Die ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft

Mit diesem kurzen Text, der in den 1970er-Jahren als erstes Kapitel eines ganzen Bandes zu den Stone Age Economics erschien und erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, bricht Marshall Sahlins mit dem vorherrschenden ökonomischen Paradigma, dass mehr Arbeit auch mehr Wohlstand bringt. Denn bis heute wird es weltweit täglich Lügen gestraft, was der Annahme von der ursprünglichen Wohlstandgesellschaft die Brisanz verleiht, die sie noch immer hat: Was wäre, wenn wir immer schon reich gewesen sind?
Und was verschiebt sich, wenn wir Armut nicht als eine geringe Menge an Gütern im Besitz Einzelner begreifen, sondern als ein Verhältnis zwischen den Menschen? Was der weltberühmte Anthropologe anhand empirischer Beispiele entwirft, stellt einen radikalen theoretischen Bruch mit dem Höher-Schneller-Weiter dar, das die westliche Konsumgesellschaft vorantreibt.
Wenn es neben der Befriedigung von Bedürfnissen durch immer größere Produktion noch einen anderen Weg gibt, dann sollten wir ihn gerade angesichts der Vernutzung unseres Planeten und der Ungleichheit in der Verteilung von Teilhabe wieder in Betracht ziehen: dass Reichtum auch darin bestehen kann, weniger zu begehren.
Vorräte sind schon der Sündenfall: Marshall Sahlins Für eine andere Ökonomie: Marshall Sahlins’ berühmter Text über die steinzeitlichen Jäger und Sammler liegt nun auch auf Deutsch vor: Ethnologie – oder auch Anthropologie – handelt von fremden Gesellschaften mit Seitenblick auf die eigene. Oder in den Worten eines berühmten Vertreters ihres Fachs, des vor drei Jahren in hohem Alter verstorbenen Marshall Sahlins, sie ist „eine doppelte kulturelle Erkenntnis: die des Anderen und die des Eigenen“. [hinter der Bezahlschranke] Von Helmut Mayer FAZ 24.12.2024
Jagen und Sammeln statt ETFs: Der Anthropologe Marshall Sahlins, 2021 im Alter von 90 Jahren verstorben, zählte zu den einflussreichsten Denkern seines Fachs. Sein wirkmächtiger Essay über das Leben von Jägern und Sammlern liegt nun erstmals in deutscher Übersetzung vor: Marshall Sahlins’ Thesen zur Ökonomie altsteinzeitlicher Jäger und Sammler richteten sich gegen ein damals vorherrschendes Bild, das diese Lebensweise als extrem hart und kümmerlich zeichnete: Nacktes Überleben bei unablässiger Nahrungssuche, ohne Freizeit und Muße, ja praktisch ohne Atempause. Sahlins wollte zeigen, dass diese Vorstellung völlig falsch war und auf ideologischen Vorannahmen sowie eurozentrischen Fehldeutungen der Ethnografie beruhte. (Podcast 6:25, Skript zur Sendung] Von Moritz Klein Deutschlandfunk 16.12.2024
AUSZUG: Jäger-und-Sammlerinnen-Gesellschaften benötigen pro Kopf und Jahr weniger Energie als irgendeine andere menschliche Kulturform. Und doch zeigen Untersuchungen, dass es eben die Gesellschaft der Jäger-und-Sammlerinnen war, die das Prädikat »ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft« verdient, eine Gesellschaft, in der sämtliche materiellen Bedürfnisse der Menschen mit Leichtigkeit erfüllt werden konnten. Diese Tatsache anzuerkennen, bedeutet zugleich festzustellen, dass der gegenwärtige Zustand des Menschen daraus besteht, sich in dem Versuch abzumühen, die klaffende Lücke zwischen seinen scheinbar endlosen Wünsche und seinen für deren Erfüllung unzureichenden Mitteln zu überbrücken – eine moderne Tragödie. [PDF] Übersetzung von Jochen Schilk Wildnisschule Waldkauz
Der Herausgeber / Vorwort
Andreas Gehrlach, 1981 geboren, studierte Literaturwissenschaft in Tübingen und ist Wissenschaftler am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Er beschäftigt sich mit modernen und antiken Kulturtheorien und forscht zu prekären, kriminellen und politischen Ökonomien.
Andreas Gehrlach auf Wikipedia
Die Übersetzerin
Heide Lutosch, 1972 in Niedersachsen geboren, lebt in Leipzig und hat bisher zahlreiche Sachbücher zu so diversen Themen wie Selbstmitgefühl, Thomas Mann oder Elefanten aus dem Englischen übersetzt.
Erstellt: 31.03.2025 - 07:32 | Geändert: 31.03.2025 - 08:23