Weil ich den Menschen spüre, den ich suche
Zenzl und Erich Mühsam

„Glück und Frieden aufzurichten“ – darin sahen der Schriftsteller und Anarchist Erich Mühsam und seine Frau Zenzl ein Ziel, für das es sich einzutreten lohnte. Die Polizei verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, weil er sich offen zum Anarchismus bekennt - den Dichter und Schriftsteller Erich Mühsam, den die Nazis im Juli 1934 KZ-Oranienburg ermordeten. Zum 90. Jahrestag seines Todes hat der Bremer Donat Verlag eine von Rita Steininger verfasste Biographie publiziert, die sein Lebenswerk würdigt, zugleich aber das mutige und selbstbewusste Wirken seiner Ehefrau Zenzl vor Augen führt.
Im Ersten Weltkrieg, als ihre Ehe begann, standen sie mit ihrer antimilitaristischen Haltung auf einsamem Posten. 1918 beteiligten sie sich an der gewaltlosen Revolution in Bayern und erlebten 1919 die blutige Niederschlagung der Räterepublik. Die Festungshaft für Erich trennte sie für mehr als fünf Jahre voneinander. Dem aufkommenden Nationalsozialismus stemmten sie sich mit aller Kraft entgegen. Die vorliegende Biographie – die erste, die sich dem Ehepaar Mühsam gemeinsam widmet – greift neben bereits erschlossenen Quellen auf zahlreiche bisher unveröffentlichte Archivfunde zurück, die neue Facetten der Persönlichkeiten des unbeugsamen Dichters und seiner nicht weniger mutigen und starken Frau zutage treten lassen.
Schon vor 1914 setzt sich Mühsam, Apothekersohn aus Lübeck, für ein von Militarismus und Nationalismus, sozialen Ungerechtigkeiten und staatlichen Bevormundungen befreites Deutschland ein. An der Seite Kurt Eisners protestiert er 1918 gegen den Krieg und die Rüstungsindustrie und unterliegt fortan polizeilicher Überwachung. In der Novemberrevolution proklamiert er "Bayern zur Republik, geleitet von seinen Arbeiter- und Soldatenräten", stürzt sich in die Kämpfe um die Zukunft des Freistaates, wofür ihn ein Münchner Standgericht im Juli1919 zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt.
Zenzl tut alles, um seine Lage zu verbessern. Ebenso bemüht sie sich, anderen politischen Gefangenen zu helfen. Oft vergeblich, trägt sie dazu bei, Erichs Widerstand wachzuhalten. Mühsam arbeitet in seiner Zelle auf Hochtouren, schreibt Gedichte, Dramen, Berichte über die Münchner Revolutionsereignisse, führt Tagebuch. Im Zuge einer Amnestie kommt er Weihnachten 1924 frei. Sofort setzt er sich für die Opfer der Klassenjustiz ein, engagiert sich in der Gefangenenhilfsorganisation "Rote Hilfe" (Austritt 1929 wegen deren Nähe zur KPD) und gibt die anarchistische Monatszeitschrift "Fanal" heraus, in der er seine Ideen propagiert und die politischen Ereignisse kommentiert.
"Sein Herz", schreibt Mühsams Freund und Weggefährte Rudolf Rocker, "empörte sich gegen jeden wie immer gearteten Zwang; seine Dichterträume gaben seinem Freiheitsgefühl eine besondere Note ... Mit einer geradezu schwärmerischen Begeisterung glaubte er an das angeborene Gute und Erhabene."
Mit großer Sorge verfolgen Erich und Zenzl die Entwicklung der Weimarer Republik nach rechts. Seit 1928 unterstützt er die antimilitaristisch-anarchosyndikalistische Freien Arbeiter-Union. Seine Kritik Anfang Juni 1931 an den Brüningschen "Notverordnungen", von ihm als "Dokument der Gewissenlosigkeit und Ruchlosigkeit" bezeichnet, führt zum Verbot des "Fanal" bis zum 1. November. Vehement tritt er für ein Ende des "Bruderzwistes" der Arbeiterparteien ein, der den erstarkenden Nationalsozialismus in die Hände arbeite. Wegen seiner Gedichte und seines Kampfes gegen den drohenden Faschismus ist Mühsam den Nazis seit langem ein Dorn im Auge; sie verleumden ihn als "Geiselmörder", und Goebbels geifert: "Dieses rote Judenaas muss krepieren!" Alfred Kantorowicz hingegen würdigt Mühsam als "den unbändigen Rebell mit dem gütigsten Herzen".
Ende Februar 1933 in "Schutzhaft" genommen, folgen Aufenthalte unter unmenschlichen Bedingungen und Qualen in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Am 14. Juli 1934 wird Erich Mühsam von SS-Leuten im KZ Oranienburg brutal ermordet.
Zenzl gelingt es, einen großen Teil seines Nachlasses zu retten. Doch ihr weiterer Weg gleicht mehr einer Odyssee. Die Flucht in die UdSSR führt zu nahezu zwanzig Jahren in sowjetischen Gefängnissen, Arbeitslagern und in der Verbannung. Erst Ende Juni 1955 trifft sie im Alter von fast 71 Jahren in Ost-Berlin ein. Die DDR-Regierung ehrt sie mit Medaillen und gibt ihr eine sorgenfreie Rente. Mit dem Anarchisten Mühsam vermag sie sich jedoch nicht vollends anzufreunden. Entgegen ihrer steten Weigerung, die Rechte des Werkes ihres Mannes auf die Akademie der Künste zu übertragen, geschieht dies eine Woche vor ihrem Tod am 10. März 1962 unter ungeklärten Umständen.
Das Buch zeichnet auch beider Engagement für eine bessere Welt sowie die Stationen einer ungewöhnlich starken Liebe nach, die ihn veranlasste auszurufen: "Welche Perle von Frau habe ich!"
»Alle Macht den Räten!« »Unbändiger Rebell mit dem gütigsten Herzen«. - Zum 90. Todestag des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam: (...) Hoch die Revolution Am 7. November 1918 nehmen Zenzl und Erich auf der Theresienwiese an der Friedenskundgebung von etwa 60.000 Menschen teil. Sie schließen sich einem Arbeiterzug an, der die Türkenkaserne in der Maxvorstadt ansteuert. Erich stürmt mit geschwungenem Regenschirm auf die Tore zu, feuert die versammelte Menge an und fordert die Leute in der Kaserne auf, sich auf die Seite der Revolutionäre zu schlagen. (...) Von Helmut Donat junge Welt 10.07.2024
Die Autorin:
Rita Steininger (M.A.), geb. 1958, studierte Ethnonlogie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolvierte studienbegleitend eine Jornalistenausbildung. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Söhne. Sie arbeitet als freie Lektorin und Autorin, leitet Schreibseminare und bietet (vorwiegend literarische) Stadtführungen in München an. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Schriftstellern der Schwabinger Boheme. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Gustav Landauer – ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit“ (2020).
„Was ist Liebe? Liebe ist, wenn man – ach was! Liebe ist Liebe." Erich Mühsam
„Mein Gefängnis:
Auf dem Meer tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik.
Aus dem blauen Himmel zittert
Sehnsucht, die die Herzen stillt.
Meine Luke ist vergittert
und ihr dickes Glas gerillt.
Liebe tupft mit bleichen, leisen
Fingern an mein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal.
Tausend Rätsel, tausend Fragen
machen manchen Menschen dumm.
Ich hab eine nur zu tragen:
Warum sitz ich hier? Warum?
Hinterm Auge wohnt die Träne,
und sie weint zu ihrer Zeit.
Eingesperrt sind meine Pläne
namens der Gerechtigkeit.
Erich Mühsam
Quelle und mehr Gedichte → aphorismen.de
Weitere Gedichte von Erich Mühsam auf → gedichte7.de
Erstellt: 19.07.2024 - 06:56 | Geändert: 19.07.2024 - 07:31