Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung
Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939

»Volksgemeinschaft« existiert nicht, sie wird hergestellt.

Die »Volksgemeinschaft« hatte seit dem Ersten Weltkrieg in Deutschland in nahezu allen Parteien politische Konjunktur. Aber während der Begriff bei den Sozialdemokraten beispielsweise ein Synonym für die inkludierende Einheit aller Schaffenden darstellte, war die »Volksgemeinschaft« bei der Rechten, insbesondere bei den Nationalsozialisten, vor allem durch Exklusion bestimmt. 

ISBN 978-3-936096-74-3 1. Auflage 15.03.2007 28,00 € Portofrei Bestellen (Buch)

Sie beschäftigte nicht, wer zur »Volksgemeinschaft« gehörte, sondern, wer nicht zu ihr gehören durfte, allen voran die Juden. Deshalb besaß der Antisemitismus für die praktische Volksgemeinschaftspolitik des NS-Regimes einen zentralen Stellenwert. 

Die bürgerliche Zivilgesellschaft konnte nicht per »Führererlass« oder Gesetz in eine rassistische Volksgemeinschaft verwandelt werden. Michael Wildt beschreibt diese Transformation als einen politischen Prozess und untersucht die Ereignisse nicht nur innerhalb der großen Städte, sondern gerade in der Provinz, in den Dörfern und kleinen Gemeinden.

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Leseprobe des Verlags

REZENSION: Michael Wildt stellt seine Forschungsergebnisse zum Thema „Gewalt gegen Juden nach 1933“ nun in einem Buch gebündelt vor. Zwar können die Boykottaktionen von Anfang April 1933 und die Novemberpogrome als gut erforscht gelten, doch erweitert der Verfasser unser Wissen über die Verbreitung und Funktion der Gewalt gegen Juden zwischen 1933 und 1939 erheblich. Er stützt sich dabei auf eine breite Quellenbasis, die von Stadt- und Ortsgeschichten über die NS-Stimmungsberichte und die Akten von Gestapostellen bis hin zu den neu erschlossenen und hier erstmals für dieses Thema ausgewerteten Berichten aus den Landesverbänden und Ortsgruppen des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ (CV) reicht, die Anfang der 1990er Jahre im Moskauer „Sonderarchiv“ aufgefunden wurden. Von Werner Bergmann wissenschaft.de 03.01.2008

Mörderische Dynamik: Michael Wildts Studie "Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung" beschreibt, wie die "Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz" aus Zuschauern Komplizen machte: In seiner großen Erzählung vom "Aufstieg" des "Dritten Reiches" macht der englische Historiker Richard Evans (...) die unheilvolle Rolle jener unzähligen "Propheten des Hasses" deutlich, die schon vor dem Ersten Weltkrieg ihre pseudowissenschaftlichen Theorien des Antisemitismus und der Rassenlehre in Deutschland aggressiv verbreiten konnten. Sie trafen in weiten Teilen der Bevölkerung auf diffuse Angst- und Bedrohungsgefühle, aus denen bei vielen Menschen unvorstellbare Hass- und Gewaltsehnsüchte resultierten, die zur Grundlage einer bis dahin nicht gekannten Akzeptanz von Brutalität im politischen Alltagleben führte. Dem Faktor Gewalt setzte die Weimarer Republik - letztlich vergeblich - das Ideal des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols entgegen, mit dem zivilgesellschaftliche Standards wiederhergestellt und gesichert werden sollten. Nach 1933 fielen auch die letzten Reste des Rechtsstaats einer entgrenzten Barbarei zum Opfer. Opfer der Gewalt waren diejenigen Menschen, die aus der "deutschen Volksgemeinschaft" ausgeschlossen wurden. Das waren vor allem die Juden in Deutschland. Hier setzt die Studie des Hamburger Historikers Michael Wildt ein. Von H.-Georg Lützenkirchen literaturkritik.de 25.06.2007

Antisemitismus in der Provinz: Bisher waren die Forschungen über Gewalt gegen Juden meist auf die Zeit des Nationalsozialismus und auf die großen Städte konzentriert. Der Historiker Michael Wildt untersucht in „Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung“ die Geschehnisse in der Provinz und zeigt eine Transformation der bürgerlichen Zivilgesellschaft in eine rassistische Volksgemeinschaft: Eingeworfene Fensterscheiben, Menschen, die nachts aus ihren Wohnungen gerissen und auf die Straße getrieben werden, zertrümmerte Möbel, Beschimpfen, Bespucken, brutale Schläge und Tritte, Mord, das sind die Bilder der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Aber schon 1935 gehörten solche Gewaltakte zum Alltag der Juden in vielen Teilen Deutschlands und machten das Leben zur Tortur. Boykottaufrufe gab es noch viel früher. 1918 wurden die Juden für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich gemacht. „Nicht bloß der Bolschewismus galt als Hauptfeind“, konstatierte Victor Klemperer in seinem „Curriculum Vitae“, „sondern insbesondere das ‚internationale Judentum’.“ Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb im November 1919: „Alle Welt, vom Ministerpräsidenten bis zum kleinen Bezirksredner spricht von einer höchst bedrohlichen Pogromstimmung des deutschen Volkes.“ Von Annette Wilmes Deutschlandfunk 25.04.2007

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Der Autor

Michael Wildt ist Historiker und war bis 2022 Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt in der Zeit des Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Erstellt: 20.02.2025 - 07:30  |  Geändert: 20.02.2025 - 07:52