Koloniale Vergangenheit - postkoloniale Zukunft?
Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken

Mitte Mai 2021 wurde von den Sonderbeauftragten Deutschlands und Namibias als Ergebnis von neun Verhandlungsrunden seit Ende 2015 ein »Versöhnungsabkommen« paraphiert. Als bislang einzigartigen Schritt einer ehemaligen Kolonialmacht erkennt dieses Abkommen den in Südwestafrika verübten Völkermord politisch und moralisch an. Die vereinbarte »Geste der Anerkennung« wird seither in beiden Ländern kontrovers diskutiert. Vor diesem Hintergrund stellt dieser Band die verschiedenen Perspektiven vor und lässt dabei unterschiedliche Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Kultur in Deutschland und die Sicht der Betroffenen in Namibia zu Wort kommen.
Damit soll die Bandbreite der Meinungen und Versuche zur Bearbeitung der kolonialen Hinterlassenschaften am Beispiel des deutsch-namibischen Beziehungsgeflechts, aber auch im Umgang mit der Erinnerung an Massengewalt und Genozid in der Geschichte insgesamt dokumentiert werden.
Mit Beiträgen von Tom K. Alweendo, Rakkel Andreas, Julia Böcker, Medardus Brehl, Sevim Dagdelen, Albert Gouaffo, Dag Henrichsen, Naita Hishoono, Dominic Johnson, Uazuvara Katjivena, Horst Kleinschmidt, Adetoun Küppers-Adebisi, Michael Küppers-Adebisi, Carola Lentz, Henning Melber, Stephan Mühr, Jephta Nghuherimo, Kristin Platt, Ruprecht Polenz, Sylvia Schlettwein, Calle Schlettwein, Bernardus Swartbooi, Uwe Timm, McHenry Venaani, Erika von Wietersheim und Olaf Zimmermann.
[Buchauszug] Dominic Johnson: Kennen wir uns? - Was koloniale Aufarbeitung in Deutschland von der in Frankreich, Großbritannien und Belgien unterscheidet: Als Heidemarie Wieczorek-Zeul am 14. August 2004 als erstes deutsches Regierungsmitglied überhaupt den Völkermord an den Herero und Nama 100 Jahre zuvor im damaligen Deutsch-Südwestafrika als solchen benannte, in Namibia vor den Nachfahren der Überlebenden, geschah das keineswegs im luftleeren Raum. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen ehemaligen europäischen Kolonialmächten hatte damals eine relativ neue, intensive Art der Aufarbeitung von Kolonialverbrechen eingesetzt. → namibiana buchdepot 02.06.2022
Mit der vorläufigen Unterzeichnung des sogenannten Versöhnungsabkommens zwischen der BRD und der Republik Namibia im Mai 2021 schienen die Ausein- andersetzungen um den Umgang mit den Folgen Deutschlands kolonialer Gewalt in Namibia einen Abschluss gefunden zu haben. Das vorläufige Ende der zwischen- staatlichen Verhandlungen war der Ausgangspunkt für den von Henning Melber & Kristin Platt herausgegebenen Sammelband. Das Buch stellt neben wissenschaftlich fundierten Einführungs- und Überblicksartikeln sowohl einen Fächer der Positionen zum Verhandlungsprozess und zu den deutsch-namibischen Beziehungen als auch ein Archiv der Gegenwart mit dem Abdruck von vier Auszügen parlamentarischer 194 Rezensionen Reden aus dem namibischen Parlament und den Positionen der deutschen Regierung (Ruprecht Polenz) sowie der in Bezug auf den Genozid in Namibia engagiertesten Oppositionspartei Die Linke (Sevim Dağdelen) dar. Glücklicherweise fanden geschichtsrevisionistische Positionen keinen Platz, aber leider fehlen Beiträge von zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Namibia und Deutschland. [PDF] Von Daniel Bendix → Peripherie via ssoar
Perspektiven auf Versöhnung: Es war ein Schuldeingeständnis, das auf sich warten ließ. Erst 110 Jahre nach der grausamen Vernichtungspolitik des Kaiserreichs gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia wurde diese auch von der deutschen Bundesregierung als Völkermord bezeichnet. Dies führte schließlich zur Aufnahme bilateraler Verhandlungen der Regierungen Namibias und Deutschlands im Jahr 2015. Deren Ergebnis, das sogenannte Versöhnungsabkommen, wurde Mitte Mai 2021 von den Sonderbeauftragten beider Länder vorgestellt – und stieß auf Kritik und Ablehnung. Rezensiert von Madeleine Lang → iz3w 08.11.2022
26 Autor:innen haben sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu den Themen des Verhältnisses von Deutschland und Namibia geäußert. Die Beiträge beinhalten ein reichhaltiges Spektrum an Reflektionen und Einschätzungen. An den Anfang wird der Umgang mit dem Völkermord in Deutsch-Südwestafrika gestellt. Zentral sei die Frage, welcher Umgang mit diesen ungeheuerlichen Gräueltaten an den Herero, den Nama, den Damara und den San führt dazu, dass innerhalb der namibischen Gesellschaft ein sozialer Prozess in Gang gesetzt werden kann. Von Theresa Endres Afriva live 18.03.2022
Um die Erfahrung der kolonialen Vergangenheit angemessen zu erinnern, muss sie zuallererst erzählt werden. Ausgehend von dieser Prämisse will der von Henning Melber, Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute, und Kristin Platt, Leiterin des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum, herausgegebene Sammelband „Koloniale Vergangenheit – postkoloniale Zukunft?“ die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia neu denken. Dafür verbinden die Herausgebenden die Auseinandersetzung mit kolonialer Geschichte und die zugehörigen Herausforderungen mit dem Bemühen, weitgehend ignorierten namibischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Melber und Platt machen dabei auch deutlich, dass die Aufarbeitung ein Prozess ist, der nur dann wirklich beginnen kann, wenn man sich der Vielschichtigkeit von Erfahrungen, Erinnerungen und Einschätzungen stellt sowie den Konflikt der Begegnung zulässt. Dies schließe, so Melber und Platt in der Einleitung, auch Missverständnisse und das Missverstehen ein. Ziel ist auch, eigene Erzählungen neu zu hinterfragen. Von Theresa Brüheim Initiative kulturelle Integration
Weitere Pressestimmen:
»In diesem Buch wird die Geschichte, der Völkermord, nochmal dargestellt. Dann geht es um die Erinnerung und Aufarbeitung in Deutschland (…). Die Kritik aus Namibia wird im Wesentlichen durch den Abdruck übersetzter Reden aus der entsprechenden Parlamentsdebatte vorgetragen, die Kritikerinnen und Kritiker sprechen also selbst. (…) Das Versöhnungsabkommen, so ist zu hoffen, wird keinen Schlusspunkt unter die Debatte setzen (…). Es ist eher der Start einer ehrlicheren Debatte. Dazu liefert dieses Buch viele Informationen und Anregungen.« (Reinhard Pohl, Gegenwind)
»Deutlich wird in dieser Konstellation aus heterogenen, biografisch sehr individuell geprägten Beiträgen die Komplexität von Erinnerungskultur, Verantwortungsübernahme und gesellschaftlichen Ungleichheiten. Immanent kreist der Band um die Fragen, wer sich (und wie) erinnern dürfe, wer für andere spreche bzw. wer aus Erinnerungsprozessen exkludiert bleibe und welche gesellschaftlichen Annahmen für das Gelingen postkolonialer Erinnerung dekonstruiert werden müssten.« (C3 - Bibliothek für Entwicklungspolitik / centrum3.at)
»Konsens aller Beiträge: Eine Versöhnung zwischen Deutschstämmigen, OvaHerero und Nama ist unverzichtbar, um im künftigen Namibia miteinander leben zu können. Das Buch zeigt Wege auf, wie das gelingen kann, und warnt vor Fallstricken (…).« (Sven-Eric Stender, Allgemeine Zeitung Namibia)
»Der Sammelband bietet neben ausführlichen Einleitungstexten, die Zusammenhänge unter Bezugnahme auf die historische Genozid- und Politikforschung herstellen, zwei umfangreiche Kapitel zu kolonialen Hypotheken und namibischen Wirklichkeiten. Darin geht es einerseits um die hiesige Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialherrschaft und andererseits um divergierende Erinnerungen und -deutungen des Genozids und weiterer kolonialer Konflikte in Namibia. (…) Dazu ist noch viel in Namibia und Deutschland aufzuarbeiten, wozu der lesenswerte Sammelband auch Einsteigern zahlreiche Denkanstöße bietet.« (Rita Schäfer, welt-sichten)
»Der Ausgangspunkt für die Herausgabe dieses Bandes ist die Tatsache, dass seit Mitte Mai 2021 von den Sonderbeauftragten Deutschlands und Namibias als Ergebnis von intensiven Verhandlungsrunden seit Ende 2015 ein ›Versöhnungsabkommen‹ paraphiert worden ist. (…) Vor diesem Hintergrund stellt dieser Band die verschiedenen Perspektiven hierzu vor und lässt unterschiedliche Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Kultur in Deutschland sowie die Sicht einiger der Betroffenen in Namibia zu Wort kommen. Damit sollen die Bandbreite der Meinungen und Versuche, die kolonialen Hinterlassenschaften zu bearbeiten, am Beispiel des deutsch-namibischen Beziehungsgeflechts, aber auch im Umgang mit der Erinnerung an Massengewalt und Genozid in der Geschichte insgesamt dokumentiert werden.« (Norman Adler, Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte e.V.)
»Die Texte sind ganz unterschiedlicher Art, je nach politischem Standpunkt, der Haltung zum Abkommen und emotionaler Betroffenheit des jeweiligen Autors. Aus den verschiedenen Beiträgen kristallisiert sich heraus, wie schwierig es ist, ein Abkommen zu schließen, das nicht nur zwischen zwei Regierungen Bestand hat, sondern auch betroffene Minderheiten im eigenen Land zufriedenstellt. Wie kann Verständigung und Sühne bei ganz unterschiedlichen Akteuren überhaupt erreicht werden? Es werden verschiedene Lösungsmöglichkeiten skizziert, aber es gibt z. Zt. keine abschließende Lösung. Dennoch ist es wichtig, dass Fakten bekannt gemacht werden und so eine Grundlage gelegt wird für eine breite Diskussion über die Frage, wie Aussöhnung gelingen kann. Als eine solche Grundlage für einen innerdeutschen Diskurs über postkoloniale Verträge und die Schwierigkeiten einer Aussöhnung ist das Buch durchaus geeignet (…).« (Lothar Rheinberger und Hannelore Breyer-Rheinberger, Deutsche Lehrer im Ausland)
Die Herausgeber:
Prof. Dr. Henning Melber kam als Sohn deutscher Einwanderer nach Namibia, wo er 1974 der SWAPO beitrat. Er war Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute und ist Direktor emeritus der Dag Hammarskjöld Stiftung (beide in Uppsala), Extraordinary Professor an der Universität Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein sowie Senior Research Fellow des Institute for Commonwealth Studies der Universität London.
PD Dr. Kristin Platt ist Kulturwissenschaftlerin und Sozialpsychologin am Institut für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Genozidforschung, Diasporaforschung und Traumaforschung und die Befassung mit individueller und kollektiver Gewaltbereitschaft in den Feldern Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft.
Informationen und Pressemitteilungen der Regierung:
Kurzinformation: Das deutsch-namibische Versöhnungsabkommen vor dem High Court Namibias. (...) Das Gerichtsverfahren ist derzeit vertagt bis zum 6. März 2024. Die Beklagtenseite muss umfang- reiche Dokumente aus der Zeit der Verhandlungen zur Gemeinsamen Erklärung vorlegen. Der High Court wird (ohne mündliche Verhandlung) im schriftlichen Verfahren entscheiden. Mit einem schnellen Urteil wird nicht gerechnet. Es besteht zudem die Möglichkeit, gegen das Urteil Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof (Supreme Court) einzulegen. [PDF] → Deutscher Bundestag 09.02.2024
Verhandlungsstand des Versöhnungsabkommens mit Namibia. → Sevim Dağdelen 12.10.2022, aktualisiert 18.10.2022
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ali Al-Dailami, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 20/2799 – Die deutsch-namibischen Beziehungen und das sogenannte Versöhnungsabkommen. [PDF] → Bundestag 31.08.2022
Kurzmeldung: Auswärtiges — Kleine Anfrage zum Versöhnungsabkommen mit Namibia. → Bundestag 21.07.2022
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Żaklin Nastić, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/32075 – Keine Reparationszahlungen durch die Bundesregierung an Namibia für Völkermord im Rahmen des Versöhnungsabkommens. [PDF] → Bundestag 29.09.2021
Außenminister Maas zum Abschluss der Verhandlungen mit Namibia. [Pressemitteilung] → Auswärtiges Amt 28.05.2021
Weitere Pressestimmen zum Versöhnungsabkommen:
Deutschland hält an Völkermord-Abkommen mit Namibia fest. Trotz Klage in Namibia: Die Bundesregierung will das Abkommen über den Völkermord an den Herero und Nama umsetzen. So steht es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei, die der DW exklusiv vorliegt. Von Daniel Pelz DW 21.03.2023
Deutschland und Namibia: Warum das Versöhnungsabkommen umstritten bleibt. [Podcast 18:47] Von Leonie March Deutschlandfunk 04.01.2023
Deutschland erkennt Kolonialverbrechen als Genozid an. Von Christiane Habermalz → Deutschlandfunk 21.09.2021
Namibia vertagt Abstimmung über Genozidabkommen. Von Cai Nebe | Sakeus Iikela Windhuk DW 21.09.2021
Versucht die Bundesregierung, sich durch eine spezifische Auslegung des Rechts gezielt aus der Verantwortung zu stehlen? Von Sarah Imani und Karina Theurer (Rechtsanwältinnen) → Zeitgeister/ Goethe-Institut August 2021
Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia. → Bundeszentrale für politische Bildung 22.06.2021
Es geht nicht um Zugeständnisse, sondern ums Ganze: Wie sühnt man den Völkermord an den Herero und Nama? Die Dimension des Unrechts hat auch die Erwartungen an seine Wiedergutmachung in Namibia übergroß werden lassen. Eine Kolumne von Michael Thumann Zeit Online 4. Juni 2021
Der lange Weg der Aussöhnung: (...) Im Jahre 2015 ist die namibische Seite mit einem Forderungskatalog an die Bundesregierung herangetreten und verlangt seitdem Reparationsforderungen verbunden mit einer offiziellen Entschuldigung sowie die juristische Titulierung des Verbrechens als „Genozid.“ Von Natalie Russmann Konrad-Adenauer-Stiftung 26.05.2021
Was bedeutet das Versöhnungsabkommen für die Herero und Nama?
→ detektor.fm Youtube 30.01.2024
Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft?
→ Heinrich-Böll-Stiftung Youtube 29.08.2022
Erstellt: 04.09.2024 - 13:44 | Geändert: 15.11.2024 - 09:15