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Roger Waters' "This Is Not A Drill": Analyse der Texte und Botschaften

Einleitung: Mehr als nur Musik

Dieser Text dient als Wegweiser durch die dichten und oft konfrontativen Botschaften von Roger Waters' Konzert "This Is Not A Drill". Ziel ist es, die komplexen politischen, sozialen und persönlichen Themen, die Waters in seinen Songs und Ansagen verwebt, für ein Publikum zugänglich zu machen, das bereit ist, sich auf mehr als nur musikalische Nostalgie einzulassen.

Roger Waters - This Is Not A Drill — Live From Prague
Prag (Tschechien), 24.05.2023 | Space Cadet (25.11.2025)

Waters' Eröffnungsansage ist nicht nur eine Warnung, sondern eine erste Provokation, die das Publikum aus seiner Komfortzone reissen soll.

if you're one of those 'I love Pink Floyd but I can't stand Roger's politics' people, you might do well to fuck off to the bar right now.

Diese direkte Aufforderung signalisiert, dass die Politik hier kein Nebenschauplatz, sondern die Hauptbühne ist. Waters verlangt eine aktive Auseinandersetzung mit den unbequemen Wahrheiten, die er präsentiert. Passenderweise folgt darauf unmittelbar die musikalische Diagnose des Zustands, den er bekämpfen will: Das Konzert beginnt, indem es die Krankheit benennt – eine gesellschaftliche Betäubung –, bevor es sie aggressiv konfrontiert.

Infografik Roger Waters Kernbotschaften

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1. Akt: Die Diagnose der Krankheit – Betäubung und Kontrolle

Der erste Akt des Konzerts fungiert als eine unmissverständliche Diagnose des gesellschaftlichen Zustands: eine durch Konformitätsdruck und Autorität betäubte Passivität. Waters legt hier das Fundament seines Arguments, indem er die Mechanismen der Unterdrückung und Gedankenkontrolle seziert, gegen die er den Rest des Abends ankämpfen wird.

1.1. "Comfortably Numb" & "Another Brick in the Wall"

Der Abend beginnt ironischerweise mit "Comfortably Numb". In dieser düsteren Neuinterpretation wird der Song umgedeutet von einem Lied über persönliche Entfremdung zu einer Metapher für den Zustand einer sedierten Gesellschaft, die die Schreie nach Veränderung nicht mehr hört. Waters' Absicht ist es, genau diese "angenehme Taubheit" zu durchbrechen.

Direkt im Anschluss folgt mit "Another Brick in the Wall" eine der berühmtesten Hymnen des Widerstands. Die Kernbotschaften des Textes sind eine radikale Anklage gegen autoritäre Strukturen:

  • "We don't need no education": Dies ist keine pauschale Ablehnung von Bildung, sondern eine Kritik an einem starren System, das Konformität und Gehorsam über kritisches, unabhängiges Denken stellt.
  • "We don't need no thought control / No dark sarcasm in the classroom": Hier prangert Waters die psychologische Gewalt durch Lehrerfiguren an, die Individualität unterdrücken und durch Demütigung die Kreativität brechen.
  • "All in all it's just another brick in the wall": Die zentrale Metapher des Werks. Jeder Akt der Unterdrückung ist ein "Ziegelstein" (Brick), der eine "Mauer" (Wall) der sozialen und persönlichen Isolation errichtet.

1.2. "The Powers That Be"

Dieser Song ist eine direkte und unverblümte Kritik an den herrschenden Mächten – "The Powers That Be". Waters beschreibt ihre Methoden zur Aufrechterhaltung von Kontrolle und Dominanz.

Methode der MachtZitat / Beschreibung aus dem Text
Gewalt und Drohung"They like death glory"
Manipulation"They like treats tricks carrots and sticks"
Täuschung"They like sheep's clothing"
Angst"They like fear clothing"

Der Song gipfelt jedoch nicht in Resignation, sondern in dem zentralen Appell des gesamten Konzerts: 'you better stand yeah stand up to the man'. Von dieser Diagnose der gesellschaftlichen Krankheit leitet Waters nun über zu ihrem tödlichsten Symptom.

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2. Akt: Das tödlichste Symptom – Der entmenschlichte Krieg

Nachdem die grundlegenden Machtstrukturen analysiert wurden, konzentriert sich der zweite Akt auf deren brutalste Ausprägung: die moderne, entmenschlichte Kriegsführung. Waters, dessen Werk zeitlebens von einer tiefen Antikriegshaltung geprägt ist, kritisiert hier die moralische Leere eines Systems, das Töten zur unpersönlichen Routine macht.

2.1. "The Bravery of Being Out of Range"

Das zentrale Thema des Liedes ist die Kritik an Politikern und Militärs, die Kriege aus sicherer Entfernung führen, ohne die Konsequenzen direkt zu spüren. Waters zeichnet das Psychogramm eines Staatsoberhauptes, für den Gewalt zur beiläufigen Freizeitbeschäftigung verkommt, wie seine Zeilen 'You have a natural tendency to squeeze off shot' und 'you're at home on a range' andeuten.

Die Aktualität des Songs wird in der Anklage der modernen Drohnenkriegsführung deutlich, die das Töten als eine Art Videospiel entlarvt:

Just love those lazy guided bombs / They're really great for riding rocks / You hit the target and win the game / From bars 3,000 miles away

Die zusammenfassende Anklage des Songs ist die Zeile 'still fucking insane with the bravery being out of range'. Die "Tapferkeit" der Mächtigen ist für Waters nichts als feiger Wahnsinn.

2.2. Die Kontroverse: Anne Frank und Shireen Abu Akleh

In einer direkten Ansage verteidigt Waters einen der kontroversesten Momente der Show – die Nebeneinanderstellung von Anne Frank und der getöteten palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh.

the writer objects to the juxtiposition of the names Anne Frank and Shireen Abu Aklay... I stand by the inclusion... they are both my sisters they were both murdered by the state and like all victims of state violence they must be remembered.

Waters' Absicht ist hier nicht, die historischen Kontexte gleichzusetzen, sondern den Begriff "staatliche Gewalt" zu universalisieren. Indem er ein unantastbares Symbol des Opfertums wie Anne Frank neben eine moderne, umstrittene Figur stellt, zwingt er das Publikum, seine Definition von Unrecht zu hinterfragen und die Parallelen in den Mechanismen der Entmenschlichung zu erkennen, ungeachtet des spezifischen Akteurs.

Von diesen lauten Anklagen führt Waters das Publikum an einen intimeren, metaphorischen Ort, der als Gegenmittel dienen soll: die Bar.

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3. Akt: Das Heilmittel – Solidarität in "The Bar"

Nach der Diagnose der Krankheit und der Analyse ihrer Symptome stellt Waters im Herzen der Show eine mögliche Heilung vor. Das neue Stück "The Bar" ist kein realer Ort, sondern ein konzeptioneller Zufluchtsort für Ideen, Empathie und Solidarität.

Waters selbst erklärt die Metapher als einen symbolischen Raum,

where you can talk to your friends or even you can talk to strangers you can exchange ideas.

In dieser Bar treffen zwei symbolische Figuren aufeinander, die die an den Rand Gedrängten der Gesellschaft repräsentieren:

  • Die erste Frau: Eine obdachlose, ältere Schwarze Frau in New York City.
  • Die zweite Frau: Eine junge amerikanische Ureinwohnerin (Lakota Sioux) aus Standing Rock, North Dakota.

Die Begegnung dieser beiden Frauen steht für die Solidarität zwischen unterdrückten Gruppen. Es geht darum, denen eine Stimme zu geben, die oft übersehen werden. Die politische Botschaft der Lakota-Frau ist eine unmissverständliche Anklage an die Kolonialmächte: 'would you kindly get the fuck off our land'. Der Song kritisiert zudem die falschen Versprechungen des Kapitalismus, wie die Zeile 'we traded in the family farm for snake oil / bought into the corporate beggars lies' verdeutlicht. Nachdem Waters seine Vision einer solidarischen Gemeinschaft vorgestellt hat, wendet er sich den psychologischen Kosten zu, die die diagnostizierte Krankheit für Individuum und Gesellschaft mit sich bringt.

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4. Akt: Die psychologischen Kosten – Verlust, Gier und Wahnsinn

Dieser Abschnitt vereint einige der berühmtesten Songs von Pink Floyd und Waters. Im Kontext der Show dienen sie dazu, die inneren Zerstörungen zu untersuchen, die aus der gesellschaftlichen Krankheit resultieren: Entfremdung, Gier und der Abstieg in den Wahnsinn.

4.1. Persönlicher Verlust: "Wish You Were Here" & "Shine On You Crazy Diamond"

Obwohl diese Lieder als Hommage an das frühere Mitglied Syd Barrett entstanden, erhalten sie hier eine universelle Bedeutung. Die zentralen Fragen in "Wish You Were Here" – 'so you think you can tell heaven from hell / blue skies from pain' – thematisieren die Schwierigkeit, in einer verwirrenden und korrumpierenden Welt Authentizität und wahre Werte zu finden.

4.2. Gesellschaftskritik: "Money" & "Is This the Life We Really Want?"

"Money" dient als zeitlose, satirische Kritik an Gier und Materialismus, ausgehend von der Annahme: 'Money, so they say, is the root of all evil today'. Waters verbindet dies direkt mit dem neueren Song "Is This the Life We Really Want?". Hier listet er moderne gesellschaftliche Missstände auf und legt die Verantwortung bei uns allen ab:

  • Die Rettung von Banken auf Kosten der Bevölkerung ('every time a taxes go to bailing out a bank')
  • Die Unterdrückung der Pressefreiheit ('every time a journalist is left to rot in jail')
  • Die Gleichgültigkeit der Gesellschaft ('it is because we all stood by silent and indifferent')
  • Die Ablenkung durch die Unterhaltungsindustrie ('or are we all just knocked down on reality TV')

4.3. Der Abstieg: "Brain Damage" & "Eclipse"

Mit "Brain Damage" führt Waters das Publikum an den Rand der geistigen Zerrüttung. Die Zeilen 'The lunatic is on the grass... The lunatic is in my head' verwischen die Grenze zwischen "normal" und "verrückt" und deuten an, dass der Wahnsinn nicht nur im Individuum, sondern in der Gesellschaft selbst liegt. "Eclipse" fasst alle Facetten der menschlichen Erfahrung zusammen ('All that you touch / All that you see...'), nur um festzustellen, dass alles von einer dunklen Seite überschattet werden kann. Dieser Akt mündet in einer düsteren Bestandsaufnahme, die die Bühne für die finale, apokalyptische Warnung des Konzerts bereitet.

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5. Akt: Das Ultimatum – Vernichtung oder Menschlichkeit

Der letzte Teil des Konzerts stellt das Publikum vor eine unmissverständliche Wahl. Angesichts der diagnostizierten Krankheit und ihrer verheerenden Kosten präsentiert Waters das ultimative Szenario: die totale Selbstzerstörung oder eine Rückkehr zur grundlegenden Menschlichkeit.

5.1. Die nukleare Bedrohung: "Two Suns in the Sunset"

Waters leitet den Song mit einer ernsten Warnung ein und erklärt, dass wir in der 'most dangerous time' der Geschichte leben, in der die existenzielle Bedrohung durch Atomwaffen realer ist als je zuvor. Die Bildsprache des Liedes ist erschütternd klar: Die zweite Sonne am Horizont ('Two suns in the sunset / could be the human race's epitaph') ist die Explosion einer Atombombe. Im Angesicht dieser Vernichtung werden alle menschlichen Konflikte bedeutungslos, wie die letzte Zeile verdeutlicht:

ashes and diamonds / foe and friend / we were all equal in the end

5.2. Zurück in der Bar: Ein persönlicher Abschluss

Für den letzten Song kehrt Waters in die metaphorische "Bar" zurück. Es ist ein Moment der Reflexion, den er drei Personen widmet: Bob Dylan als poetische Inspiration, seiner Frau Camila als Symbol für Empathie und seinem verstorbenen Bruder John als Erinnerung an Familie und Verlust.

Der Song endet mit der persönlichsten Offenbarung des Abends, der Erinnerung an seinen Vater, der im Zweiten Weltkrieg starb: 'I was only 5 months old when daddy died'. Dieser frühe, prägende Verlust ist die emotionale Wurzel seiner lebenslangen Antikriegshaltung. Er verleiht dem gesamten politischen Konzert eine zutiefst menschliche und verletzliche Dimension.

Zusammenfassung: Die Botschaft von "This Is Not A Drill"

"This Is Not A Drill" ist mehr als ein Konzert; es ist ein Manifest. Die Kernbotschaft ist ein dringender Weckruf gegen politische Apathie, eine unversöhnliche Anklage gegen Krieg und Ungerechtigkeit sowie ein leidenschaftliches Plädoyer für Empathie und Solidarität.

Am Ende wird deutlich, dass die politische Wut, die "This Is Not A Drill" antreibt, in einem tiefen persönlichen Schmerz wurzelt. Der Tod seines Vaters ist nicht nur eine biographische Fussnote; er ist der Urknall für Waters' lebenslangen Kampf gegen die entmenschlichenden Kriegsmaschinerien. Die letzte Botschaft ist somit, dass hinter jeder politischen Anklage eine menschliche Tragödie steht – eine Wahrheit, die den wiederkehrenden Aufruf des Konzerts mit emotionalem Gewicht unterfüttert: 'Stand up to the man'.

Konzert Verfilmung des Prager Konzerts

01.08.2025 , Englisch

Aufgenommen wurde der Film im Rahmen von Waters' Live-Show in der O2 Arena in Prag am 25. Mai 2023. Die visuell eindrucksvolle Inszenierung entstand unter der Regie seines langjährigen kreativen Partners Sean Evans.

Angekündigt als seine allererste »Farewell Tour«, ist diese Show ein eindrucksvolles Statement gegen die allgegenwärtige Konzern-Dystopie, in der wir alle ums Überleben kämpfen. Sie ist »allen Brüdern und Schwestern weltweit gewidmet, die den existenziellen Kampf um die Seele der Menschheit führen«.

EAN 0198029085792 01.08.2025 30,99 € Portofrei Bestellen (Blu-ray)
EAN 0198029085891 01.08.2025 24,99 € Portofrei Bestellen (DVD)
Autoren

Erstellt: 29.12.2025 - 20:04  |  Geändert: 31.12.2025 - 16:54