Das schweigende Mädchen / Ulrike Maria Stuart
Zwei Theaterstücke
Zwei Königinnen kämpfen in «Ulrike Maria Stuart» um die Deutungshoheit des Diskurses. Als beredte Untote geistern sie durch das Gefängnis ihrer RAF-Vergangenheit: Kinder einer revolutionären Ideologie, die sie längst ausgespien hat.
Ganz gegenwärtig ist hingegen «Das schweigende Mädchen»: letzte Überlebende eines Neonazi-Trios, das eine Mordspur durch das Land zog. Als stumme Leerstelle steht sie vor Gericht, das sich zu einem Tribunal biblischen Ausmaßes weitet.
In zwei großen, sprachmächtigen Stücken umkreist Elfriede Jelinek linken wie rechten Terrorismus - und schreibt zugleich deutsche Mentalitätsgeschichte.
Das schweigende Mädchen: Wir alle waren dabei, wir alle haben nichts gesehen – wie jener V-Mann der rechten Szene, der in Kassel ein Internetcafé verlässt, kurz nachdem dessen türkischstämmiger Besitzer kaltblütig erschossen wurde. Mit diesem besonders blinden Zeugen beginnt Elfriede Jelinek ihr Stück über den NSU-Prozess, der sich rasch zu einem Tribunal biblischen Ausmaßes weitet. In seinem Zentrum: eine Leerstelle, die Hauptangeklagte, die als letzte Überlebende eines Trio infernal zu den Geschehnissen beharrlich schweigt. Von den anderen wird die junge Frau schon bald als Jungfrau wahrgenommen, die gleich zwei «Erlöser» in die Welt setzte, um ihre Heimat vom Fremden zu befreien. Wütend, rat- und fassungslos treten Engel und Propheten, Richter und sogar Gott persönlich auf, um eine Geschichte zu befragen, die nicht erst begann, als drei Neonazis in den Untergrund abtauchten und danach zehn Menschen töteten. Ihre Wurzeln reichen weit in die Vergangenheit zurück und werden wohl auch in Zukunft weiter wuchern. rowohlt-theaterverlag.de
Rezension
Zwei zerstrittene RAF-Terroristinnen und eine reuelose Jungfrau: Elfriede Jelineks sprachgewaltige Dramen „Ulrike Maria Stuart“ und „Das schweigende Mädchen“: Elfriede Jelinek wurde nicht grundlos im Jahr 2004 der Literaturnobelpreis verliehen; sie erhielt ihn insbesondere „für den musikalischen Fluß von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“, wie es in der Begründung der Schwedischen Akademie heißt. Dies wird auch in ihren Dramen Ulrike Maria Stuart und Das schweigende Mädchen deutlich, in denen der linke bzw. rechte Terror in Deutschland thematisiert wird. Ulrike Maria Stuart und Das schweigende Mädchen wurden am Theater aufgeführt, bevor sie in Buchform im Rowohlt Verlag publiziert wurden. Beide Dramen handeln von Frauen, die Gewalt anwenden, um Macht über bestimmte Bevölkerungsschichten zu erlangen, um am Ende doch als gescheitert verurteilt zu werden. Beide Dramen beruhen auf wahren Begebenheiten. Von Yvette Rode literaturkritik.de 03.06.2016/ 21.11.2016
Theaterkritik
Wahrheit adé: Ein Aufschrei ging durchs Land, als die Sitzvergabe für Journalisten im NSU-Prozess bekannt wurde. Die ausländische Presse sei zu kurz gekommen, hieß es. Das hat doch wohl was zu bedeuten. Da geht’s schon wieder los, die Heimlichtuerei. Hat da einer Angst vor dem, was herauskommen wird? Also wurde verlost. The winner is: … Sogar die Yellow Press schaffte es in den Gerichtssaal. Beeindruckend, wie die Medien um die Wahrheit bemüht waren. Heute nach fast einem und einem halben Jahr geht das Interesse weitest gehend gegen Null. NSU-Prozess? Ach, den gibt es auch noch? Ein Bekannter riet mir, mich einmal hineinzusetzen. Es habe tatsächlich etwas von Theater, meinte er nicht ohne Faszination. Wenn das so ist, warum die Geschichte nicht auf die Bühne bringen. Kaum gedacht, schon geschehen, und zwar noch vor dem Ende, vor einer Urteilsverkündung, vor der Offenlegung der Wahrheit. Und wer beging den Frevel, in Aussicht zu stellen, dass wir keine Wahrheiten erfahren werden? Elfriede Jelinek. „Das schweigende Mädchen“ heißt Beate Tschäpe und sie schweigt, nein, nicht weil sie aus weltanschaulichen Gründen ihre „Sache“ nicht verraten will, sondern weil die Anwälte es ihr geraten haben. Von Wolf Banitzki zur Aufführung in den Münchner Kammerspielen theaterkritiken.com
Weitere Pressestimmen
Jelineks Werk ist ein Hallraum der toten Stimmen ... Ihr Totenreich ist auch unser Reich. Die Zeit
Elfriede Jelinek ist die politischste, für die Katastrophen der Gegenwart empfänglichste Dramatikerin unserer Zeit. Süddeutsche Zeitung
Autoreninfos
Erstellt: 10.10.2025 - 07:13 | Geändert: 10.10.2025 - 07:55