Hrsg. Jochen Johannsen, Bernhard Mittermaier, Hildegard Schäffler und Konstanze Söllner

Praxishandbuch Bibliotheksmanagement
2 Bände

Das Praxishandbuch Bibliotheksmanagement erscheint in zweiter, völlig neubearbeiteter Auflage. Aus Sicht der Bibliothekspraxis bietet es eine aktuelle Standortbestimmung und einen Überblick über alle Aspekte des Managements wissenschaftlicher Bibliotheken in Deutschland. Besonderer Wert wird dabei auf die Darstellung von aktuellen Entwicklungen unter Berücksichtigung des internationalen Kontexts gelegt. Zu ausgewählten Themen wird auch deren wissenschaftspolitische Einordnung behandelt.

ISBN 978-3-11-152567-9 2. Auflage 01.10.2025 69,95 € Portofrei Bestellen (Buch | Softcover) 2., völlig neu überarb. Auflage
ISBN 978-3-11-104634-1 2. Auflage 01.10.2025 Kostenlos Download (PDF) von www.degruyterbrill.com
ISBN 978-3-11-104634-1 2. Auflage 01.10.2025 Kostenlos Download (EPUB) von www.degruyterbrill.com

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Inhaltsverzeichnis

BAND 1
Vorbemerkung V
Thomas Stäcker
Impulsbeitrag „Die forschungsnahe Bibliothek“ 1
1 Rahmenbedingungen und Strukturen
Klaus Gantert
1.1 Aufgaben, Typen und Träger von Bibliotheken: Wandel, Vielfalt und Kooperation 11
Ulrich Meyer-Doerpinghaus und Jochen Johannsen
1.2 Digitale Transformation und Agilität 25
Andreas Brandtner und Hildegard Schäffler
1.3 Bibliotheken in der internationalen Zusammenarbeit: Organisationen, Netzwerke, Kooperationsformen 43
2 Bibliotheksbau und -ausstattung
Dorothea Sommer
2.1 Planungen zum Bibliotheksbau – Überlegungen und Hinweise zu Grundlagenermittlung und Planungsschritten für Bibliotheken 61
Milena Pfafferott
2.2 Bibliothekseinrichtung und technische Ausstattung 83
3 Dienstleistungen und Benutzung von Bibliotheken
Thomas Stöber
3.1 Lernraumentwicklung und Lernraumverwaltung in wissenschaftlichen Bibliotheken 105
Ladina Tschander
3.2 Grundlage für Betriebskonzepte von wissenschaftlichen Makerspaces 123
Anke Quast
3.3 Entwicklungen bei den Basisdienstleistungen (Ausleihe, Scandienste, Logistik) 143
Berthold Gillitzer
3.4 Überregionale Bibliotheksdienstleistungen: Fernleihe und Direktlieferdienste 159
Martin Holtorf und Nathalie Küchler
3.5 Bibliothekarische Auskunft und Informationsdienstleistungen 175
Fabian Franke und Maren Krähling-Pilarek
3.6 Aufgaben und Organisation der Teaching Library 189
Martin Blenkle
3.7 Discovery-Systeme, Indexstrukturen und Metadatenmanagement 211
4 Bestandsaufbau und Akquisition
Susanne Göttker, Sabine Kuniß und Sascha Lauer
4.1 Erwerbungspolitik, Etatplanung und Mittelallokation in wissenschaftlichen Bibliotheken 229
Christoph Janello und Christian Pierer
4.2 Strategien des Bestandsmanagements 247
Bernhard Mittermaier und Ursula Stanek
4.3 Lizenzierung elektronischer Medien 263
Michaela Selbach, Miriam Konze und Irene Barbers
4.4 Electronic-Resource-Management-Systeme (ERMS): Anforderungen und Lösungsansätze für Systeme zur Verwaltung elektronischer Ressourcen 279
Henriette Rösch
4.5 Auswirkungen der OA-Transformation auf die Erwerbungs- und Bestandspolitik von Bibliotheken 291
Roland Bertelmann
Impulsbeitrag „Open Science und die Rolle der Bibliothek“ 305
5 Open Science und Forschungsnahe Dienstleistungen
Heinz Pampel und Bernhard Mittermaier
5.1 Open Access und Zeitschriften 315
Marc Lange und Robert Wiese
5.2 Open Access bei Büchern 333
Markus Putnings
5.3 Infrastruktur rund um Open Access 349
Ursula Arning, Margo Bargheer, Isabella Meinecke, Dagmar Schobert und Regine Tobias
5.4 Open-Access-Repositorien und Universitätsverlage für eine offene Wissenschaft: Vom Server zum Service 363
Gudrun Wirtz
5.5 Fachinformationsdienste für die Wissenschaft 377
Peter Rempis
5.6 OER an Bibliotheken: Eine Annäherung 395
Silvia Daniel und Matthias Razum
5.7 Forschungsdaten und ihr Management 413
Alexander Struck, Oliver Bertuch und Stephan Druskat
5.8 Forschungssoftware 433
Barbara Scheidt und Andreas Meier
5.9 Bibliometrische Dienstleistungen 455

BAND 2
Ulrike Junger und Frank Scholze
Impulsbeitrag „Perspektiven bibliothekarischer Erschließung und Datenpräsentation“ 471
6 Erschließung und Metadaten
Heidrun Wiesenmüller
6.1 Praxis und Standards in der Formalerschließung 483
Michael Franke-Maier
6.2 Inhaltserschließung und Kataloganreicherung 499
Barbara Fischer, Sarah Hartmann, Esther Scheven, Lars G. Svensson und Brigitte Wiechmann
6.3 Normdaten, Linked Data 527
Klaus Ceynowa
Impulsbeitrag „Kontextualisieren, Innovieren, Vermarkten – Bibliothekarisches Sammeln in der digitalen Transformation“ 549
7 Sammlungen und Spezialbestände
Reinhard Laube
7.1 Provenienzen, Sammlungen und die Verantwortung für die kulturelle Überlieferung 567
Claudia Fabian
7.2 Erschließungsmanagement im Bereich kulturelles Erbe 585
Reinhard Altenhöner und Martin Hermann
7.3 Digitalisierung von Kulturgut: Organisationsformen, Akteure, Zugang 605
Reinhard Altenhöner und Martin Hermann
7.4 Digitalisierung von Kulturgut: Werkzeuge und Verfahren 631
Judith Köbler
7.5 Rechtliche Rahmenbedingungen 653
XII Inhaltsverzeichnis
8 Bestandserhaltung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Ressourcen
Thorsten Allscher, Irmhild Ceynowa und Diego Estupiñán Méndez
8.1 Bestandserhaltung 669
Reinhard Altenhöner, Peter Leinen, Svenia Pohlkamp, Sabine Schrimpf und Tobias Steinke
8.2 Langzeitarchivierung digitaler Ressourcen: Strategie, Organisation und Techniken 693
9 Öffentlichkeitsarbeit
Ulrike Ostrzinski und Elke Roesner
9.1 Ziemlich beste Freunde: Strategie und Praxis für erfolgreiche Social-Media-Kommunikation und Medienarbeit 717
Karina Iwe
9.2 Ausstellungs- und Veranstaltungsmanagement 737
Thorsten Meyer
9.3 Zielgruppenorientierte Kommunikation und Bibliotheksdienste 751
10 Bibliotheksrecht
Christoph Wohlstein
10.1 Steuer-, Haushalts- und Vergaberecht 767
Judith Ludwig
10.2 Urheberrecht 785
Eric W. Steinhauer
10.3 Pflichtexemplarrecht 801
Arne Upmeier
10.4 Rechtliche Rahmenbedingungen der Bibliotheksbenutzung 813
Autor:innen 831
Register 843

Kernerkenntnisse aus dem Praxishandbuch Bibliotheksmanagement

Zusammenfassung

Dieses Briefing-Dokument fasst die zentralen Themen und Erkenntnisse aus dem „Praxishandbuch Bibliotheksmanagement“ zusammen. Es beleuchtet die tiefgreifende Transformation von Bibliotheken, die sich von traditionellen sammlungsorientierten Institutionen zu multifunktionalen, serviceorientierten Zentren für Information, Bildung und Begegnung entwickeln.

Die digitale Transformation ist der treibende Faktor dieses Wandels und durchdringt sämtliche Aspekte des Bibliotheksmanagements. Dies manifestiert sich in der radikalen Umschichtung der Erwerbungsetats von gedruckten zu elektronischen Medien, der Etablierung von „E-First“-Strategien und der zunehmenden Bedeutung von Bibliotheken als physische Lern- und Arbeitsorte („Dritter Ort“). Gleichzeitig stellt die Anpassung an eine von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA) geprägte Welt hohe Anforderungen an die Agilität von Organisationsstrukturen und Personal.

Das Aufgabenspektrum von Bibliotheken erweitert sich kontinuierlich. Neben Kerndienstleistungen wie Ausleihe und Informationsvermittlung, die selbst durch Automatisierung (z. B. RFID, Selbstverbuchung) und Digitalisierung (z. B. Chatbots) transformiert werden, treten neue, forschungsnahe Dienstleistungen in den Vordergrund. Open Science, insbesondere Open Access, Forschungsdatenmanagement (FDM) und die Kuratierung von Forschungssoftware, positioniert Bibliotheken als zentrale Partner im gesamten wissenschaftlichen Prozess. Diese Entwicklung verändert die Erwerbungslogik fundamental: Budgets werden nicht mehr nur für den Zugang zu Inhalten, sondern zunehmend auch für die Finanzierung von Publikationen eingesetzt.

Die Bewahrung und Vermittlung des kulturellen Erbes bleibt eine Kernaufgabe, die im digitalen Zeitalter durch massive Digitalisierungsanstrengungen und die Herausforderungen der digitalen Langzeitarchivierung (LZA) neu definiert wird. Die Erschließung entwickelt sich von traditionellen Regelwerken hin zu vernetzten Datenmodellen (Linked Open Data) unter Nutzung von Normdaten wie der Gemeinsamen Normdatei (GND), um die Sichtbarkeit und Interoperabilität von Sammlungen zu maximieren.

Schließlich operieren Bibliotheken in einem komplexen Feld aus rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen. Urheberrecht, Pflichtexemplarrecht, Haushalts- und Vergaberecht sowie Datenschutz setzen enge Grenzen und erfordern spezialisiertes Wissen. Die strategische Kommunikation und ein klares Markenprofil werden unerlässlich, um die Relevanz der vielfältigen Angebote gegenüber Zielgruppen und Trägern zu vermitteln und sich im Wettbewerb der Informationsanbieter zu positionieren. Kooperation auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene erweist sich als unabdingbare Strategie, um die technologische, organisatorische und finanzielle Komplexität zu bewältigen.

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1. Die Transformation der Bibliothek: Kernaufgaben im Wandel

Das traditionelle Bild der Bibliothek als reiner Ort der Buchausleihe ist überholt. Moderne Bibliotheken sind dynamische Servicezentren, die sich durch eine Neudefinition ihrer Aufgaben, eine veränderte Sammlungsstrategie und eine Neuausrichtung ihrer räumlichen Angebote auszeichnen.

1.1 Wandel des Aufgabenprofils und der räumlichen Konzeption

Bibliotheken etablieren sich zunehmend als „Dritte Orte“ – Räume hoher Aufenthaltsqualität jenseits von Beruf und Privatleben. Diese Entwicklung führt zu einer Erweiterung des Angebots um neue Aufgaben und Raumkonzepte.

  • Neue Aufgaben:
    • Öffentliche Bibliotheken: Reagieren auf den demografischen und gesellschaftlichen Wandel, engagieren sich in der frühkindlichen Bildung, Leseförderung, Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und sind oft Träger des kommunalen Kulturlebens.
    • Wissenschaftliche Bibliotheken: Etablieren forschungsnahe Dienstleistungen (z. B. Data Librarians, Embedded Librarians), unterstützen bei Digital Scholarship Services und arbeiten direkt in Forschungsprojekten mit.
  • Neue Raumkonzepte:
    • Lern- und Arbeitsorte: Die Nutzung als Lernort hat stark zugenommen, beeinflusst durch die Bologna-Reform. Bibliotheken bieten eine Vielfalt an Zonen an, von Räumen für konzentriertes Einzelarbeiten bis hin zu Bereichen für kollaboratives Arbeiten (Gruppenarbeitsräume, Raum-in-Raum-Lösungen, Carrels).
    • Spezialisierte Bereiche: Makerspaces und Repair Cafés ergänzen das klassische Raumangebot.
  • Herausforderungen: Moderne Bibliotheken stehen vor neuen Herausforderungen wie der Bekämpfung von Desinformation (Fake News, KI-Inhalte), der Förderung von Demokratie und Diversität, der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen (Green Library) und dem Umgang mit dem Fachkräftemangel.

1.2 Die Evolution der Sammlung: Von Print zu Digital

Die Zusammensetzung der Bibliotheksbestände hat sich dramatisch verändert, mit einer klaren Verlagerung hin zu elektronischen Ressourcen.

  • Budgetverschiebung: Wissenschaftliche Bibliotheken gaben 2022 signifikant mehr für elektronische Publikationen (149 Mio. Euro) als für Printmedien (102 Mio. Euro) aus. Der Anteil der Ausgaben für elektronische Medien stieg von 46,95 % im Jahr 2011 auf 75,97 % im Jahr 2021.
  • Erwerbungsstrategien: Viele Bibliotheken verfolgen eine „e-only“- oder „e-preferred“-Policy, bei der der elektronischen Ausgabe grundsätzlich der Vorzug gegeben wird.
  • Medienvielfalt: Neben E-Books und E-Journals umfassen moderne Sammlungen Datenbanken, Forschungsdaten, audiovisuelle Medien, Streamingdienste, Computerspiele und E-Book-Reader.
  • Auswirkungen auf den Bestandsaufbau: Der Wandel führt zu Volatilität. Bibliotheken müssen ein kontinuierliches Bestandsmanagement betreiben, das auf sich schnell ändernde Bedarfe, Verlagsangebote und Etats reagiert. Instrumente wie nutzergesteuerte Erwerbung (PDA/EBA) und die Evaluation von Portfolios anhand von Nutzungsstatistiken (COUNTER) sind entscheidend.

1.3 Kooperation als strategische Notwendigkeit

Angesichts der wachsenden Aufgabenvielfalt und Komplexität arbeiten Bibliotheken heute intensiv in Netzwerken zusammen.

  • Formen der Kooperation:
    • Fachlich: Konsortiale Erwerbung von Lizenzen, koordinierter Bestandsaufbau (z. B. Sammlung Deutscher Drucke), gemeinsame Katalogisierung (Verbundkataloge).
    • Räumlich: Bibliotheksübergreifende Ausleihe und Rückgabe auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
    • Infrastrukturell: Beteiligung an nationalen Strukturen wie der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB), den Fachinformationsdiensten für die Wissenschaft (FID) und der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).
  • Internationale Netzwerke: Die globale Zusammenarbeit ist institutionalisiert durch Verbände wie die IFLA, LIBER, CENL sowie themenspezifische Netzwerke (z. B. IATUL, ICOLC).

2. Digitale Transformation und Agilität

Die digitale Transformation stellt Bibliotheken vor die Herausforderung, sich in einer von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA) geprägten Welt anzupassen. Agilität wird dabei zu einem zentralen Managementansatz.

2.1 Agilität als Antwort auf die VUCA-Welt

Agilität ist weniger eine Methode als eine Haltung, die auf Vertrauen basiert und Organisationen befähigt, flexibler und reaktionsschneller zu agieren.

  • Kernelemente der Agilität:
    • Haltung: Vertrauen, Offenheit für Experimente und eine positive Fehlerkultur („Lernen am Scheitern“).
    • Organisation: Abbau starrer Hierarchien, Förderung von Selbstorganisation und interdisziplinären Teams.
    • Führung: Wandel von heroischer zu postheroischer Führung, die Raum für Autonomie gibt und als Coach agiert.
    • Öffnung: Reduzierung institutioneller Grenzen nach innen und außen, um sensitiv auf Impulse von Stakeholdern zu reagieren. Die maßgeblichen Veränderungsimpulse kommen von außen.

2.2 Herausforderungen im Personalmanagement

Die digitale Transformation und der demografische Wandel verschärfen den Wettbewerb um Fachkräfte.

  • Fachkräftemangel: Das Ausscheiden der Babyboomer-Generation führt zu einem Rückgang an Erwerbspersonen. Gleichzeitig erleben die Informationswissenschaften eine „Bewerberkrise“.
  • Gegenstrategien:
    • Employer Branding: Die Schaffung einer attraktiven Arbeitgebermarke wird immer wichtiger. Kampagnen wie „Mein Job Bibliothek“ zielen darauf ab, ein positives Bild des Berufsfeldes zu vermitteln.
    • Duales Studium: Bietet eine Möglichkeit zur frühzeitigen Bindung und praxisnahen Ausbildung von Nachwuchskräften.
    • Agile Personalentwicklung: Starre Tätigkeitsprofile im öffentlichen Dienst erschweren Flexibilität. Agile Ansätze erfordern eine Abkehr von langfristig festgelegten Tätigkeitsbeschreibungen.

3. Kerndienstleistungen im digitalen Wandel

Auch die traditionellen Basisdienstleistungen von Bibliotheken unterliegen einem tiefgreifenden, technologiegetriebenen Wandel.

3.1 Ausleihe, Logistik und der Zugang zu Medien

Die Automatisierung verändert die physische Mediennutzung grundlegend.

  • Ausleihe: Selbstverbuchungsterminals sind Standard. Die RFID-Technologie ersetzt zunehmend Barcodes und ermöglicht Stapelverbuchungen, eine effizientere Mediensicherung und innovative Konzepte.
  • Open Library: Das auf RFID basierende Konzept ermöglicht den Zugang zu Bibliotheksräumen und die Selbstbedienung bei Ausleihe und Rückgabe auch ohne Anwesenheit von Personal, was erweiterte Öffnungszeiten (bis zu 24/7) erlaubt.
  • Logistik: Automatisierte Magazinanlagen und Konzepte wie die „chaotische Lagerhaltung“ optimieren die Lagerung und Bereitstellung. „Fluide Aufstellungskonzepte“ mit „Smart Shelves“ ermöglichen eine dynamische, nutzungsgesteuerte Anordnung der Bestände im Freihandbereich.
  • Diskussion um Gebühren: Die Notwendigkeit und Wirkung von Mahngebühren wird zunehmend in Frage gestellt, mit Verweis auf positive Erfahrungen in US-Bibliotheken, die darauf verzichten.

3.2 Informationsvermittlung und -kompetenz

Die klassische Auskunftstheke wird durch digitale und proaktive Formate ergänzt und abgelöst.

  • Teaching Library: Bibliotheken übernehmen eine aktive Rolle bei der Vermittlung von Informationskompetenz. Studien wie die Stefi-Studie belegen einen signifikanten Bedarf bei Studierenden. Das Angebot umfasst zielgruppenspezifische Kurse für Schüler, Studierende, Promovierende und Forschende.
  • Digitale Auskunft: Dienste wie Chat-Auskunft, Podcasts oder virtuelle Coffee Lectures werden Standard. KI-gestützte Chatbots werden entwickelt, um rund um die Uhr hochwertige Auskunftsdienste anzubieten.
  • Neue Kompetenzen: Das Auskunftspersonal benötigt neben Fachwissen zunehmend Technikaffinität, konzeptionelles Verständnis für Suchtechnologien und KI sowie Empathie und Sozialkompetenz.

3.3 Überregionale Dienste in der digitalen Ära

Digitale Medien stellen traditionelle Kooperationsmodelle wie die Fernleihe vor neue Herausforderungen.

  • Fernleihe: Während der Dokumentenversand für Aufsätze auch aus E-Journals gut etabliert ist, stellt die Einbindung von E-Books aufgrund restriktiver Lizenzmodelle eine große Hürde dar.
  • Direktlieferdienste: Dienste wie subito bieten eine direkte Lieferung an Endnutzer, sind jedoch durch komplexe Vertrags- und Preisstrukturen gekennzeichnet, die nach Kundengruppen (wissenschaftlich, kommerziell, privat) differenzieren.

4. Open Science und Forschungsnahe Dienstleistungen

Open Science wandelt die Rolle von Bibliotheken von reinen Informationsversorgern zu aktiven Partnern im gesamten Forschungszyklus.

4.1 Die Open-Access-Transformation

Open Access (OA) löst den direkten Zusammenhang zwischen Erwerbung, Bestand und Katalog auf. Bibliotheksbudgets finanzieren nicht mehr nur den Lesezugriff, sondern auch das Publizieren.

  • Modelle des Open Access:
    • Gold OA: Unmittelbare freie Verfügbarkeit, oft finanziert durch Article/Book Processing Charges (APC/BPC).
    • Diamond OA: Keine Gebühren für Autoren oder Leser; Finanzierung durch Institutionen, Fachgesellschaften oder Crowdfunding. Etwa zwei Drittel der Zeitschriften im DOAJ folgen diesem Modell.
    • Subscribe2Open (S2O): Ein Modell, bei dem Subskriptionszeitschriften in Diamond OA umgewandelt werden, wenn genügend Institutionen weiterhin finanzielle Beiträge leisten.
  • Transformationsverträge: Initiativen wie das Projekt DEAL zielen darauf ab, Subskriptionsausgaben in Mittel für das OA-Publizieren umzuwandeln (Publish-and-Read-Verträge). In Deutschland gibt es Verträge mit Wiley, Springer Nature und Elsevier.
  • OA bei Büchern: Die Entwicklung hinkt der bei Zeitschriften hinterher. Die Kosten (BPCs) sind hoch und heterogen (durchschnittlich ca. 7.400 € im Zeitraum 2020-2023) und stellen eine große Hürde dar.

4.2 Forschungsdatenmanagement (FDM)

Bibliotheken sind zentrale Akteure im Aufbau von Infrastrukturen und Kompetenzen für das Management von Forschungsdaten.

  • Grundsätze:
    • FAIR-Prinzipien: Daten sollen Auffindbar (Findable), Zugänglich (Accessible), Interoperabel (Interoperable) und Nachnutzbar (Reusable) sein.
    • CARE-Prinzipien: Ergänzen FAIR um ethische Aspekte im Umgang mit indigenen Daten.
    • TRUST-Prinzipien: Definieren Kriterien für vertrauenswürdige Repositorien.
  • Rolle der Bibliotheken: Umfasst Beratung und Schulung, Betrieb von Repositorien, Metadatenmanagement und die Vergabe von persistenten Identifikatoren (z. B. DOIs).
  • Nationale und internationale Infrastrukturen: Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) in Deutschland und die European Open Science Cloud (EOSC) sind zentrale Initiativen zum Aufbau vernetzter FDM-Strukturen, an denen Bibliotheken maßgeblich beteiligt sind.

4.3 Forschungssoftware und Open Educational Resources (OER)

Das Spektrum forschungsnaher Dienstleistungen erweitert sich um neue Publikationsformen.

  • Forschungssoftware: Wird zunehmend als eigenständiges Forschungsergebnis anerkannt. Bibliotheken unterstützen bei der Publikation, Zitation (FAIR4RS-Prinzipien) und Langzeitarchivierung (z. B. über Software Heritage).
  • Open Educational Resources (OER): Frei lizenzierte Lehr- und Lernmaterialien. Bibliotheken agieren als Produzenten, Kuratoren, Dienstleister und Vermittler von Kompetenzen im Umgang mit OER.

5. Management des kulturellen Erbes

Die Erschließung, Digitalisierung und Erhaltung von Kulturgut sind Kernaufgaben, die durch digitale Technologien und neue wissenschaftliche Anforderungen transformiert werden.

5.1 Erschließung, Normdaten und Linked Data

Moderne Erschließung zielt auf die Vernetzung von Daten über institutionelle Grenzen hinaus.

  • Standards: Das internationale Regelwerk Resource Description and Access (RDA) hat die älteren RAK abgelöst. Es basiert auf konzeptionellen Modellen wie dem IFLA Library Reference Model (LRM).
  • Normdaten: Die Gemeinsame Normdatei (GND) ist das zentrale Instrument im deutschsprachigen Raum zur eindeutigen Identifizierung von Personen, Körperschaften, Werken etc. Sie ermöglicht die Verknüpfung von Daten.
  • Linked Open Data: Durch die Veröffentlichung von Katalogdaten im Resource Description Framework (RDF) werden bibliothekarische Daten Teil des Semantic Web. Dies ermöglicht maschinelle Verarbeitbarkeit und die Verknüpfung mit externen Datenquellen (z. B. Wikidata, GeoNames).
  • Automatisierung: Maschinelle Verfahren (KI, z. B. Annif) zur Inhaltserschließung ergänzen und ersetzen zunehmend die intellektuelle Katalogisierung, um der wachsenden Menge an Publikationen gerecht zu werden.

5.2 Digitalisierung von Kulturgut

Die Überführung des analogen Erbes in digitale Form ist eine Daueraufgabe, die von Projektförderung abhängig ist.

  • Akteure: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist ein zentraler Förderer und hat mit ihren Praxisregeln Standards gesetzt. Aggregatoren wie die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) und Europeana bündeln die Bestände vieler Einrichtungen.
  • Technologie und Verfahren: Der Digitalisierungsworkflow umfasst Scannen, Qualitätskontrolle, Metadatenerstellung (z. B. im METS/MODS-Format), Texterkennung (OCR) und Präsentation. Das International Image Interoperability Framework (IIIF) etabliert sich als Standard für die Bereitstellung und den Austausch von Bildern.
  • Rechtliche Hürden: Das Urheberrecht stellt eine große Herausforderung dar. Regelungen für vergriffene (§ 61d UrhG) und verwaiste Werke (§ 61 UrhG) sollen die Digitalisierung erleichtern, sind in der Praxis aber komplex.

5.3 Bestandserhaltung: Analog und Digital

Die Sicherung der langfristigen Nutzbarkeit von Beständen umfasst sowohl physische als auch digitale Objekte.

  • Physische Bestandserhaltung: Der Fokus liegt auf der präventiven Konservierung durch die Kontrolle von Klima, Licht und Schadstoffen sowie einem integrierten Schädlingsmanagement (IPM). Die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) bündelt die Anstrengungen in Deutschland.
  • Digitale Langzeitarchivierung (LZA): Eine zentrale Herausforderung ist die technologische Obsoleszenz.
    • Strategien: Die Migration (Konvertierung in neue Formate) und Emulation (Simulation alter Systemumgebungen) sind die Hauptansätze.
    • Standards und Kooperation: Das OAIS-Referenzmodell bildet den konzeptionellen Rahmen. Zertifizierungen (z. B. CoreTrustSeal, nestor-Siegel) schaffen Vertrauen. LZA ist ohne Kooperation in Netzwerken wie nestor oder der Open Preservation Foundation (OPF) nicht leistbar.

6. Strategische Steuerung und rechtliche Rahmenbedingungen

Die Komplexität moderner Bibliotheksarbeit erfordert eine durchdachte strategische Steuerung und fundierte Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen.

6.1 Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement

Eine klare Positionierung und zielgruppengerechte Kommunikation sind für den Erfolg einer Bibliothek entscheidend.

  • Strategische Grundlagen: Eine fundierte Strategie basiert auf Analysen (z. B. SWOT), der Definition von Zielgruppen (z. B. mittels Personas) und der Festlegung von SMART-Zielen.
  • Markenbildung: Eine bewusste Positionierung und ein konsistentes Corporate Design stärken die Markenidentität. Das Markensteuerrad ist ein nützliches Instrument zur Steuerung der Markenkommunikation.
  • Kanäle und Formate: Die Kommunikation muss auf die Kanäle (Website, Newsletter, Social Media, Videos) und die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sein.
  • Ausstellungs- und Veranstaltungsmanagement: Professionell geplante und durchgeführte Ausstellungen und Veranstaltungen sind wichtige Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit und Vermittlung. Digitale Begleitangebote (virtuelle Rundgänge, Online-Kataloge) erweitern die Reichweite.

6.2 Rechtliche Rahmenbedingungen

Bibliotheken agieren in einem dichten Netz rechtlicher Vorschriften.

  • Haushalts- und Vergaberecht: Als öffentliche Einrichtungen unterliegen Bibliotheken den Grundsätzen des öffentlichen Haushaltsrechts (z. B. Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) und müssen bei Beschaffungen das komplexe Vergaberecht (GWB, VgV, UVgO) beachten.
  • Urheberrecht: Die Nutzung geschützter Werke ist nur mit Zustimmung der Rechteinhaber (Lizenz) oder im Rahmen gesetzlicher Schrankenregelungen (§§ 60a-h UrhG) erlaubt. Diese regeln u. a. Text und Data Mining, die Nutzung an Leseplätzen und den Kopienversand.
  • Pflichtexemplarrecht: Bundes- und Landesgesetze verpflichten Verlage zur Ablieferung von Medienwerken an bestimmte Bibliotheken (z. B. die DNB). Die Ausweitung auf Netzpublikationen stellt eine große rechtliche und technische Herausforderung dar.
  • Benutzungsrecht und Jugendschutz: Die Beziehung zu den Nutzenden wird durch eine Benutzungsordnung geregelt. Beim Zugang zu Medien müssen die Vorgaben des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), insbesondere Altersfreigaben (FSK/USK), beachtet werden.

7. Strategische Reflexionen: Die Essenz der Bibliothek

Über die operativen Herausforderungen hinaus reflektiert das Handbuch auch grundsätzliche Fragen zur Identität und Zukunft der Bibliothek.

  • Die Sammlung als Kern: Es wird die These vertreten, dass insbesondere für Forschungsbibliotheken der Aufbau einer einzigartigen Sammlung der primäre Auftrag bleibt („Sammlung first, Nutzung second“). Der Wert einer solchen Sammlung liege in ihrer prinzipiellen Agnostizität gegenüber aktuellen Nutzungsinteressen, um so den unvorhersehbaren Forschungsbedarf der Zukunft bedienen zu können.
  • Verantwortung für die kulturelle Überlieferung: Bibliotheken sind nicht nur Dienstleister, sondern Archive des kulturellen Gedächtnisses. Die Erschließung der Provenienz – der Herkunfts- und Besitzgeschichte von Objekten – wird zu einer zentralen Aufgabe, um Sammlungskontexte sichtbar zu machen und Verantwortung für die materielle und digitale Überlieferung zu übernehmen. Dies schließt auch die Auseinandersetzung mit NS-Raubgut und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ein.

Erstellt: 04.12.2025 - 06:37  |  Geändert: 04.12.2025 - 09:15