Mediensystem und öffentliche Sphäre in der Krise

Demokratie und Medien sind in der Massengesellschaft nicht voneinander zu trennen, denn es liegt in der Verantwortung der Medien, den Bürgern eine Orientierung in der komplexen Realität der Gesellschaft zu ermöglichen. Im Kontext der verstetigten Krisendiskurse der vergangenen Jahre wurden sowohl die Grundlagen für demokratische Debattenräume als auch deren gesellschaftliche Anwendung infrage gestellt. In diesem Band soll daher zunächst der Zustand des öffentlichen Debattenraumes untersucht werden. Ziel der Beiträge ist es, den gegenwärtigen Zustand und die Herausforderungen unserer (Medien-)Demokratie zu bewerten sowie Chancen und Impulse, die aus dieser Analyse erwachsen können, zu diskutieren. Im Fokus steht dabei sowohl der politische Diskurs über Demokratie als auch die demokratische Verfasstheit der öffentlichen Sphäre selbst.

ISBN 978-3-949925-20-7 1. Auflage 19.08.2024 34,00 € Portofrei Bestellen (Buch)

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Inhaltsverzeichnis und Leseprobe

„Denn eine Meinungsfreiheit, die nur politisch genehme Positionen zulässt, ist keine“: Die Bürger werden „zunehmend als unmündige, hilfsbedürftige Dummerchen dargestellt“, von denen die Politik meine, sie müssten vor Fake News und „falschen“ Meinungen geschützt werden. Das sagt Hannah Broecker im Interview mit den NachDenkSeiten. Die Kommunikationswissenschaftlerin konzentriert sich in ihrer Forschung auf die Etablierung von Zensurregimen in westlichen Gesellschaften. In ihrem gerade mit herausgegeben Buch „Mediensystem und öffentliche Sphäre in der Krise“ zeigt Hannah Broecker die gegenwärtige Zensurpraxis auf. Im Interview sprechen wir darüber, wie sich Zensur aktuell ausformt und wie Begriffe wie etwa „Demokratie“, „Meinungsfreiheit“ oder „Bürger“ in ihrer Bedeutung pervertiert werden. Von Marcus Klöckner → NachDenkSeiten 11.09.2024

Die Autoren (Hg.)

Hannah Broecker ist promovierte Politikwissenschaftlerin mit einem Fokus auf politische Sicherheitsdiskurse. Derzeit arbeitet sie am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität München zu Themen demokratischer Öffentlichkeit, der Qualität in der Berichterstattung und insbesondere des Aufbaus neuer Zensurregime.

Dennis Kaltwasser ist Sprachwissenschaftler und Habilitand am Institut für Germanistik der Universität Gießen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Sprachtheorie, der Medienlinguistik und des politischen Sprachgebrauchs.

Briefing-Dokument: Analyse der Krise von Mediensystem und öffentlicher Sphäre

Zusammenfassung

Dieses Dokument synthetisiert die zentralen Thesen und Analysen aus dem Sammelband „Mediensystem und öffentliche Sphäre in der Krise“. Die Kernaussage der Publikation ist, dass die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft in westlichen Demokratien, insbesondere in Deutschland, fundamental gestört ist. Diese Krise manifestiert sich in einer Reihe von Symptomen: zunehmende Auswanderung, wachsende Nachrichtenverweigerung, ein sinkendes Vertrauen in die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung und eine signifikante Abwendung vom traditionellen Journalismus.

Die Autoren identifizieren ein Bündel von miteinander verknüpften Ursachen für diese Entwicklung:

  1. Machtkonzentration des Staates: Eine zentrale These lautet, dass die Krise durch eine übermäßige Machtkonzentration in staatlicher Hand verursacht wird. Ermöglicht wird dies durch ein ungedecktes Geldsystem (Fiat-Geld), das dem Staat erlaubt, weitreichende Kontrollregime wie das „Corona-Regime“ oder das „Klima-Regime“ zu finanzieren und einen Staatskapitalismus (Crony Capitalism) zu etablieren, bei dem Risiken sozialisiert und Gewinne privatisiert werden.
  2. Gleichklang der Leitmedien und Expertokratie: Die Leitmedien verbreiten dominant die Regierungssicht, gestützt durch handverlesene Experten, die als „die Wissenschaft“ präsentiert werden. Dies unterdrückt legitime Gegenpositionen und verhindert einen pluralistischen Diskurs. Die Universitäten werden zunehmend instrumentalisiert, um politische Entscheidungen zu legitimieren.
  3. Inversion demokratischer Normen: Demokratische Kernkonzepte werden gezielt in ihr Gegenteil verkehrt, um Zensur und Kontrolle zu rechtfertigen. Die Meinungsfreiheit wird als Sicherheitsrisiko dargestellt, der Bürger vom mündigen Souverän zum schutzbedürftigen Objekt umgedeutet, und Kritik an Institutionen wird als staatsdelegitimierender Angriff auf die Demokratie selbst diffamiert.
  4. Propaganda und Informationskriegsführung: Moderne Staaten nutzen fortschrittliche psychologische Techniken der Beeinflussung („Soft Power“, „Kognitive Kriegsführung“), um Zustimmung herzustellen. Zunehmend werden Propagandaaktivitäten an scheinbar unabhängige Akteure (NGOs, Thinktanks, Medienprojekte) ausgelagert, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen und die Verantwortlichkeit zu verschleiern.
  5. Ideologische Kontinuitäten: Die Krise wurzelt in einer langen ideengeschichtlichen Tradition eines rationalistischen Gesellschaftsmanagements, das von Platon bis zu modernen Technokraten reicht. Diese elitäre Denkweise betrachtet die Bevölkerung als zu steuernde Masse und lehnt partizipative demokratische Prozesse ab. Apokalyptische Katastrophendiskurse dienen als Mittel der Furchterzeugung zur Disziplinierung der Gesellschaft.
  6. Strukturelle Repräsentationsdefizite: Das politische System und die Medienlandschaft leiden unter tiefgreifenden Repräsentationslücken. Ein politisch-medialer Nexus bedient primär die Interessen des Zentrums und lässt große Teile der Bevölkerung unrepräsentiert, was zur Entstehung von Gegenöffentlichkeiten führt.

Als zentraler Ausweg wird die konsequente Auflösung der staatlichen Machtkonzentration und eine Entflechtung von Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien vorgeschlagen, um einen echten Pluralismus und eine funktionierende öffentliche Sphäre wiederherzustellen.

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1. Diagnose: Die gestörte Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft

Den Ausgangspunkt der Analyse bildet der erste Satz aus dem Gründungsaufruf des Neuen Forums vom 10. September 1989: „In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Diese Diagnose, ursprünglich auf die DDR bezogen, wird auf die heutige Bundesrepublik übertragen und mit empirischen Daten untermauert, die auf eine tiefgreifende Krise der öffentlichen Kommunikation hindeuten.

Symptome der Krise:

  • Auswanderung: Die Zahl der deutschen Auswanderer hat sich seit 2016 auf einem hohen Niveau von jährlich fast 300.000 Menschen stabilisiert. Zwischen 2016 und 2023 haben über zwei Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen.
  • Abwendung vom Journalismus: Eine wachsende Zahl von Bürgern verweigert die Zahlung des Rundfunkbeitrags (2022: ca. 7 % der Haushalte). Gleichzeitig nimmt die Nachrichtenverweigerung zu. Eine Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 38,5 % der Schweizer die Nachrichtenmedien meiden, fast doppelt so viele wie 2009.
  • Eingeschränkte Meinungsfreiheit (gefühlte): Laut einer Allensbach-Langzeitstudie hatten 2023 nur noch 40 % der Deutschen über 16 das Gefühl, ihre „politische Meinung frei sagen“ zu können. Bis in die frühen 2000er Jahre lag dieser Wert stabil über 70 %.

Diese Phänomene werden als Symptome einer gestörten öffentlichen Sphäre interpretiert. Demokratie benötigt einen Ort, an dem alle Themen und Perspektiven diskutiert werden können. Dieser Ort, die Öffentlichkeit, funktioniert wie ein Markt für politische Ideen, auf dem sich staatliches Handeln vor der Bürgerschaft bewähren muss. Das Pluralismusmodell, das von einer Vielfalt gleichberechtigter Meinungen und Interessen in der Gesellschaft ausgeht, ist die normative Grundlage dieser Forderung. Prinzipiell darf keine Gruppe und kein Thema vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen sein.

2. Hauptursachen: Machtkonzentration, Staatskapitalismus und der intellektuelle Überbau

Michael Esfeld identifiziert die Konzentration von Macht in den Händen der Staatsgewalt als zentrale Ursache der Krise. Diese Machtkonzentration lädt zum Missbrauch ein und wird durch spezifische Mechanismen ermöglicht und verstärkt.

Die Rolle des Fiat-Geldes

Das ungedeckte Geldsystem (Fiat-Geld), das nach der Aufhebung der Goldbindung des US-Dollars 1971 entstand, ermöglicht es dem Staat, unbegrenzt Geld zu schöpfen. Dies erlaubt die Finanzierung weitreichender staatlicher Eingriffe, ohne auf die reale Wirtschaftsleistung Rücksicht nehmen zu müssen.

  • Das Corona-Regime: Ohne Fiat-Geld wäre es laut Esfeld nicht möglich gewesen, durch Panikmache Menschen zur Einstellung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten zu zwingen und die ökonomischen Folgen der Lockdowns durch massive Geldzahlungen zu verschleiern.
  • Das Klima-Regime: Ebenso ermöglicht Fiat-Geld die Subventionierung politisch gewollter, aber ineffizienter Energieträger und die Ausschaltung der Preisbildung am Markt.

Mit dem Fiat-Geld schafft der Staat per Dekret (per fiat) Realität, statt nur die Rahmenbedingungen für einen offenen Austausch bereitzustellen. Dies pervertiert die offene Gesellschaft.

Staatskapitalismus (Crony Capitalism)

Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft schaffen für Unternehmen den Anreiz, auf politische Entscheidungsträger einzuwirken, um Subventionen und andere Vorteile zu erhalten. Dies führt zu einer Perversion des Marktes:

  • Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Risiken: Die Produktionsmittel bleiben in privater Hand, aber die unternehmerischen Risiken werden auf den Staat und damit auf die Bürger abgewälzt („too big to fail“).
  • Beispiel Pharmaindustrie: Im Corona-Regime wurde dies auf die Spitze getrieben. Die Hersteller von Impfstoffen erhielten Abnahmegarantien unter Einsatz staatlicher Zwangsgewalt, wurden von der Produkthaftung befreit und erzielten garantierte Profite ohne Risiko. Die Verträge blieben geheim, obwohl die Bürger die Kosten tragen.

Der intellektuelle Überbau

Parallel zur ökonomischen Entwicklung gibt es einen intellektuellen Überbau, der die staatliche Macht legitimiert.

  • Marsch durch die Institutionen: Wenn der Staat Medien, Bildung, Wissenschaft und Kultur finanziert, wird es für ideologisch homogene Gruppen attraktiv, diese Institutionen zu dominieren, um der Gesellschaft ihre Vorstellungen aufzuzwingen.
  • Narrative zur Machtlegitimation: Der Staatsapparat ist seinerseits auf Intellektuelle und Künstler angewiesen, die Narrative liefern, welche die Machtkonzentration und deren Ausweitung rechtfertigen. Nach dem Ende des antikommunistischen Narrativs nach 1989 trat eine Abfolge postmoderner Narrative (Corona, Klima, „Wokeness“) an dessen Stelle, die durch die Konstruktion allgemeiner Gefahren die Gesellschaft in Angst halten und so den Ausbau des staatlichen Machtapparates ermöglichen.

3. Die Inversion demokratischer Normen: Ein neuer Diskurs für Zensur

Die Beiträge von Hannah Broecker und Sandra Kostner analysieren, wie zentrale demokratische Begriffe und Normen gezielt umgedeutet und in ihr Gegenteil verkehrt werden, um Zensur und Kontrolle zu rechtfertigen. Dieser „illiberale“ Diskurs findet sich bei politischen Aktivisten, Politikern, NGOs und in großen Medienhäusern.

Die Versicherheitlichung der Meinungsäußerung

Die freie Meinungsäußerung wird nicht mehr als Grundrecht, sondern als Sicherheitsrisiko gerahmt. Begriffe wie Fake News, Misinformation und Desinformation werden genutzt, um abweichende Perspektiven zu delegitimieren. Das Konzept der Malinformation geht noch weiter und erklärt selbst wahre Informationen für gefährlich, wenn sie zu „falschen“ Schlüssen führen könnten. Dieser Diskurs wird durch Gesetze wie den Digital Services Act (DSA) der EU institutionalisiert, der Online-Plattformen weitreichende und arbiträr nutzbare Zensurpflichten auferlegt.

Die Umdeutung der Bürgerrolle: Vom Souverän zum Schutzbefohlenen

Der Bürger wird im Zensurdiskurs als unmündig, unfähig und schutzbedürftig dargestellt.

  • Warnung vor eigener Recherche: Es wird explizit davor gewarnt, selbst zu recherchieren („doing your own research“), da dem Bürger die Fähigkeit fehle, Informationen korrekt zu bewerten.
  • Staatlich-mediales Informationsmonopol: Als Konsequenz wird ein Monopol von Staat, etablierten Medien und ausgewählten Wissenschaftlern als „Hüter der Wahrheit“ legitimiert. Der professionelle Journalismus wird als „Torwächter“ (Gatekeeper) stilisiert, dessen Verlust eine Gefahr für die Demokratie darstelle.
  • Infantilisierung: Der Bürger wird zu einer „unfähigen, unselbstständigen Lebensform“ degradiert, die nicht mehr kontrollierende Instanz ist, sondern von Staat und Medien mit den „richtigen“ Informationen versorgt werden muss.

Die Umdeutung von Meinungsfreiheit und Demokratie

  • Meinungsfreiheit: Sie wird nicht mehr als universelles Prinzip des Schutzes aller Äußerungen verstanden, sondern selektiv auf den Schutz „richtiger“, oft als „wissenschaftlich“ deklarierter, Inhalte angewandt. Der Schutz vor Meinungen (z. B. vor „Hate Speech“) wird wichtiger als der Schutz von Meinungen.
  • Demokratie: Kritik an der Funktionsweise demokratischer Institutionen wird als staatsgefährdende „Delegitimierung“ diffamiert. Argumentiert wird, dass Kritik das Vertrauen in den Staat untergrabe und von ausländischen Diktaturen gefördert werde. Pluralität und Meinungsstreit, die Wesensmerkmale der Demokratie, werden als gefährliche „Spaltung“ und „Polarisierung“ umgedeutet. Demokratie wird so von einem Set von Prinzipien zu einem Set von Inhalten, die geschützt werden müssen.

4. Propaganda und Informationskriegsführung im Digitalen Zeitalter

Die Analysen von Jonas Tögel, Piers Robinson und Patrik Baab zeigen, wie moderne Propaganda funktioniert und welche Rolle sie in der aktuellen Krise spielt.

Kognitive Kriegsführung (Cognitive Warfare)

Jonas Tögel beschreibt das NATO-Konzept der „Kognitiven Kriegsführung“ als die modernste Form der psychologischen Manipulation.

  • Das menschliche Gehirn als Schlachtfeld: Cognitive Warfare zielt darauf ab, die Kognition des Gegners so zu beeinflussen, dass dessen Handeln den eigenen strategischen Zielen dient. Es ist ein permanenter Krieg um die „Herzen und Köpfe“, der auch in Friedenszeiten geführt wird.
  • Bewährte Techniken: Dabei kommen altbewährte Propagandatechniken zum Einsatz, die bereits im Ersten Weltkrieg von der Creel-Kommission perfektioniert wurden:
    • Gräuelpropaganda: Emotionale Berichte über (vermeintliche) Grausamkeiten des Gegners.
    • Dämonisierung und Entmenschlichung: Der Gegner wird als „Bestie“ oder „Monster“ dargestellt, dem die alleinige Kriegsschuld zugewiesen wird.
    • Herstellung von Zustimmung: Diese Techniken dienen der emotionalen Mobilisierung der eigenen Bevölkerung für politische Ziele, z.B. einen Kriegseintritt.

Outsourcing der Propaganda

Piers Robinson analysiert am Beispiel des Syrienkrieges, wie westliche Regierungen Propagandaaktivitäten an scheinbar unabhängige Dritte auslagern (Outsourcing).

  • Glaubwürdigkeit und Abstreitbarkeit: Durch das Outsourcing an NGOs, Beratungsfirmen oder Medienprojekte erscheinen die verbreiteten Narrative glaubwürdiger, und die Regierungen können ihre direkte Beteiligung an der Manipulation abstreiten.
  • Beispiele aus dem Syrien-Konflikt:
    • ARK (Analysis, Research, Knowledge): Eine von einem ehem. britischen Diplomaten gegründete Firma, die Oppositions-Narrative förderte.
    • White Helmets (Weißhelme): Eine Organisation, die ebenfalls von ARK-Mitarbeitern gegründet wurde und eine westlichen Interessen entsprechende, partielle Sicht des Krieges vermittelte.
    • Bellingcat: Ein Recherchekollektiv mit Verbindungen zu westlichen Geheimdiensten und dem NATO-nahen Atlantic Council, das offizielle westliche Narrative über angebliche Chemiewaffenangriffe untermauerte.
  • Konflikt der Interessen: Diese Akteure, finanziert von kriegsführenden Parteien, werden als neutrale Quellen dargestellt, was zu einer systematischen Verzerrung des Informationsraumes führt und die Aufklärung erschwert.

Medienkampagnen als Geschäfts- und Herrschaftsmodell

Patrik Baabs Erfahrungsbericht über eine Denunziationskampagne gegen ihn nach einer Recherchereise in den Donbass illustriert die Mechanismen und Treiber auf individueller Ebene.

  • Ökonomie des Ressentiments: Im Digitalen Kapitalismus ist die Erzeugung von Hass und Empörung ein Geschäftsmodell. Skandalisierung generiert Klicks und Werbeeinnahmen.
  • Narzissmus und Opportunismus im Journalismus: Prekäre Arbeitsverhältnisse (freie Mitarbeit) und eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur fördern einen Journalismus, der auf Selbstinszenierung und Anpassung an die herrschende Meinung setzt, statt auf aufwändige Recherche. Journalisten werden zu „Drohnenpiloten“, die Zielpersonen aus der Ferne zum „Abschuss“ freigeben.
  • Politisches Framing: Die Kampagnen dienen politischen Zielen, indem sie Dissidenten isolieren, Debattenräume verengen und die Deutungshoheit sichern. Ideologische Apparate (Medien, Universitäten, staatliche Stellen) wirken dabei in einem „Pingpongspiel“ zusammen.

5. Ideologische Grundlagen: Expertokratie und Apokalyptischer Diskurs

Die Beiträge von Dennis Kaltwasser und Hans-Martin Schönherr-Mann beleuchten die tieferen ideologischen und historischen Wurzeln der gegenwärtigen Krise.

Rationalistisches Gesellschaftsmanagement als historische Konstante

Kaltwasser zeichnet eine Denktradition nach, die von Platons „Politeia“ über Aufklärer wie Thomas Hobbes bis hin zu modernen Technokraten und sozialistischen Vordenkern wie Auguste Comte und Henri de Saint-Simon reicht.

  • Die elitäre Anmaßung: Diese Denkschule geht von einer intellektuellen und moralischen Überlegenheit einer Elite aus, die berufen sei, die Gesellschaft zu managen. Das Volk wird als passive, irrationale Masse betrachtet, die von politischen Entscheidungen ausgeschlossen werden muss.
  • Der totalitäre Kern: Im Zentrum steht die Idee einer wissenschaftlich geplanten, effizienten Gesellschaftsordnung. Das Individuum wird zum Material, zur Verfügungsmasse degradiert. Freiheit und Selbstbestimmung werden den Zielen der „optimal funktionierenden“ Gesellschaft untergeordnet.
  • Utilitarismus als Legitimation: Die utilitaristische Moralphilosophie (Bentham), die das „größte Glück der größten Zahl“ anstrebt, liefert die moralische Rechtfertigung für die Unterordnung individueller Rechte unter ein abstraktes Gemeinwohl, das von der Elite definiert wird.

Apokalypse und die Politik der Furcht

Schönherr-Mann analysiert, wie moderne Katastrophendiskurse religiöse und apokalyptische Muster wiederholen, um politische Ziele durchzusetzen.

  • Erziehung durch Erschrecken: Krisen- und Katastrophen-Narrative (Klima, Pandemien) nutzen Worst-Case-Szenarien, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Dies folgt dem Prinzip der „Erziehung durch Erschrecken und Furchterzeugen“, das bereits in der Apokalypse des Johannes angelegt ist.
  • Machiavellismus: Diese apokalyptische Pädagogik ist die moderne Form des von Machiavelli empfohlenen Herrschaftsprinzips, die Furcht der Bürger als Steuerungsinstrument zu nutzen.
  • Das Sicherheitsdispositiv: Der moderne Staat legitimiert seine Macht durch das Versprechen, für die Sicherheit seiner Bevölkerung zu sorgen (Hobbes). Im Dienst der Sicherheit des „nackten Lebens“ (Agamben) wird jede Einschränkung von Grundrechten erlaubt. Die Medizin wird dabei zu einer normativen Instanz, die über die „richtige“ Lebensführung bestimmt.

6. Strukturelle Defizite: Repräsentationskrise und „Extremismus der Mitte“

Die Krise wird durch strukturelle Probleme im politischen und medialen System verschärft, die von Lukas Friedrich, Helge Buttkereit und Matthias Fechner analysiert werden.

Die Repräsentationsinsel

Lukas Friedrich kritisiert die Metapher der „Repräsentationslücke“ als unzureichend und schlägt stattdessen das Bild der Repräsentationsinsel vor.

  • Der politisch-mediale Nexus: Im Zentrum des Systems befindet sich ein politisch-medialer Nexus, der das Zentrum der Repräsentation bildet. Große Teile der Bevölkerung befinden sich metaphorisch im Wasser um diese Insel herum, ihr Grad der Nicht-Repräsentation entspricht der Wassertiefe.
  • Systemimmanente Krise: Repräsentative Systeme produzieren endogen Repräsentationskrisen. Ursachen sind u.a.:
    • Indexing-These: Leitmedien orientieren sich am Meinungsspektrum in Parlament und Regierung, nicht an dem in der Bevölkerung.
    • Parteienkonvergenz: Die großen Parteien rücken programmatisch zur Mitte zusammen und bieten kaum noch Alternativen.
    • Sperrklauseln und Koalitionszwänge: Das Wahlsystem (z.B. Fünfprozenthürde) verzerrt den Wählerwillen und führt dazu, dass große Teile der Wählerschaft nicht im Parlament abgebildet sind.

Gegenöffentlichkeit und ihre Grenzen

Helge Buttkereit untersucht die Rolle und die Probleme der als Reaktion auf die Repräsentationskrise entstehenden Gegenöffentlichkeit.

  • Notwendigkeit und Funktion: Gegenöffentlichkeiten entstehen aus der Opposition zum Staat und seiner herrschenden Öffentlichkeit. Sie geben den Stimmen einen Raum, die im Mainstream unterdrückt werden.
  • Grenzen und Probleme:
    • Reaktive Themensetzung: Oft spiegeln sie nur die Themen des Mainstreams und beziehen eine reine Gegenposition, statt eigene Agenden zu setzen.
    • Strukturelle Defizite: Es fehlt oft an Ressourcen, Selbstkritik und transparenten, demokratischen internen Strukturen. Oft dominieren einzelne Personen die Projekte.
    • Kommerzielle Vereinnahmung: Professionelle Medienangebote wie Nius oder The Pioneer nutzen die Narrative und Zielgruppen der Gegenöffentlichkeit, um ein Geschäftsmodell daraus zu machen, sind aber selbst Teil des Elitensystems (z.B. durch Partner wie Axel Springer).

Der Extremismus der Mitte

Matthias Fechner beschreibt das Phänomen, dass politisch bislang unauffällige Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte in Krisenzeiten extreme Positionen einnehmen.

  • Merkmale: Missachtung von Grundrechten, Lob auf das Kollektiv, Ausgrenzung von Minderheiten (z.B. Ungeimpfte während der Corona-Krise).
  • Ursachen: Fechner verortet die Ursache in einem "Bermudadreieck aus Programmatik, Projektion und Praxis". Die Widersprüchlichkeit zwischen dem Programm einer Partei, der medial erzeugten Projektion und der tatsächlichen politischen Praxis führt zu einem Verlust der politischen Orientierung. In dieser Verwirrung können sich extreme Haltungen aus der Mitte heraus Bahn brechen, die oft durch die Leitmedien noch verstärkt werden.

7. Auswege und Lösungsansätze

Obwohl der Sammelband primär analytisch ausgerichtet ist, werden auch verschiedene Lösungsansätze skizziert.

AutorVorgeschlagener LösungsansatzKernpunkte
Michael EsfeldAuflösung der Machtkonzentration- Entflechtung: Strikte Trennung des staatlichen Zwangsapparats von Wirtschaftsleben, Geistesleben (Bildung, Wissenschaft, Kunst) und Rechtsleben.<br>- Abschaffung der Staatsfinanzierung: Wissenschaft, Medien und Kultur sollen sich durch freiwillige Beiträge finanzieren, nicht durch Zwangsabgaben.<br>- Haftungsprinzip: Unternehmen müssen für ihre Produkte haften, was ein Eigeninteresse an wahrheitsorientierter Forschung schafft.
Helge ButtkereitModell einer selbstorganisierten Öffentlichkeit- Gemeinschaftsbesitz: Medien (Verlage, Sender) sollen in den Besitz der Gemeinschaft überführt werden, um sie dem Zugriff von Politik und renditeorientierten Eigentümern zu entziehen.<br>- Transparenz: Offenlegung von Strukturen, Finanzen und redaktionellen Prozessen.<br>- Organisierende Funktion: Medien sollen nicht nur Produkte erstellen, sondern organisierende Funktionen für die Gemeinschaft übernehmen und aus Lesern Mitwirkende machen.
Patrik BaabGegenstrategien- Strategie gegen die Angst: Dem grundlegenden Mechanismus der Herrschaftsstabilisierung muss begegnet werden.<br>- Revitalisierung von Solidarität: Der neoliberalen Individualisierung muss ein gelebtes Solidaritätsprinzip entgegengesetzt werden.<br>- Schaffung von Gegenöffentlichkeit: Etablierung eigener, demokratisch geführter Kommunikationsräume, die die Profitlogik überwinden.

Erstellt: 20.08.2024 - 08:20  |  Geändert: 18.10.2025 - 12:26