziehen und somit auch diese Werke erneut einzuschätzen. Von Karl Reitter Grundrisse (ohne Datum)
Pressenotizen Perlentaucher
Autoreninfos
Vorwort von
Erstellt: 10.11.2025 - 05:52 | Geändert: 10.11.2025 - 06:27
