Rochowanski, Almut (Autor)

Almut Rochowanski hat sich als Aktivistin für Frauenrechte und Frieden in Ländern der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt und ist derzeit Fellow am Quincy Institute for Responsible Statecraft.

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Mit Panzern gegen den Statusverlust

Die europäischen Eliten fürchten die multipolare Ordnung weit mehr, als es die amerikanischen tun. Denn die USA bleiben Großmacht. Aber welche Rolle spielt die EU dann noch in der Welt?

Wir erleben eine Zeitenwende. Freilich nicht die, die Olaf Scholz unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine 2022 verkündete. Die Zeitenwende, die ich meine, ist ganz von selbst ausgebrochen: Drei Jahre nach Scholz’ Ankündigung konstatierte der US-Außenminister Marco Rubio, dass der unipolare Moment eine Anomalie war und die Welt wieder in eine multipolare Ordnung einschwenkt, in der auch China und Russland Großmächte sind.

Rubios klinisch-kühler Diagnose folgten die Brandreden von Verteidigungsminister Pete Hegseth und Vizepräsident JD Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz, mit denen Europas außenpolitisches Establishment endgültig den Boden unter den Füßen verlor. Es befindet sich seither im Rüstungstaumel, geprägt von schriller Angstmacherei (»unser letzter Sommer im Frieden«), aufgesetzter Zackigkeit sowie einer Kriegsgewinnlerei, von der einem die Ohren schlackern. Erschöpfte Klischees werden bemüht: Die Jugend sei zu verweichlicht für den Krieg, und wer für das Vaterland nicht sterben und töten will, sei gefährlich für die öffentliche Moral.

Was erklärt die Hysterie unter den europäischen Eliten? Woher die plötzliche Bereitschaft, Fiskalregeln auszuhebeln, die Bevölkerung mit noch mehr Austerität zu vergraulen und für deren Unmut auch noch zu schelten, die Demokratie selbst infrage zu stellen? Wozu das Aufwärmen militaristischer Propagandainhalte, denen der Modergeruch des frühen 20. Jahrhunderts anhaftet?  Von Almut Rochowanski Jacobin 10.09.2025